Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (36). Und fühlt sich bei ihrem Morgenlauf im Englischen Garten eingehüllt

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

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36

Als ich vor etwa neun Jahren nach München zog, von der Kleinstadt aus, wo ich es gewohnt war, schnell draußen in der Natur zu sein, um morgens zu laufen, hat mir immer etwas gefehlt im Englischen Garten. Die Stille vielleicht am meisten, weil egal wo ich mich aufhielt dort, auch draußen im großen Nordteil, ich hörte dieses kleine städtische Grundrauschen, das vor allem die Autos machen. Aber mir fehlte auch die Weite, der Blick über die Felder, auf Hügel, die Möglichkeit der Begegnung mit einem Traktor, der für ein Landkind, wie mich, fast symbolisch steht für – eben das Land. Überall Bäume, und auch weit drüben am Ende der Wiese eben wieder Bäume. Ich suchte die Weite.

Jetzt nicht mehr. Gestern bei meinem Morgenlauf im Englischen Garten habe ich das wieder einmal wahrgenommen.

Ich laufe von zuhause aus nahezu immer die gleiche Runde. Bei der Welle laufe ich hinein in den Park, am Fräulein Grüneis Kiosk vorbei, um dann am rechten Rand entlang zu rennen, bis ich mich links halte, hin zum Kleinhesseloher See, den ich schließlich fast umrunde, um mich auf dem Rückweg am Bach entlang, der den Englischen Garten zu Schwabing hin abgrenzt, auf das Haus der Kunst zuzubewegen.

Ich liebe diesen Weg inzwischen zu allen Jahreszeiten sehr. Im Frühling wahrscheinlich am allermeisten, wenn die Büsche, die Bäume grün werden und das Gegenteil von dem der Fall ist, was auf dem Feld – wo der Himmel mir fast auf den Kopf fällt – passiert, da fällt mir hier das Grün hinein in den Körper wie Nahrung. So nah ist es.

Aber auch im Winter, und das dachte ich gestern, entsteht dieses schöne Gefühl, dass ich im Park quasi eingehüllt werde von der Natur. Die vom Laub befreiten Büsche, Bäume in all ihren Braunfarben, ganz nah, der Eisbach, wo er wild ist, der Eisbach wo er kanalisiert ist, begleitet mich die meiste Zeit und glitzert auch an einem kalten Januarmorgen glasklar und schön, so dass ich den Hund gut verstehe, der darin steht, bei Lufttemperatur fünf Grad Minus vollkommen verträumt im Wasser steht, und auch nicht herauskommen will, als sein Chef an der Leine zieht. Die Enten, die Haubentaucher, von denen ich draußen in der weiten Natur nur ein paar wenige auf einem Haufen sehe, glucken im tieferen Teil vom Kleinhesseloher See so zusammen, dass man denken kann, sie wollen zusammen das Wasser wärmen, das in manchen Teilen des Sees nach der sehr kalten Nacht bereits angefangen hat zu frieren.

Im Park, habe ich das Gefühl, gibt es so eine Art Verdichtung – nicht nur, dass alles immer da ist: Bäume, Büsche, Bach, Wege und Wiesen und Tiere und schließlich der See, wenn ich ihn umrunde, immer begegnet mir beim Laufen auch ein Mensch, ein Hund, sehe ich irgendeine Sache, an die ich danach noch denke, den Mann, der mit geschlossenen Augen im Lichtkegel der Sonne steht, die Frau, die auf der Nackertenwiese ihre Tai-Chi-Übungen macht, oder eben den Hund, der Kneippsche Fußbäder gut findet. Sowas. Ich mag das sehr.

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