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21.02.2020, 10:18 Uhr
Marie Kleber
Spektakula
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Diskussionsabend über politische Bildung und Demokratie in der Monacensia

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Von links nach rechts: Manja Präkels, Magdalena Hübner, Meron Mendel © Marie Kleber

Wie können Werte wie Anstand, Freiheit und Toleranz in der politischen Bildung (neu) vermittelt werden? Wie sieht eine sinnvolle Erinnerungskultur aus? Und wie sollen wir auf wieder erstarkende rechtspopulistische Tendenzen in der Gesellschaft reagieren? Diese Fragen wurden am 11. Februar 2020 in der Monacensia im Hildebrandhaus bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der derzeit laufenden Erika-Mann-Ausstellung erörtert. Marie Kleber war mit vor Ort.

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„Das einzige ‚Prinzip‘, an das ich mich halte, ist mein hartnäckiger Glaube an einige grundlegende moralische Ideale – Wahrheit, Ehre, Anstand, Freiheit, Toleranz“, schreibt Erika Mann 1943 in ihrem autobiografischen Text Ausgerechnet ich. Zeit ihres Lebens trat sie für diese demokratischen Ideale ein – als Autorin, Kabarettistin, Kriegsreporterin und vor allem als politische Rednerin.

Wie wichtig diese Werte für unsere Gesellschaft sind und wie es überhaupt um die politische Bildung in Deutschland steht, diskutieren unter der Moderation von Politikwissenschaftlerin Astrid Séville die Schüleraktivistin und StadtschülerInnenvertreterin Magdalena Hübner, Manja Präkels, freie Autorin und Musikerin, sowie Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank.

Für alle drei Teilnehmer der Podiumsdiskussion ist dabei klar: Bei der Vermittlung von politischer Bildung an Schulen gibt es derzeit große Probleme. Manja Präkels betont, dass durch den akuten Lehrermangel und die Überalterung der Lehrer besonders in Ostdeutschland eine große Überforderung an den Schulen herrsche und Fächer wie Politik, Sozialkunde oder Geschichte als erstes vom Stundenplan gestrichen werden würden. Hingegen werde eher mehr in die MINT-Fächer investiert. Folglich käme die politische Bildung an Schulen viel zu kurz.

Meron Mendel berichtet, dass jedoch auch in den Bundesländern wo die besagten Fächer noch unterrichtet werden, die Wertevermittlung oft in eine ungewünschte Richtung verlaufe. So sei unter den AfD-Wählern auch ein beachtlicher Anteil an Lehrkräften zu finden, was besorgniserregend sei. Er plädiert daher auch an die Eltern, die Wertevermittlung bereits in den Büchern der Kinderzimmer stattfinden zu lassen. Es werde oft vergessen, wie wichtig das Lesen eines Buches und der Umgang mit Literatur seien. Potentielle AfD-Lehrer hätten so ein leichtes Spiel in den Klassenzimmern.

Auch Magdalena Hübner beobachtet in ihrer Generation einen starken Rückgang der Leserschaft. Es sei erschreckend, wie viel Zeit in die sozialen Medien gesteckt werde und wie wenig in Bücher. „Bücher sind nichts Schlimmes“, sagt Hübner und berichtet, dass sie Freunde überzeugen wolle, dass Literatur genauso „coole“ Inhalte wie beispielsweise Instagram vermitteln kann. Besorgniserregend sei, dass die „Instagram-Scroll-Gesellschaft“ durch die eigenen Klicks und Likes in eine schwarz-weiße Welt der Extreme geleitet werde, wo keine neutrale Information mehr möglich sei. Durch das große Vertrauen der Jugendlichen in die sozialen Medien würden Inhalte nicht mehr kritisch hinterfragt. Ein falscher Klick und man käme aus bestimmten Informationskanälen nicht mehr raus, was auch Parteien wie die AfD für sich nutzen könnten.

„Zum Spaß" die AfD wählen?

Diese Interesselosigkeit an der Literatur und auch an der Politik zeige sich auch in den Klassenzimmern. Neben einer Realschullehrerin aus dem Publikum, die bemängelt, dass die Kinder von der 5. bis zur 10. Klasse nicht richtig lesen könnten, berichtet Hübner, dass in Probewahlen viele Schüler einfach „zum Spaß“ die AfD wählen würden, da die Wahl ja „egal“ sei und „man eigentlich lieber schlafe“. Dieser antipolitische Schlaf in den Klassenzimmern sowie die Überforderung der Lehrer sei laut Mendel Grund für sich immer weiter entwickelnde nationalistische Ideologien und rechtspopulistische Tendenzen, die vor allem auf dem Land besonders deutlich zu spüren seien. Es sei wichtig, genau diese Kinder und Erwachsenen zu erreichen.

