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Georg von Vollmar und das Frauenstudium

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Georg Heinrich von Vollmar (Bayerische Staatsbibliothek/Hollandiana M.)

Georg von Vollmar (1850-1922) war von 1892 bis 1918 der erste Landesvorsitzende der bayerischen Sozialdemokraten und die gestaltende und schillernde Figur in den ersten Jahren der bayerischen SPD. Reizfigur für viele Parteimitglieder seiner Zeit, Vorbild für eine reformorientierte sozialdemokratische Politik der Gegenwart sowie hellsichtiger Kritiker von Umweltzerstörungen: Das Leben und Wirken des Georg von Vollmar, der einer katholisch-adligen Beamtenfamilie entstammte und am 30. Juni 2022 vor 100 Jahren starb, ist so facettenreich wie widersprüchlich. Heute am 30. Juni jährt sich erneut sein Todestag. Das Jahrbuch 2022 des Fördervereins Freunde der Monacensia e.V. (Allitera) enthält mehrere Beiträge zu dessen 100. Gedenktag, von denen das Literaturportal Bayern einen hier abdruckt. Einen weiteren veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung von Hildegard Kronawitter.

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Der Lebensweg des legendären ersten Landesvorsitzenden der bayerischen Sozialdemokratie, Georg Ritter von Vollmar, ist hinlänglich bekannt: Der ehemalige königlich bayerische Offizier, Kriegsfreiwillige und Fremdenlegionär des Papstes wandelte sich vom revolutionären Sozialisten in den 1870er- und 1980er-Jahren zum entschiedenen sozialdemokratischen Reformer. Mit seinem Eintreten für politische und wirtschaftliche Verbesserungen „auf der Grundlage der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung“ stellte er sich gegen den Kurs des SPD-Reichsvorstandes in Berlin. Für diesen bayerischen Sonderweg ist Vollmars Frauenpolitik ein besonders eindrucksvoller und bisher wenig bekannter Beweis. An der Thematik „Frauenstudium“ sei dies im nachfolgenden aufgezeigt.

Schon als sächsischer Landtagsabgeordneter hatte Georg von Vollmar 1888 verlangt, die Regierung solle endlich das höhere, wissenschaftliche Studium auch den Frauen eröffnen. Am 7. März 1894 brachte er dann sein Anliegen als neuer Abgeordneter des Bayerischen Landtages erstmals zur Sprache:

Ich habe nämlich an den Herrn Minister wie an das Haus eine Anregung zu machen in Bezug auf das Frauenstudium. Wenn ich für dasselbe eintrete, so thue ich dieß nicht aus sozialistischen Gründen in dem Sinne, als ob es sich dabei direkt um die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung handelte. Denn wenn die große Mehrheit der Bevölkerung unter den heutigen Verhältnissen schon an der höheren Bildung überhaupt außerordentlich wenig Antheil hat, so wird das natürlich in Bezug auf das Frauenstudium erst recht zutreffen. Aber wir stehen auf dem Standpunkte der prinzipiellen vollen Rechtsgleichheit aller Mündigen; hier speziell auf dem Standpunkte der absoluten Lernfreiheit und des Rechtes der Bethätigung der natürlichen Anlagen und Fähigkeiten.[1]

Sein Plädoyer schloss er mit den Worten:

Meine Anregung geht also dahin, daß die Unterrichtsverwaltung die Frage des Frauenstudiums in eingehendste Erwägung ziehen solle, und daß, sobald eine Anforderung von Seite regelrecht studirter, mit dem Maturitätsexamenen versehenen Frauen um Aufnahme an bayerischen Universitäten erfolgt, ihnen dieselbe nicht verweigert werde.[2]

Vollmars Eintreten für das Frauenstudium brachte ihn in Konflikt mit der Reichsführung der Sozialdemokratie. Für sie gab es – um mit Liebknecht zu sprechen – keine „Frauenfrage“, sondern nur eine „soziale Frage“, die im historischen Kontext von Privateigentum und Klassenkampf stand.[3] Clara Zetkin lehnte denn auch kategorisch jede Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokratie und bürgerlicher Frauenbewegung ab.[4] Sie war überzeugt, dass

