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04.07.2023, 12:40 Uhr
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75 Jahre Bayerische Akademie der Schönen Künste

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Vortragssaal der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (c) BAdSK

Anknüpfend an die Tradition der Königlichen Akademie der Künste von 1808 und parallel zum Entstehen der neuen, demokratisch verfassten Bundesrepublik Deutschland (1949) mit Bayern als Bundesland wird in München die Bayerische Akademie der Schönen Künste gegründet. Ihr Ziel ist allgemein die Förderung des zeitgenössischen Kunstbetriebs und des Austausches zwischen Kunst und Gesellschaft. Zum Jubiläum spricht das Literaturportal Bayern mit dem Direktor der Literarischen Abteilung Wolfgang Matz.

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LITERATURPORTAL BAYERN: Herr Matz, die Bayerische Akademie der schönen Künste besteht seit 1948 und wird damit heuer 75 Jahre alt. Dazu gratuliert das Literaturportal Bayern sehr herzlich!

WOLFGANG MATZ: Dankeschön!

Aufgabe der Akademie ist gemäß ihrer Satzung, „die Entwicklung der Künste ständig zu beobachten, sie in jeder ihr zweckdienlich erscheinenden Weise zu fördern oder Vorschläge zu ihrer Förderung zu machen.“ Auch soll sie „einen Beitrag zur geistigen Auseinandersetzung zwischen den Künsten sowie zwischen Kunst und Gesellschaft [...] leisten.“ – Wie gelingt das?

Das sind sehr gewichtige Formulierungen. Es steht da auch, die Akademie sei die „oberste Pflegestelle der Kunst“. Ich weiß nicht, ob das heute noch ein adäquater Ausdruck ist. Natürlich muss es Diskussion zwischen Kunst und Gesellschaft geben – indem man Gesprächsabende macht, Diskussionsabende macht, indem man Autoren vorstellt, Bücher, Themen. Das heißt, wir müssen Interesse wecken und zusehen, dass die Leute etwas bei uns finden, was sie bewegt. Aber wir wollen nicht der letzten Mode hinterherlaufen und sind auch nicht gezwungen, mit Eintrittsgeldern über die Runden zu kommen. Das muss man ausnutzen und Sachen machen, die nicht jeder machen kann. Das Populäre können andere besser, wir wollen besonderes Gewicht auf Dinge legen, die woanders gar nicht mehr möglich sind.

Im Laufe dieser 75 Jahre hat Deutschland und mit ihm auch Bayern eine enorme Entwicklung durchgemacht. Die Akademie hat bewegte Zeiten erlebt wie die 68er-Bewegung oder die Wiedervereinigung. Welche besonderen Geschehnisse lassen sich aus ihrer Geschichte hervorheben?

Ich kenne aus der Geschichte der Akademie ein paar Anekdoten, selbst bin ich ja nicht dabei gewesen. Die lustigste, die mir gerade einfällt, habe ich kürzlich in einem Buch gelesen. Günther Anders bekam 1978 den Großen Literaturpreis [heute: Thomas-Mann-Preis; Anm. d. Red.] zugesprochen. Er schreibt daraufhin in einem Brief an Herbert Marcuse, es sei erstaunlich, dass man ihm diesen Literaturpreis gebe, und der Kultusminister Hans Maier, CSU, der Theologe, müsse ihm ja den Preis überreichen – mal sehen, was da passiert. Ein paar Wochen später schreibt er wieder an Herbert Marcuse, die Preisverleihung habe nun stattgefunden. Er habe Hans Maier vorher gewarnt: Es wird ihnen überhaupt nicht gefallen, was ich hier vortragen werde. Danach sei Hans Maier jedoch begeistert auf ihn zugekommen und habe gesagt: Hochinteressant! Und: Großartig! Und er habe ihm gleich noch ein paar Bücher mit Widmung geschenkt. Da schreibt Anders an Marcuse: Das ist noch schwerer zu verstehen als die marxistische Dialektik. Der musste es ja wissen! Das ist so eine Anekdote aus der Post-68er-Zeit, aber vor allem zeigt sie, dass es ohne intellektuelle Scheuklappen interessanter wird und offenbar auch witziger.

Interessant und wichtig ist dabei die gewandelte Bedeutung der Akademie. Wenn Sie sich heute Fotos angucken von Preisverleihungen, Akademie-Empfängen usw., aus den sechziger, siebziger, sogar achtziger Jahren, auch vom Büchner-Preis in Darmstadt, dann sind das äußerst gewählte, vornehme Herrenabende mit Damen... Da wird wirklich etwas ganz, ganz Wichtiges vollzogen, und der Bundespräsident ist da. Diese Wichtigkeit und dieses Selbstbewusstsein sind doch ziemlich dahin. Ich glaube nicht, dass jemand von außen solchen Institutionen noch eine derartige staatstragende Hauptrolle zuerkennt. Die ist einfach nicht mehr vorhanden.

Man kann trotzdem was draus machen. Man muss halt eine andere Rolle finden, und die ist, wie ich schon bei der ersten Frage sagte, nicht die Repräsentation. Eine Akademie kann nicht die deutsche Literatur repräsentieren, das tut auch die Darmstädter Akademie nicht. Aber sie muss ein Forum bieten für möglichst interessante Einblicke mit möglichst interessanten Formen der Präsentation und Diskussion.

Das ist sicher auch mit dem gesellschaftlichen Bedeutungswandel der Kunst verbunden...

