Verleihung des Jean-Paul-Preises 2025 an Christine Wunnicke
Anlässlich des 200. Todestages von Jean Paul, der 1865 in Bayreuth, seinem letzten Wohn- und Wirkungsort, starb, fand die feierliche Verleihung des Jean-Paul-Preises 2025 an Christine Wunnicke im Marktgräflichen Opernhaus Bayreuth statt. Das Literaturportal Bayern war vor Ort dabei und konnte im Nachklang auch ein kurzes Interview mit der Preisträgerin führen.
*
Jean Paul, der wortmächtige Schriftsteller, dessen Todestag sich dieses Jahr am 14. November zum 200. Male jährt, bewegt sich als literaturgeschichtlicher Einzelgänger zwischen Klassik und Romantik. Der Sonderling lässt sich aber nicht nur keiner Epoche so richtig klar zuordnen, sondern spaltete bereits zu Lebzeiten das Lesepublikum hinsichtlich seines Werkes: Euphorie einerseits und Unverständnis andererseits sind uns als die genuinen Lektüre-Reaktionen überliefert. Insbesondere auf die Gegenwartsliteratur, d.h. auf bedeutsame Autorinnen und Autoren des 20. und 21. Jahrhunderts, hat er dann allerdings großen Einfluss gehabt (so u.a. auf Georg Heym, Paul Celan, Arno Schmidt, Alban Nikolai Herbst). Insofern besitzt der renommierte Jean-Paul-Preis nicht nur aufgrund seiner hohen Dotierung, sondern auch Kraft seines eigenwilligen, charismatischen Namensgebers eine ganz besondere Strahlkraft.
Eine sehr harmonische Jurysitzung
Auch die diesjährige Preisträgerin ist eine bekennende Jean-Paul-Leserin. Bereits in Kindheitstagen las sie sich, beginnend mit Dr. Katzenbergers Badereise, durch dessen Gesamtwerk. Jean Pauls eigenbrötlerisches Figurenpersonal begleitet sie bis heute. Und von eigensinnig-obskuren, exzessiven Figuren-Persönlichkeiten lebt auch das literarische Werk von Christine Wunnicke, für das sie nun, am 11. Juli 2025, im Marktgräflichen Opernhaus Bayreuth mit dem Jean-Paul-Preis 2025 ausgezeichnet wurde.
„Ich liebe seine Figuren“, bekannte die bühnenscheue Autorin klar und schnörkellos. Selbst wenn „die große Bühne und das ganze Trara“ nichts für sie, Wunnicke, sei – Bayreuth, als der letzte Wohn-, Wirkungs- und Sterbeort Jean Pauls, bot mit den prunkvoll-künstlerischen Kulissen des Opernhauses indes die ideale Bühne für diese gut besuchte Literaturpreisverleihung, zu der Jury und Publikum, sichtlich überzeugt von ihrer Preisträgerin, angereist waren.
Und wozu Zeit verschwenden: Die Feierlaune begann bereits in den Begrüßungsworten des Bayerischen Staatsministers für Wissenschaft und Kunst, Markus Blume, hörbar zu werden. Er wies darauf hin, dass der Freistaat seine Literaturförderung seit 2020 verdoppelt habe. Was, wie er erklärte, nicht nur ein legitimer Grund für Bayern sei, neben der Preisträgerin auch sich selbst etwas mitzufeiern; der neuerliche Zuwachs an Förderungsmitteln verlieh seinen Worten darüber hinaus auch den nötigen Nachdruck: „Ein Land wie der Freistaat lebt von seinen Künstlerinnen und Künstlern. Für eine freiheitliche Gesellschaft sind Literaten unverzichtbar.“
Eine „sehr harmonische Jurysitzung“ sei dies laut der Jurysprecherin Prof. Dr. Barbara Vinken gewesen, die, in bewusster Analogisierung zu Jean Paul, auf Christine Wunnicke als eine „Ausnahmegestalt“ in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur hinwies.
