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29.11.2023, 18:00 Uhr
Nicola Bardola
Text & Debatte
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© Hannibal Verlag

Literarisches und Sprachliches bei den Sportfreunden Stiller (4)

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Viertes Studioalbum der Sportfreunde Stiller: "You Have To Win Zweikampf" (2006), Booklet (innen).

Die Sportfreunde Stiller sind eine der erfolgreichsten Bands Deutschlands. Mit dem Sommermärchen- und Wiesn-Hit ’54, ’74, ’90, 2006 und Songs wie Ein Kompliment faszinieren sie Generationen und sorgen seit bald dreißig Jahren für eine Euphorie, die ihresgleichen sucht. Der Münchner Autor Nicola Bardola spürt in seiner soeben erschienenen Band-Biografie APPLAUS, APPLAUS. SPORT FREUNDE STILLER der Stiller-Story nach. Für das Literaturportal Bayern arbeitet er in einer achtteiligen Serie literarische Bezüge und sprachliche Eigenheiten der Indie-Formation aus Germering bei München heraus.

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Die Musikkritiker lassen sich durch die Sportfreunde zu neuen Doppeldeutigkeiten inspirieren. Mit Kopfballspiel ist hier das Denken abseits des Spielfelds gemeint: Die Stärke liege mehr in der Spielfreude als im Kopfballspiel; wo Tocotronic bekennen müsse, dass sie Ballsportarten hassen, da würden Sportfreunde Stiller erst auf den Platz gehen; geniale überraschende Spielzüge im Stile eines Stefan Effenberg; butterweiche Melodienpässe auf die CD gezirkelt; weiter geht das Kurzpassspiel zum nächsten Lied; und wieder zurück ins Rock-Mittelfeld; die Akustikballade falle aus dem taktischen Konzept; Songs wie guter Fußball; aber die CD sei ein Lattenkracher; „mit Schönspielerei gewinnt man nicht“, das passe auf das Album wie eine Blutgrätsche ans Schienbein; der Mannschaftsbus sei ins spanische Studio gesteuert worden; da erfolge der Anpfiff mit einem Lied, dessen Titel einer Frage entspreche, die sich viele Stiller-Fans bestimmt schon gestellt hätten; man könne die nächsten drei Lieder in der Fußballsprache als ein Abtasten beider Mannschaften (Musiker vs. Publikum) bezeichnen, wobei Strafraumszenen Mangelware seien; das Trio habe sich freigespielt; das Trio lasse sich in die Defensive drängen; dieses Lied könne man praktisch als Eigentor bezeichnen; jenes Lied sei ein Anschlusstreffer für den Gegner; in Sachen musikalische Fertigkeiten hätten die Sportis noch nie das Format eines Zidane oder Beckhams, sondern eher das eines Guido Buchwalds gehabt; man liefere solide Acker-Arbeit ab, agiere zwar manchmal etwas ungestüm und ungelenk, aber dafür gelinge einem ab und zu etwas Großartiges wie der Übersteiger im WM-Viertelfinale 1990, und fortan dürfe man sich liebevoll Diego nennen lassen.

Je bekannter die Sportfreunde werden, desto seltener treten sie in Germering und im Landkreis Fürstenfeldbruck auf. Aber wenn sie dort spielen, sind die Fans der ersten Stunde aus dem Häuschen. Und auch die Journalisten spielen wieder auf. Der Trainer Hans Stiller sei zufrieden gewesen mit dem Heimspiel der Sportfreunde, heißt es; er sei mit einem Leuchten in den Augen, wie man es bei Erich Ribbeck lange nicht gesehen habe, an das Mikrofon getreten und habe gesagt, die Jungs würden ganz schön Gas geben; auf so ein Spiel habe man lange warten müssen, aber jetzt könne man wieder stolz sein auf die eigene Heimat-Mannschaft; Drummer Flo, der so aussehe wie Stefan Beinlich, habe von hinten für ein Angriffsstakkato gesorgt – vorn hätten Peter und Rüdiger die Tore gemacht; das Publikum, enttäuscht vom Nationalmannschafts-Gegurke der letzten Monate, sei dankbar gewesen für die klugen Spielzüge; einige hätten in ihrer Euphorie sogar das Spielfeld gestürmt, zum Teil auch nackt; nichts habe die Sportfreunde von ihrem Spielfluss abbringen können, so könne Fußballdeutschland wieder aufatmen und hoffen – großer Nachwuchs kündige sich an und werde die Welt erobern; ob Ball ins Tor oder Song ins Ohr, für beide gelte, „das Ding muss rein, egal wie“; jetzt werde die ganze Breite des Raumes ausgenutzt; das beste Sturm-Trio seit Klinsi und Fritz Walter; die neuen Songs bewegten sich auf gleicher Ballhöhe wie das Material vom „Real Madrid“-Album; das sei alles doch eher unteres Mittelfeld; die Torausbeute falle dieses Mal magerer aus; das Album sei ein bisschen wie ein Trainingslager in Spanien; man mache sich fit für die nächste Runde, studiere hier neue Spielzüge ein und frische dort alte Tricks auf, am Ende aber gelte: „Wichtig ist es auf dem Platz“ (gemeint sind Live-Konzerte); von dem morgigen Auftritt sei ein kombinationssicheres Direktspiel mit schönen Pässen zu erwarten; die Freunde hätten die Eckfahnen in den Vordergrund gerückt, zeigten etwaigen spieltechnischen Defiziten per Zwerchfell erschütternder Spaßpunk-Breitseite die rote Karte.

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Nicola Bardola wird 1959 in Zürich geboren, studiert Germanistik und lebt seit über 40 Jahren in und um München. Während seiner Mitarbeit von 1986 bis 1993 in der Internationalen Jugendbibliothek beschäftigt sich Bardola mit Kinder- und Jugendliteratur und setzt sich für Leseförderung ein. Ein weiteres Gebiet, mit dem er sich seit seiner Zeit als Sekretär bei Michael Ende in den 1980er-Jahren beschäftigt, ist die phantastische Literatur. 2009 veröffentlicht er ein Buch über das „Twilight“-Phänomen (Heyne), das in mehrere Sprachen übersetzt wird, und 2012 die Anthologie Utopien (S. Fischer). Bekannt wird er 2005 mit dem Roman Schlemm (A1, Heyne, Piper), der den assistierten Suizid thematisiert. Ferner ist Bardola für seine Biografien über John Lennon und seine Frau Yoko Ono bekannt. Nach Büchern über Elena Ferrante, Ringo Starr, Freddie Mercury und Jack Kerouac widmet er sich zuletzt mit einer Bandbiografie den Sportfreunden Stiller (Hannibal).