... die Frauenfrage als Teil der sozialen Frage nur zusammen mit dieser durch die Überwindung der kapitalistischen [...] Ordnung gelöst werden kann.[5]

Weder das „Augenblicksinteresse des weiblichen Geschlechts“ noch das „dauernde Klasseninteresse des Proletariats“, zwischen denen Clara Zetkin unterschieden wissen wollte, sondern das Interesse jedes Einzelnen, sich ohne Rücksicht auf Geschlechts- und Klassenzugehörigkeit nach seinen individuellen Anlagen und Fähigkeiten entfalten zu können, stand im Mittelpunkt der Vollmar‘schen Argumentation. Damit griff der bayerische Landesvorsitzende Überlegungen wieder auf, mit denen er bereits 1877 in seiner Rede Die Stellung des Weibes in der Gesellschaft die Gleichberechtigung der Geschlechter naturrechtlich begründete hatte.[6]

Mit seiner vom Geiste der Aufklärung geprägten Position war Vollmar natürlicher Verbündeter der bayerischen Frauenrechtlerinnen, denen seine Frau Julia, eine schwedische Industriellentochter, nahestand. Sein Nachlass weist einen umfangreichen Schriftverkehr mit ihnen aus, er besuchte ihre Veranstaltungen, beriet sie praktisch in ihrer „unermüdlichen Petitionsarbeit“ und unterstützte sie öffentlich. Ohne staatsbürgerliche Rechte und durch das in Bayern rigide gehandhabte Vereinsgesetz waren die Frauen auf das Instrument der Petition angewiesen, um auf ihre Ziele öffentlich aufmerksam zu machen. Es ging ihnen vor allem um eine Verbesserung der Mädchenbildung, Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium, später auch um das Frauenwahlrecht.

So schrieb beispielsweise Anita Augspurg am 18. September 1901 an Georg von Vollmar:

Würde es Ihnen vielleicht möglich sein, bei Gelegenheit der Etatdebatten im bayerischen Landtage die Willkür des Kultusministers hinsichtlich der Zulassung von Frauen zu den Universitäten zu kritisieren, [...]. Im Interesse der Sache für welche Sie schon so manches Mal eingetreten sind, wäre ich Ihnen außerordentlich dankbar dafür.[7]

In der Tat: Viele Male war Georg von Vollmar seit 1894 im bayerischen Landtag für das Frauenstudium eingetreten. 1896, 1898, 1899, 1900, 1902, 1904 thematisierte er vor allem bei den Etatdebatten den allgemeinen Zugang der Frauen zu den Universitäten, wie Sylvia Lederer in ihrer Zulassungsarbeit zur Ersten Staatsprüfung (1997) Die Anfänge des akademischen Frauenstudiums in der politischen Debatte 1894-1904 eindrucksvoll aufzeigt.[8]

Zäh und unbeirrt argumentierte der bayerische Landesvorsitzende gegen die erklärten Gegner des Frauenstudiums, die sich vor allem auf Seiten der Zentrumsfraktion fanden. Er wies ihre moralischen Einwände zurück, verwies auf die Fortschrittlichkeit anderer Länder in dieser Frage, zitierte namhafte, als konservativ geltende Wissenschaftler und Kirchenvertreter, die sich für die akademische Bildung von Frauen aussprachen und prangerte das männliche Konkurrenzdenken an. Vollmar versuchte zu belegen, dass das Frauenstudium die Ehe nicht gefährde und höhere Bildung keineswegs dem Eheglück hinderlich sei.[9] Frauen seien als Krankenschwestern in der Pflege von Männern und Frauen tätig, ohne dass dies als unschicklich galt. Sie würden auch als Ärztinnen gebraucht und gewollt. Und immer wieder hob er das Recht auf gleiche Bildung hervor: „Was wir auf diesem Gebiete wollen, ist einfach, daß der Frau das Recht auf jede Bildungsmöglichkeit gegeben werde, welche der Staat gewährt, ganz in derselben Weise wie sie dem Manne schon gegeben ist.“[10] Er betonte zudem, dass „die Bildungsschätze für die ganze Menschheit da sind, [...] und zur Menschheit gehören nicht nur die Mannsbilder, sondern auch die Frauenzimmer“.[11]