„Ihre Kunst der historischen Momentaufnahme, die sie zum kultur- und gesellschaftlichen Bild aufspannt, besteht in einer ebenso eleganten wie klaren Textökonomie: Ihre Erzählungen sind stets in eine Spannung aus Verknappung und verblüffendem Detail gesetzt.“ – So lautet ein Auszug aus der gemeinsamen Begründung der Jury, die neben Prof. Dr. Barbara Vinken aus Prof. Dr. Frieder von Ammon, Frauke Kühn, Prof. Dr. Friedhelm Marx und Dr. Katrin Schumacher bestand. Die Jurybegründung schließt mit den Worten: „Ganz im Sinne Jean Pauls geht dieser Preis an die Autorin eines eigenständigen, widerspenstigen und phantastisch-fabulösen Werkes.“
Davon abgesehen, dass doch im Grunde jedes literarische Werk einen Anspruch auf Eigenständigkeit besitzen sollte, war der Jurysprecherin Vinken, die u.a. die „hinreißenden Enthüllungen und Verhüllungen“, die „Vielstimmigkeit der Sprache“ Wunnickes lobend hervorhob, anzumerken, dass sie hier mehr als einer Redepflicht nachkam. Auch wenn sie akustisch teilweise leider nicht immer gut zu verstehen war, vermittelte sich ihr Lob auf die diesjährige Preisträgerin überzeugend dem Publikum.
„Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht.“
Im schönsten Sinne „verständlich“ waren die musikalischen Beiträge des Duo Udite aus Berlin, das, auf ausdrücklichen Wunsch von Christine Wunnicke, Werke der venezianischen Barockkomponistin
Barbara Strozzi vortrug (L‘Eraclito Amoroso, op.2, Nr.10; Lamento, op 7, Nr. 4 und Che si può fare, op.4, Nr. 6).
Christine Wunnicke, die auf der Bühne nicht gerne viel Worte macht, „sprach" dafür durch ihre Wahl der Musik auf ganz besondere Weise zu ihrem Publikum. Die innig-intimen, stilistisch so gekonnt unbezähmbar-ungeschliffen wirkenden Liedwerke Barbara Strozzis berührten alle im Saal sichtlich tief. Bettina Bruns' herrlich kluger, expressiver Mezzosopran brachte sie in der sensiblen Begleitung des Konzertgitarristen Daniel Göritz zu Gehör. Ihre Darbietungen bildeten definitiv den Höhepunkt des Abends. Danach hatten es Worte erst einmal schwer; hatte man doch das Gefühl, alles, was Worte in diesem Zusammenhang auszudrücken vermögen, bereits so vollendet klingend durch die Musik erfahren zu haben.
Duo Udite: Bettina Bruns (links) und Daniel Göritz © Literaturportal Bayern
„Wer nicht zuweilen zu viel empfindet, der empfindet zu wenig.“ (Jean Paul)
Die Preisträgerin selbst fasste sich in ihren Dankesworten entsprechend kurz. Ihr Dank, der ganz ausdrücklich auch an die Person ihres Verlegers und an ihren Verlag Berenberg insgesamt gerichtet war, klang aufrichtig und in Kenntnis ihres Werkes nahm man ihr zudem die Worte: „Ich liebe Jean Paul, schon seit ich jung bin. Ich liebe seine Figuren“, sofort ab.
Ihr schöner Ausspruch „seit ich jung bin“ machte für die Zuhörenden durchaus Sinn. Denn Christine Wunnickes Werke sind – obwohl sie weit, oder besser: tief in ältere Zeiten zurückgreifen – jung. Sie sind einem zeitgenössischen Wahrnehmen von Welt abgerungen, das feinfühlig und höchst achtsam die Worte siebt und abwägt, bis jene Worte ihre Figuren sichtbar werden lassen und sie zu tragen vermögen. Wenn Jungsein beweglich bleiben heißt, dann ist Wunnickes Sprachkunst jung.
Im anschließenden Gespräch mit Katrin Schumacher u.a. auf das „feministische Projekt“ in ihren Werken angesprochen, erwiderte Wunnicke, dass jedes Buch, das von Frauen in älteren Zeiten handele, die etwas taten, was sie nicht tun durften, per se ein feministisches Projekt sei.