An diesem Punkt verweist Präkels auf Parallelen in der Geschichte und berichtet vom Furor der Aktivisten der 1989/90er Jahre, die damals nicht ernst genommen wurden und auch von den „Baseballschlägerjahren“, in denen man in permanenter Angst vor Neonazis auf die Straße ging. Alles Problemfelder, bei denen seitens der Politik viel zu viel versäumt wurde.

Und auch heute sei diese Angst zu spüren, wenn Massen von Pegida-Demonstranten durch die Straßen laufen. An diesem Punkt schaltet sich auch das Publikum ein und viele Personen berichten von ihren persönlichen Erfahrungen mit rechtsradikalen Anfeindungen.

Doch wie können wir dann angesichts dieser Tatsachen die rechtspopulistischen Tendenzen in der Gesellschaft bremsen und allen Bürgerinnen und Bürgern die Bedeutung unserer demokratischen Werte politisch vermitteln, fragt sich Moderatorin Astrid Séville. Die drei Diskutanten sind sich einig: Es müsse deutlich mehr nicht nur in die politische Bildung der Kinder sondern auch in die der Erwachsenen investiert werden. Dafür müsse der Staat nicht nur mehr Geld für Lehrer und Schulen zur Verfügung stellen, sondern in jeder öffentlichen Einrichtung müsse mehr demokratische Wertevermittlung stattfinden.

Hübner bestätigt: „Man muss die ganze Gesellschaft betrachten, um alle zu erreichen“. Und das tun die drei deutlich auf unterschiedlichste Art. Die Autorin Präkels vermittelt demokratische Werte über die Literatur, zum Beispiel in ihrem Buch Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß, Mendel entwickelt innovative Konzepte und Methoden, um Jugendliche und Erwachsene für die aktive Teilhabe an einer offenen und demokratischen Gesellschaft zu stärken, und Hübner will mit ihrem Handeln Jugendlichen ihrer Altersklasse als Vorbild dienen.

Anstand ade?

Und was meinen die drei Teilnehmenden zu den demokratischen Werten „Anstand, Freiheit, Toleranz“, die Erika Mann so wichtig waren? Mit dem Begriff „Anstand“ tun sie sich schwer. Präkels äußert, es handle sich um ein „verstaubtes, vergiftetes Wort, das etwas Soldatisches an sich habe“, jedoch korrespondiere Anstand einfach mit den Wertevorstellungen der Gesellschaft. Und dies sei, so Mendel, oftmals das Problem. Die vermeintlich „Unanständigen“ würden sich in der Gesellschaft als ungewollt ansehen. In Konsequenz würden sie sich oftmals desinteressiert komplett von der Politik abwenden oder aber sich zu extremeren politischen Ansichten hingezogen fühlen.

Auch Hübner berichtet, dass viele Menschen sich selbst zwar für anständig halten, jedoch denken, dass die Gesellschaft ein anderes Bild von ihnen hat. Wichtig sei es, diesen Menschen tolerant gegenüberzutreten und zu sagen „es ist okay, dass du nicht anständig bist, du darfst trotzdem reden und deine Stimme ist wichtig“.

Schwierig sei es natürlich, so Präkels, mit rechtsradikalen Bewegungen wie beispielsweise Pegida. Auch hier werde ja eine gewisse Toleranz gewährt. Passend hierzu wirft eine Sprecherin aus dem Publikum Rosa Luxemburgs Zitat ein: „Meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt“. Toleranz gehe also bis zu einem gewissen Grad.

Diese Toleranz können wir aber oft gewähren, haben wir doch auch viele positive Beispiele, wie Präkels erzählt. So dürfe man nicht vergessen, dass diejenigen, die mit rechtsradikalen Parolen Angst schüren, in Deutschland immer noch eine Minderheit seien. Das Potential zur Vermittlung der demokratischen Werte wie Anstand, Freiheit und Toleranz sei vielerorts oft da, man müsse den Menschen nur den letzten Anstoß zum Handeln geben. So berichtet sie beispielsweise von Dörfern, die sich mit einem großen Maß an Zugewandtheit um Flüchtlinge gekümmert hätten.

Präkels, Hübner und Mendel ermutigen ihre Mitmenschen, auch den Ängstlichen oder vermeintlich „Unanständigen“ die Hand zu reichen und Zivilcourage zu zeigen. Ihre Herangehensweisen mögen unterschiedlich sein, doch Vorbilder sind sie alle drei.