Gesellschaftliche Bedeutung kommt dem Autor, der Autorin zu, aber nicht mehr der Institution, die sagt: Ich bin die Pflegestelle der Kunst, ich spreche für die deutsche Literatur. Das geht einfach nicht mehr.

Sie sind seit 2021 Direktor der Abteilung Literatur. Vorher waren sie lange Jahre Lektor im Hanser Verlag und treten auch als Buchautor, etwa einer Biografie über Adalbert Stifter oder Essays zur französischen Literatur hervor. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?

Gereizt hat mich daran erstmal gar nichts. Man bewirbt sich ja nicht selbst – weder um die Wahl in die Akademie noch um diese Position. Vielmehr bekommt man eines Tages einen Einladungsbrief, und genauso kommen eines Tages auch Kollegen und fragen: Wollen Sie nicht... Die persönliche Antwort, die ich geben kann, lautet, dass ich eigentlich immer, wenn ich vor der Entscheidung stand, eine Sache entweder gar nicht gemacht habe oder aber richtig.

Modell der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (c) BAdSK 

Der Website der Akademie zufolge besteht die literarische Abteilung der Akademie derzeit aus rund 50 Mitgliedern, dazu kommen noch mal eine Reihe „korrespondierender Mitglieder“. Wie muss man sich den Austausch vorstellen? Kommen da alle einmal oder mehrfach im Jahr zusammen und diskutieren? Worüber spricht man?

Ein Teil der Mitglieder kommt überhaupt nicht, d.h. sie werten die Wahl als Ehre, aber beteiligen sich nicht aktiv. Das ist in allen Akademien so. Bei den anderen gibt es Unterschiede zwischen denen, die in der Region wohnen und öfter kommen, und denen, die von weit anreisen müssen. Es gibt aber auch einen sehr aktiven Kreis von Mitgliedern, die von auswärts kommen. Sie sehen die Möglichkeit, sich bei drei oder vier Sitzungen im Jahr regelmäßig in diesem Umfeld zu treffen. Dazu kommen die Veranstaltungen, zu denen auch der eine oder andere anreist, entweder weil er selbst sie durchführt oder weil er sich interessiert.

Darüber hinaus gibt es die direkten Kontakte. Man bereitet Dinge miteinander vor und telefoniert, während andere einander schreiben usw. In der Regel haben wir drei Abteilungssitzungen im Jahr. Dazu kommt die große Jahresversammlung im Sommer.

Sind die verschiedenen Abteilungen der Akademie untereinander verbunden? Gibt es z.B. einen Austausch zwischen Kunst und Literatur oder Musik und Literatur?

Diese Verbindungen sind verbesserungsfähig. Es gibt dazu gute Ansätze. Letztlich hat es damit zu tun, wie sehr die einzelnen Abteilungen mit Mitgliedern besetzt sind, die sich auch für andere Sparten stark interessieren, also gerade bei Musik und Lyrik – Vertonung von Gedichten, Anregung durch Texte, aber auch umgekehrt – ist da natürlich eine große Nähe. Daraus lässt sich viel machen. Theater und Literatur oder Film und Literatur haben ohnehin eine enge Verbindung.

Unsere Veranstaltung zum 75. am 7. Juli 2023 soll etwas dazu beitragen. Alle Abteilungen werden da parallel und miteinander zeigen, was sie können.

2021 kam es im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu einem Eklat und namhafte Mitglieder zeigten sich unzufrieden mit der Gesamtreaktion und erklärten ihren Austritt. Der Schriftsteller Georg M. Oswald hat damals in einem SZ-Interview die hierarchische Kunstvorstellung der Akademie kritisiert, mehr Mittel und mehr Offenheit für junge Autorinnen und Autoren angemahnt. Was sagen Sie: Ist die Akademie zukunftsfähig und was kann, was will sie tun, um ein lebendiger Teil der literarischen Gegenwart zu bleiben?

Die Akademie ist unbedingt zukunftsfähig! Wenn sie sich nicht selbst überfordert, also wenn sie nicht an etwas festhält wie diesem hierarchischen, diesem repräsentativen Selbstverständnis, das einfach keine Realität mehr hat, wenn sie vielmehr auch Konflikte offen austrägt – denn Konflikte sind das normalste von der Welt –, und wenn sie sich den gegenwärtigen Themen der gesellschaftlichen Diskussion zuwendet.

Eine Akademie hat immer einen gewissen Altersüberhang. Man wird auf Lebenszeit gewählt, und da ist der Altersdurchschnitt zwangsläufig hoch. Die Wahl von Mitgliedern – und zwar endlich auch viel mehr Frauen – muss bewusst in Rechnung stellen, dass neue Generationen reinkommen. Andererseits soll man natürlich nicht allzu schnell Vorschusslorbeeren verteilen. Wer jung gewählt wird, braucht eben nur ein bisschen länger, bis er zum Altersüberhang beiträgt; die sogenannte Pop-Generation fängt gerade damit an.

Aber natürlich: Wenn die Akademie all das tut, ist sie zukunftsfähig als offenes Diskussionsforum. Es gibt eine begrenzte Mitgliederzahl, doch die Akademie beschränkt sich in ihrer Arbeit, bei Diskussionen und Veranstaltungen, keineswegs auf die Mitglieder, sondern sie kommt aus ihrem Kreis heraus, bietet etwas an und muss es so machen, dass zumindest der interessierte Teil der Öffentlichkeit darauf eingeht. Das liegt an uns.

Vielen Dank für das Gespräch!