Natürlich muss es dabei um eine andere Wissenschaft, um eine andere Wahrhaftigkeit gehen, die den herrschenden Diskurs im besten Falle sowohl ergänzt als auch unterläuft, denn: „in dem Moment, wo ein Dialog vorkommt“, so die Autorin, „ist es gelogen. Es ist ein Roman.“
Glück bedeutet Furchtlosigkeit
Jenseits der Fiktion ergab sich für das Literaturportal dann im Nachklang noch die wunderbare Möglichkeit, der Preisträgerin ein paar kurze Fragen zu stellen:
LITERATURPORTAL BAYERN: Liebe Christine, ganz herzliche Gratulation zum Jean-Paul-Preis! Und auch einen lieben Dank dafür, dass du dich bereit erklärt hast, dich kurz auf dieses kleine Fragespiel hier einzulassen. Also: Wenn du Jean-Paul persönlich hättest kennenlernen können. Was hättest du ihn gerne gefragt oder ihm mitgeteilt?
WUNNICKE: Wie er auf den Hund im Hesperus gekommen ist und warum er das eine gute Idee fand.
LPB: Beim anschließenden Buffet, das sich origineller Weise an den Leibspeisen von Jean-Paul orientiert, gibt es so herrliche Bonmot-Gerichte wie „Andachtsfleisch“. Was isst du eigentlich am liebsten? Inspiriert dich das Zubereiten von Speisen?
WUNNICKE: Überhaupt nicht. Aber mich inspiriert total, wenn andere für mich kochen. Am besten etwas, was ich noch nicht kenne.
LPB: Nun hast du als Autorin bis zu dieser großen Auszeichnung hin bereits einen langen Weg, eine Route beschritten, die sicherlich nicht nur aus hübsch beleuchteten Promenadenwegen bestand. Was waren wichtige Stationen, Weggabelungen, Umwege? Was siehst du, wenn du heute auf deine Anfänge zurückblickst und, umgekehrt geschaut, wo zieht es dich gerade hin?
WUNNICKE: Geschichten erfinden ist immer eine Reise ins Blaue, das besteht nur aus Umwegen. Wenn ich zurückschaue, staune ich, wie viel Glück ich über die Jahre gehabt habe. Wo es mich hinzieht, weiß ich nicht, das weiß ich vorher nie.
LPB: Du wirst gern als Autorin bezeichnet, die historisch arbeitet, die in einem sehr eigenen Sinne historische Romane schreibt. Welches Verhältnis hast du, als Autorin und als Privatperson, zur Gegenwart?
WUNNICKE: Die Frage mit dem Verhältnis zur Gegenwart ist mir zu groß. Das Verhältnis ist halt so, wie man es erwarten würde in einer Situation, wo die ganze Welt relativ rasant in Faschismus und Wahnsinn versinkt. Aber wenn man das beschreibt, klingt es wie dieses etwas beliebige Polit-Gejammer, das immer wieder geäußert wird, das möchte ich nicht und ist auch gar nicht zielführend.
LPB: Um noch mal aufs Essen/Speisezubereitung zurückzukommen: Beim Lesen von Wachs stellt sich das Gefühl ein, dass deine Worte lange vor sich hin simmern, dann durch ein Sieb gefiltert/gedrückt werden und das konzentrierte Substrat ist dann das, was wir Lesenden uns einverleiben. Bei dieser Art der Verdichtung muss man natürlich sofort mal nachfragen: Wie wäre es denn mit Gedichten?
WUNNICKE: Die Metapher ist super. Ich übersetze furchtbar gerne Gedichte (alte, gereimte), aber selber schreiben kann ich leider keine.
LPB: In Anlehnung an Proust wurde der Crescendo-Fragenbogen für Künstlerinnen und Künstler entwickelt. Daraus abschließend, recht spielerisch, drei assoziative Fragen:
Welche natürliche Gabe hättest du gern?
Mathematik
Was würde niemand von dir vermuten?
Wahrscheinlich würden die wenigsten Leute auf die Idee kommen, dass ich beim Schreiben so laut alten amerikanischen Punkrock höre, dass mir das Hirn platzt.
Deine Vorstellung von Glück?
Furchtlosigkeit
LPB: Danke, Christine!
Und schließlich war es für die Preisträgerin selbst dann des Feierns und Redens genug. Aber all diejenigen, die dort an den festlich angestrahlten Stehtischen vor dem Opernhaus noch lange in ihrem Sinne weiterfeierten, freuen sich schon jetzt auf ein Wiedersehen – mit ihr und mit ihren Figuren.
