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09.11.2023, 09:00 Uhr
Nicola Bardola
Text & Debatte
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© Hannibal Verlag

Literarisches und Sprachliches bei den Sportfreunden Stiller (2)

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© Ueli Frey

Die Sportfreunde Stiller sind eine der erfolgreichsten Bands Deutschlands. Mit dem Sommermärchen- und Wiesn-Hit ’54, ’74, ’90, 2006 und Songs wie Ein Kompliment faszinieren sie Generationen und sorgen seit bald dreißig Jahren für eine Euphorie, die ihresgleichen sucht. Der Münchner Autor Nicola Bardola spürt in seiner soeben erschienenen Band-Biografie APPLAUS, APPLAUS. SPORT FREUNDE STILLER der Stiller-Story nach. Für das Literaturportal Bayern arbeitet er in einer achtteiligen Serie literarische Bezüge und sprachliche Eigenheiten der Indie-Formation aus Germering bei München heraus.

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Vor Sportfreunde Stiller und vor Endkrass spielt Peter Brugger 1994 in Germering in einer Band namens „Stufe Drei“ mit Andi Erhard und Florian Zwietnig. Stufe 3 war die höchste Einstellung bei der Lüftung im Auto. Brugger und Zwietnig schreiben den Song Unterwegs, der 1998 auf der zweiten EP der Sportfreunde Stiller Thonträger (eine Anspielung auf den Fußballer Olaf Thon) veröffentlicht wird. Bevor der Punk losgeht, ist Steve Allen am Piano im Jahr 1958 zu hören, wie er den nächsten Gast seiner TV-Show mit den Worten ankündigt: „In the 1950s the nation recognizes and admits a social movement called Beat Generation. A novel titled On The Road became a bestseller and it’s author Jack Kerouac became a celebrity. Partly maybe because he’d written a powerful and successful book, partly because he seemed to be the embodyment of this new generation. Jack and I made an album together few months back in which I played the backround piano for his poetry reading and at that time I made a note to book him for the show because I thought you would enjoy meeting him. So here he is, Jack Kerouac!“ („In den 1950er Jahren erlebt die Nation eine soziale Bewegung, die „Beat Generation“. Ein Roman mit dem Titel On The RoadUnterwegs wurde ein Bestseller und sein Autor Jack Kerouac wurde zu einer Berühmtheit. Zum Teil, weil er ein kraftvolles und erfolgreiches Buch geschrieben hatte, zum Teil, weil er die Verkörperung dieser neuen Generation zu sein schien. Jack und ich haben vor ein paar Monaten ein gemeinsames Album aufgenommen, auf dem ich bei seiner Dichterlesung im Hintergrund Klavier gespielt habe, und damals habe ich mir notiert, dass ich ihn für die Sendung buchen würde, weil ich dachte, dass Sie ihn gerne kennenlernen würden. Hier ist er also, Jack Kerouac!“)

Auf Steve Allens Intro folgt der Song Unterwegs, einer der härtesten und punkigsten, den die Sportis jemals produziert haben. Brugger singt: „Wo warst du heut Nacht, Jack Kerouac. Ich habe dich gesucht. Würde gern wissen, wie es damals wirklich war, '47, '48, '49 in Amerika. Du und Dean und Mary Lou in den Straßen, in den Gassen mit abgetragenen Jeans. Gestern schien's mir, als wäre ich dabei gewesen, neben Dean und dir am Tresen, oder war ich nur im Traum mit euch?" Darauf folgt das langgezogene, geschriene „Unterweeeegs!“. On the Road. Es schwingt Bewunderung und Sehnsucht mit. Klar: Kerouac ist Vorbild, seine Romane Lieblingslektüre außerhalb der Schule und dann auch außerhalb der Uni.

© Ueli Frey

Dieser, der knalligste Song von Sportfreunde Stiller, nimmt ihren erfolgreichsten Fußballsong vorweg, indem er wichtige Lebensjahre Jack Kerouacs aufzählt, in denen der US-Autor erlebte, worüber er dann in On the Road schrieb. Im Song Unterwegs ist in nuce ’54, ’74, ’90, 2006 enthalten. Thematisch allerdings geht es nicht um Fußball, sondern um „Sex, Drugs ’n’ Jazz“, um rauschhaftes und intensives Leben, um das Modell der Beat Generation.