Die Gegner des Frauenstudiums mussten nach und nach auch im bayerischen Landtag den Rückzug antreten. Man gestand zwar Frauen mit „Ausnahmebegabungen“ ein Studium zu. Aber „sobald Frauen generell zum Studium zugelassen“ würden, kämen auch in „hellen Haufen“ die „minderwertigen“, die „Elemente zweiter und dritter Güte“.[12] Das Gros der Frauen wäre schon durch die Inhalte des Gymnasialunterrichts überfordert. Man wolle auch keine Niveauabsenkung der Studiengänge durch die Teilnahme von Frauen am Studium haben. Das Vorurteil der geistigen Unterlegenheit der Frau hielt also an. Frauen würden im Konkurrenzkampf mit dem Manne unterliegen. Andererseits wurde eben diese Konkurrenz in gelehrten Berufen gefürchtet. In ihr kann ein wesentlicher Grund gesehen werden, warum die Landtagsmehrheit weiterhin die generelle Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium abgelehnte.

Ein weiterer Grund war, dass man weitergehende Forderungen nach gleichberechtigter politischer Mitwirkung von vorneherein abwehren wollte: Schließlich könnten die Frauen und die ihren Forderungen freundlich gesinnten Politiker darauf kommen, auch das aktive und passive Wahlrecht für Frauen einzufordern.[13]

Im Landtag konnten die wenigen sozialdemokratischen Abgeordneten das Blatt nicht wenden. Es blieb bis auf weiteres bei der Ablehnung, auch wenn argumentativ Zugeständnisse gegenüber den studierwilligen Frauen gemacht wurden. Die Änderung führte schließlich 1903 die Ministerialbürokratie herbei. Prinzregent Luitpold folgte ihrer Auffassung und genehmigte an den bayerischen Universitäten am 21. September 1903 mit seiner Unterschrift die Immatrikulation von Frauen für das Wintersemester 1903/04, sofern sie das Reifezeugnis eines deutschen humanistischen Gymnasiums oder eines Realgymnasiums besäßen. Diese Hürde, das Abitur weiterhin nur als Externe an einem Knabengymnasium ablegen zu können, blieb allerdings bis 1912 bestehen.

 

[1] Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags. 92. Sitzung. 7.3.1894, S. 132f.
[2] Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags. 92. Sitzung. 7.3.1894, S. 132f.
[3] Richard John Evans: Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im Kaiserreich. Berlin / Bonn 1979, S. 85.
[4] Clara Zetkin: Reinliche Scheidung. In: Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen. 4. Jg. 8. Heft. 18.4.1894, S. 63f.
[5] Clara Zetkin: Um das Frauenwahlrecht. In: Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen. 17. Jg. Nr. 15. 22.7.1907, S. 123f.
[6] Georg von Vollmar: Die Stellung des Weibes in der Gesellschaft. Rede-Entwurf vom 3.10.1877, S. IV. Georg von Vollmar Papers. Internationales Institut für Sozialgeschichte Amsterdam. Inv. Nr. 3158.
[7] Anita Augspurg an Georg von Vollmar, 18.9.1901: In: Georg von Vollmar Papers. Internationales Institut für Sozialgeschichte Amsterdam. Inv. Nr. 135.
[8] Sylvia Lederer: Die Anfänge des akademischen Frauenstudiums in der politischen Debatte 1894-1904. München 1997 (Zulassungsarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Lehramt am Gymnasium, Bayerisches Hauptstaatsarchiv: MK ZA 6770).
[9] Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags. 241. Sitzung. 2.3.1896, S. 258f.
[10] Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags. 241. Sitzung. 2.3.1896, S. 259.
[11] Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags. 122. Sitzung. 24.4.1900, S. 135f., vgl. auch Lederer 1997, S. 59.
[12] So der Zentrumsabgeordnete Dr. Siegmund Joseph Zimmern, Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags. 121. Sitzung. 23.4.1900, S. 101f.
[13] So der Zentrumsabgeordnete Dr. Georg von Orterer, Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags. 122. Sitzung. 24.4.1900, S. 118.