Das Jean-Paul-Preis-Buffet vor dem Opernhaus © Literaturportal Bayern
Bayreuth, Bahnhofsviertel © Literaturportal Bayern
Verleihung des Jean-Paul-Preises 2025 an Christine Wunnicke>
Anlässlich des 200. Todestages von Jean Paul, der 1865 in Bayreuth, seinem letzten Wohn- und Wirkungsort, starb, fand die feierliche Verleihung des Jean-Paul-Preises 2025 an Christine Wunnicke im Marktgräflichen Opernhaus Bayreuth statt. Das Literaturportal Bayern war vor Ort dabei und konnte im Nachklang auch ein kurzes Interview mit der Preisträgerin führen.
*
Jean Paul, der wortmächtige Schriftsteller, dessen Todestag sich dieses Jahr am 14. November zum 200. Male jährt, bewegt sich als literaturgeschichtlicher Einzelgänger zwischen Klassik und Romantik. Der Sonderling lässt sich aber nicht nur keiner Epoche so richtig klar zuordnen, sondern spaltete bereits zu Lebzeiten das Lesepublikum hinsichtlich seines Werkes: Euphorie einerseits und Unverständnis andererseits sind uns als die genuinen Lektüre-Reaktionen überliefert. Insbesondere auf die Gegenwartsliteratur, d.h. auf bedeutsame Autorinnen und Autoren des 20. und 21. Jahrhunderts, hat er dann allerdings großen Einfluss gehabt (so u.a. auf Georg Heym, Paul Celan, Arno Schmidt, Alban Nikolai Herbst). Insofern besitzt der renommierte Jean-Paul-Preis nicht nur aufgrund seiner hohen Dotierung, sondern auch Kraft seines eigenwilligen, charismatischen Namensgebers eine ganz besondere Strahlkraft.
Eine sehr harmonische Jurysitzung
Auch die diesjährige Preisträgerin ist eine bekennende Jean-Paul-Leserin. Bereits in Kindheitstagen las sie sich, beginnend mit Dr. Katzenbergers Badereise, durch dessen Gesamtwerk. Jean Pauls eigenbrötlerisches Figurenpersonal begleitet sie bis heute. Und von eigensinnig-obskuren, exzessiven Figuren-Persönlichkeiten lebt auch das literarische Werk von Christine Wunnicke, für das sie nun, am 11. Juli 2025, im Marktgräflichen Opernhaus Bayreuth mit dem Jean-Paul-Preis 2025 ausgezeichnet wurde.
„Ich liebe seine Figuren“, bekannte die bühnenscheue Autorin klar und schnörkellos. Selbst wenn „die große Bühne und das ganze Trara“ nichts für sie, Wunnicke, sei – Bayreuth, als der letzte Wohn-, Wirkungs- und Sterbeort Jean Pauls, bot mit den prunkvoll-künstlerischen Kulissen des Opernhauses indes die ideale Bühne für diese gut besuchte Literaturpreisverleihung, zu der Jury und Publikum, sichtlich überzeugt von ihrer Preisträgerin, angereist waren.
Und wozu Zeit verschwenden: Die Feierlaune begann bereits in den Begrüßungsworten des Bayerischen Staatsministers für Wissenschaft und Kunst, Markus Blume, hörbar zu werden. Er wies darauf hin, dass der Freistaat seine Literaturförderung seit 2020 verdoppelt habe. Was, wie er erklärte, nicht nur ein legitimer Grund für Bayern sei, neben der Preisträgerin auch sich selbst etwas mitzufeiern; der neuerliche Zuwachs an Förderungsmitteln verlieh seinen Worten darüber hinaus auch den nötigen Nachdruck: „Ein Land wie der Freistaat lebt von seinen Künstlerinnen und Künstlern. Für eine freiheitliche Gesellschaft sind Literaten unverzichtbar.“
Eine „sehr harmonische Jurysitzung“ sei dies laut der Jurysprecherin Prof. Dr. Barbara Vinken gewesen, die, in bewusster Analogisierung zu Jean Paul, auf Christine Wunnicke als eine „Ausnahmegestalt“ in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur hinwies.