Die Germeringer bleiben auch später Verehrer der Beats und werden wieder daran erinnern: Am Ende eines ihrer erfolgreichsten Songs, Ein Kompliment, ist folgender Text im amerikanischen Original zu hören: „Out we jumped in the warm, mad night, hearing a wild tenorman’s bawling horns across the way going, ee-yah, ee-yah, and hands clapping to the beat and folks yelling go, go, go. And far from escorting the girls into the place, Dean Moriarty was already racing across the street with his huge bandit’s thumb in the air yelling, blow, man, blow.“ Es spricht Jack Kerouac selbst: „Blow, man, blow.“ (Wir sprangen hinaus in die warme, verrückte Nacht und hörten, wie ein wilder Tenor-Mann auf der anderen Straßenseite sein Saxophon schmetterte, ee-yah, ee-yah, und die Hände klatschten im Takt und die Leute schrien „go, go, go“. Und in Gedanken weit davon entfernt, die Mädchen in das Lokal zu begleiten, rannte Dean Moriarty bereits mit seinem riesigen Räuberdaumen in der Luft über die Straße und schrie: „Blow, man, blow“.) Diese Aufnahme hat im Mai 1957 stattgefunden, vier Monate vor Erscheinen des Romans On the Road, und schildert eine Szene in einem Jazz Club in San Francisco 1947. Daher Peter Bruggers Ruf: „’47!“ Das auf diese Kerouac-Lesung folgende Lied auf dem Album Die gute Seite (2002) heißt Sportbeat und spielt auf die Beat Generation an, als deren bedeutendster Vertreter Jack Kerouac gilt. Um den Lebenshunger, die Abweichungen von der Norm, die Ablehnung des Spießigen durch die Sportfreunde besser zu verstehen, kann die Beschäftigung mit den Beats in den 1940er und 1950er Jahren hilfreich sein.

Es lohnt sich, den Lebenslinien von Jack Kerouac, Allen Ginsberg, William S. Burroughs, Neal Cassady, Lucien Carr, Herbert Huncke, Ken Kesey oder Lawrence Ferlinghetti nachzugehen. Sie verwirklichten eine Subkultur, die das Rauschhafte und die sexuelle Freiheit propagierte und gleichzeitig die Konsumgesellschaft der Nachkriegszeit ablehnte. Hinzu kommt, dass Jack Kerouac ein Sportfreund erster Güte war: Als Teenager bekommt er ein Stipendium für die Columbia University dank seiner herausragenden Leistungen im Football. Ein Beinbruch verhindert dann aber Jacks Karriere als Profi.

Professionelles Foto für das Major Label Motor vor dem Atomic-Vorhang (2000) © Major Label Motor

Am 9. April 1999 treten Sportfreunde Stiller in Berlin im Marx auf. „Die tanzlosen Tage sind vorbei!“ freut sich die taz und spricht von fußballbesessenen Punkpoppern, ihren rasanten Dreiminuten-Songs, von „musikalischem Fitnessprogramm“, und eine Deutschlandtour würden die Sportfreunde wohl „im Joggtempo zu Fuß zurücklegen, nur um wie ihr Idol Jack Kerouac mal wieder „Unterwegs“ zu sein“.

In Sportbeat heißt es: „Liebe Leute, hört auf das hier, das schmeckt wie gekühltes Fassbier, unfassbar, dass da was anderes war.“ Im Mittelpunkt des Songs die Zeilen: „Es regiert der Beat, und das Herz schlägt im Takt. Je nachdem, was der Beat zu beaten hat, bieten wir hier ein Stück mit.“ Die Texte sind im Booklet abgedruckt und damit buchstäblich das polyvalente englisch-deutsche „beaten“. Und abschließend in bester Beatnik-Manier: „Es feiert heute die ganze Meute.“

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Nicola Bardola wird 1959 in Zürich geboren, studiert Germanistik und lebt seit über 40 Jahren in und um München. Während seiner Mitarbeit von 1986 bis 1993 in der Internationalen Jugendbibliothek beschäftigt sich Bardola mit Kinder- und Jugendliteratur und setzt sich für Leseförderung ein. Ein weiteres Gebiet, mit dem er sich seit seiner Zeit als Sekretär bei Michael Ende in den 1980er-Jahren beschäftigt, ist die phantastische Literatur. 2009 veröffentlicht er ein Buch über das „Twilight“-Phänomen (Heyne), das in mehrere Sprachen übersetzt wird, und 2012 die Anthologie Utopien (S. Fischer). Bekannt wird er 2005 mit dem Roman Schlemm (A1, Heyne, Piper), der den assistierten Suizid thematisiert. Ferner ist Bardola für seine Biografien über John Lennon und seine Frau Yoko Ono bekannt. Nach Büchern über Elena Ferrante, Ringo Starr, Freddie Mercury und Jack Kerouac widmet er sich zuletzt mit einer Bandbiografie den Sportfreunden Stiller (Hannibal).