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28.01.2020, 13:17 Uhr
Katrin Diehl
Text & Debatte
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Das Hildebrandhaus (c) Monacensia im Hildebrandhaus

Aus dem Vorlass von Dagmar Nick in der Monacensia

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Foto: Brigitta Rambeck

In der Serie „Dichternachlässe – ein kulturelles Erbe“ stellen die LiteraturSeiten München literarische Nachlässe vor, die in enger Verbindung mit München und Bayern stehen. Diesmal geht es indes um einen Vorlass – den der großen alten Dame der deutschen Nachkriegslyrik: Dagmar Nick.

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Das lässt sich doch vielleicht herausfinden. Heute jedenfalls eher als noch vor 30 Jahren. Im März 1988 nämlich bekam Dagmar Nick, die man mit Fug und Recht als eine der wichtigsten deutschsprachigen Lyrikerinnen (Lyriker eingeschlossen) nach 1945 bezeichnen kann, da bekam die Dame also einen Anruf aus dem Deutschen Museum. Ein Ralf Bülow war dran, Mathematiker, Informatiker, im Forschungsinstitut des Museums mit dem Thema Datenverarbeitung beschäftigt. Und der wollte wissen – besser gesagt – meinte bereits zu wissen, dass Nicks Gedicht Wir, das aus den 50er Jahren stammte, dass dieses Wir das erste deutsche Gedicht sei, in dem das Wort „Roboter“ vorkomme („Wir haben Mut. Wir glauben an die Macht/des Robotergehirns./Wir gehen blindlings in die letzte Nacht/des sterbenden Gestirns./Wir haben alles Leben in der Hand“).

Dagmar Nick weiß nicht so recht. Könnte das Wort nicht vielleicht schon früher, vielleicht in einem Gedicht von Benn gefallen sein? Bülow verspricht das zu prüfen, möchte aber trotzdem von ihr wissen, ob sie „ein sehr technisch interessierter Mensch sei“. „Nein, um Gotteswillen“, sagt Nick, und erzählt von ihrem Schock, als der erste Sputnik mit Hund „auf den Mond … oder in eine Umlaufbahn um die Erde geschossen wurde“.

Es sind auch solche Nettigkeiten, die sich im Vorlass – versehen mit einem schwungvollen „Kuriosa“ – von Dagmar Nick finden lassen. Der lagert seit diesem Jahr in 21 Kassetten, die biografische Dokumente, Briefe, Manuskripte und Zeitungsausschnitte beinhalten, in der Monacensia.

Ein anderes Kuriosum, auf das man unbedingt hinweisen möchte, ist das „Hundebüchlein“, nicht größer als ein rechteckiger Handtaschenspiegel, selbst gebastelt und eingeschlagen in goldenes Weihnachtsengelpapier. Ein nicht datierter Zettel liegt bei zum Verständnis: „In der Schule nannten man mich Dax, Daggi oder manchmal auch Dackel. Ich gewöhnte mich wie ein Hund daran. (…) Ein Dachshund kam mir in den Sinn, der von hinten leicht zu zeichnen war…“ Dieser gezeichnete Dachshund – zwei spitze Ohren, ein dicker Hinterleib, ein nach oben gebogener Strichschwanz … – wurde zu Nicks „Wappen“, mit dem sie fast alle Briefe an ihre Eltern und „Ehemänner“ unterschrieb. Viele der Familienbriefe hat Dagmar Nick weggeworfen, „schnitt aber die Dächse aus und versammelte sie in diesem Büchel“.

Nicks Korrespondenz außerhalb der Familiengrenze zeigen eine lebendige, am öffentlichen Kulturleben sehr interessierte, hellwache, engagierte Frau, die in keckem Ton mitmischte. Carl Orff bat sie 1947 um ein Urteil zu einer Textprobe von ihr (er sah darin „versprechende Ansätze“), Marcel Reich-Ranicki fragte bei ihr an, ob man das, was sie ihm geschrieben habe, als Leserbrief in der ZEIT abdrucken dürfe, mit Michael Krüger wiederum „unterhält“ sie sich über die Macht eben jenes „Großkritikers“, der mittlerweile schon längst zur FAZ abgewandert war.

Geboren wurde Dagmar Nick 1926 in Breslau als zweites Kind des Komponisten, Dirigenten und Musikkritikers Edmund Nick und der Sängerin Kaete Jaenicke, einer Frau aus gutem jüdischen Hause. Das nationalsozialistische Unrechtsregime mit all seinen Folgen zwang die Familie erst nach Berlin, dann nach Böhmen, dann nach Lenggries, dann nach München. Hier begegnet Nick gleich nach dem Krieg Erich Kästner, damals Leiter des Feuilletons der Münchner „Die Neue Zeitung“. Kästner nimmt ein Gedicht des 19-jährigen „Fräuleins“ mit ins Blatt. Flucht sein Titel: „Weiter. Weiter. Drüben schreit ein Kind./Laß es liegen, es ist halb zerisssen./Häuser schwanken müde wie Kulissen/durch den Wind.“

Bis heute lebt Dagmar Nick in München. 2015 hat sie sich in Eingefangene Schatten: Mein jüdisches Familienbuch mit „größtem Vergnügen“ mit ihren jüdischen Vorfahren beschäftigt, ging 400 Jahre, 14 Generation zurück (der Historiker Fritz Stern ist ein Cousin zweiten Grades von ihr). Ihr letzter Gedichtband aus dem Jahr 2018 trägt den Titel Abtrünniges Herz. „Mein zum Sterben entschlossenes Herz,/noch halte ich dich an der Longe …“ lauten zwei Verse daraus.