„Ihre Kunst der historischen Momentaufnahme, die sie zum kultur- und gesellschaftlichen Bild aufspannt, besteht in einer ebenso eleganten wie klaren Textökonomie: Ihre Erzählungen sind stets in eine Spannung aus Verknappung und verblüffendem Detail gesetzt.“ – So lautet ein Auszug aus der gemeinsamen Begründung der Jury, die neben Prof. Dr. Barbara Vinken aus Prof. Dr. Frieder von Ammon, Frauke Kühn, Prof. Dr. Friedhelm Marx und Dr. Katrin Schumacher bestand. Die Jurybegründung schließt mit den Worten: „Ganz im Sinne Jean Pauls geht dieser Preis an die Autorin eines eigenständigen, widerspenstigen und phantastisch-fabulösen Werkes.“
Davon abgesehen, dass doch im Grunde jedes literarische Werk einen Anspruch auf Eigenständigkeit besitzen sollte, war der Jurysprecherin Vinken, die u.a. die „hinreißenden Enthüllungen und Verhüllungen“, die „Vielstimmigkeit der Sprache“ Wunnickes lobend hervorhob, anzumerken, dass sie hier mehr als einer Redepflicht nachkam. Auch wenn sie akustisch teilweise leider nicht immer gut zu verstehen war, vermittelte sich ihr Lob auf die diesjährige Preisträgerin überzeugend dem Publikum.
„Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht.“
Im schönsten Sinne „verständlich“ waren die musikalischen Beiträge des Duo Udite aus Berlin, das, auf ausdrücklichen Wunsch von Christine Wunnicke, Werke der venezianischen Barockkomponistin
Barbara Strozzi vortrug (L‘Eraclito Amoroso, op.2, Nr.10; Lamento, op 7, Nr. 4 und Che si può fare, op.4, Nr. 6).
Christine Wunnicke, die auf der Bühne nicht gerne viel Worte macht, „sprach" dafür durch ihre Wahl der Musik auf ganz besondere Weise zu ihrem Publikum. Die innig-intimen, stilistisch so gekonnt unbezähmbar-ungeschliffen wirkenden Liedwerke Barbara Strozzis berührten alle im Saal sichtlich tief. Bettina Bruns' herrlich kluger, expressiver Mezzosopran brachte sie in der sensiblen Begleitung des Konzertgitarristen Daniel Göritz zu Gehör. Ihre Darbietungen bildeten definitiv den Höhepunkt des Abends. Danach hatten es Worte erst einmal schwer; hatte man doch das Gefühl, alles, was Worte in diesem Zusammenhang auszudrücken vermögen, bereits so vollendet klingend durch die Musik erfahren zu haben.
Duo Udite: Bettina Bruns (links) und Daniel Göritz © Literaturportal Bayern
„Wer nicht zuweilen zu viel empfindet, der empfindet zu wenig.“ (Jean Paul)
Die Preisträgerin selbst fasste sich in ihren Dankesworten entsprechend kurz. Ihr Dank, der ganz ausdrücklich auch an die Person ihres Verlegers und an ihren Verlag Berenberg insgesamt gerichtet war, klang aufrichtig und in Kenntnis ihres Werkes nahm man ihr zudem die Worte: „Ich liebe Jean Paul, schon seit ich jung bin. Ich liebe seine Figuren“, sofort ab.
Ihr schöner Ausspruch „seit ich jung bin“ machte für die Zuhörenden durchaus Sinn. Denn Christine Wunnickes Werke sind – obwohl sie weit, oder besser: tief in ältere Zeiten zurückgreifen – jung. Sie sind einem zeitgenössischen Wahrnehmen von Welt abgerungen, das feinfühlig und höchst achtsam die Worte siebt und abwägt, bis jene Worte ihre Figuren sichtbar werden lassen und sie zu tragen vermögen. Wenn Jungsein beweglich bleiben heißt, dann ist Wunnickes Sprachkunst jung.
Im anschließenden Gespräch mit Katrin Schumacher u.a. auf das „feministische Projekt“ in ihren Werken angesprochen, erwiderte Wunnicke, dass jedes Buch, das von Frauen in älteren Zeiten handele, die etwas taten, was sie nicht tun durften, per se ein feministisches Projekt sei.
Natürlich muss es dabei um eine andere Wissenschaft, um eine andere Wahrhaftigkeit gehen, die den herrschenden Diskurs im besten Falle sowohl ergänzt als auch unterläuft, denn: „in dem Moment, wo ein Dialog vorkommt“, so die Autorin, „ist es gelogen. Es ist ein Roman.“
Glück bedeutet Furchtlosigkeit
Jenseits der Fiktion ergab sich für das Literaturportal dann im Nachklang noch die wunderbare Möglichkeit, der Preisträgerin ein paar kurze Fragen zu stellen:
LITERATURPORTAL BAYERN: Liebe Christine, ganz herzliche Gratulation zum Jean-Paul-Preis! Und auch einen lieben Dank dafür, dass du dich bereit erklärt hast, dich kurz auf dieses kleine Fragespiel hier einzulassen. Also: Wenn du Jean-Paul persönlich hättest kennenlernen können. Was hättest du ihn gerne gefragt oder ihm mitgeteilt?
WUNNICKE: Wie er auf den Hund im Hesperus gekommen ist und warum er das eine gute Idee fand.
LPB: Beim anschließenden Buffet, das sich origineller Weise an den Leibspeisen von Jean-Paul orientiert, gibt es so herrliche Bonmot-Gerichte wie „Andachtsfleisch“. Was isst du eigentlich am liebsten? Inspiriert dich das Zubereiten von Speisen?
WUNNICKE: Überhaupt nicht. Aber mich inspiriert total, wenn andere für mich kochen. Am besten etwas, was ich noch nicht kenne.
LPB: Nun hast du als Autorin bis zu dieser großen Auszeichnung hin bereits einen langen Weg, eine Route beschritten, die sicherlich nicht nur aus hübsch beleuchteten Promenadenwegen bestand. Was waren wichtige Stationen, Weggabelungen, Umwege? Was siehst du, wenn du heute auf deine Anfänge zurückblickst und, umgekehrt geschaut, wo zieht es dich gerade hin?
WUNNICKE: Geschichten erfinden ist immer eine Reise ins Blaue, das besteht nur aus Umwegen. Wenn ich zurückschaue, staune ich, wie viel Glück ich über die Jahre gehabt habe. Wo es mich hinzieht, weiß ich nicht, das weiß ich vorher nie.
LPB: Du wirst gern als Autorin bezeichnet, die historisch arbeitet, die in einem sehr eigenen Sinne historische Romane schreibt. Welches Verhältnis hast du, als Autorin und als Privatperson, zur Gegenwart?
WUNNICKE: Die Frage mit dem Verhältnis zur Gegenwart ist mir zu groß. Das Verhältnis ist halt so, wie man es erwarten würde in einer Situation, wo die ganze Welt relativ rasant in Faschismus und Wahnsinn versinkt. Aber wenn man das beschreibt, klingt es wie dieses etwas beliebige Polit-Gejammer, das immer wieder geäußert wird, das möchte ich nicht und ist auch gar nicht zielführend.
LPB: Um noch mal aufs Essen/Speisezubereitung zurückzukommen: Beim Lesen von Wachs stellt sich das Gefühl ein, dass deine Worte lange vor sich hin simmern, dann durch ein Sieb gefiltert/gedrückt werden und das konzentrierte Substrat ist dann das, was wir Lesenden uns einverleiben. Bei dieser Art der Verdichtung muss man natürlich sofort mal nachfragen: Wie wäre es denn mit Gedichten?
WUNNICKE: Die Metapher ist super. Ich übersetze furchtbar gerne Gedichte (alte, gereimte), aber selber schreiben kann ich leider keine.
LPB: In Anlehnung an Proust wurde der Crescendo-Fragenbogen für Künstlerinnen und Künstler entwickelt. Daraus abschließend, recht spielerisch, drei assoziative Fragen:
Welche natürliche Gabe hättest du gern?
Mathematik
Was würde niemand von dir vermuten?
Wahrscheinlich würden die wenigsten Leute auf die Idee kommen, dass ich beim Schreiben so laut alten amerikanischen Punkrock höre, dass mir das Hirn platzt.
Deine Vorstellung von Glück?
Furchtlosigkeit
LPB: Danke, Christine!
Und schließlich war es für die Preisträgerin selbst dann des Feierns und Redens genug. Aber all diejenigen, die dort an den festlich angestrahlten Stehtischen vor dem Opernhaus noch lange in ihrem Sinne weiterfeierten, freuen sich schon jetzt auf ein Wiedersehen – mit ihr und mit ihren Figuren.
Das Jean-Paul-Preis-Buffet vor dem Opernhaus © Literaturportal Bayern
Bayreuth, Bahnhofsviertel © Literaturportal Bayern