Lyrik im Brechthaus: Die „Augsburger Rauchzeichen“ gehen in die zweite Runde
Die Reihe „Augsburger Rauchzeichen“ des Brechthauses will in der Literaturszene ein Format platzieren, das auf Lyrik im deutschsprachigen Raum abzielt. Die Reihe wird in einem halbjährlichen Turnus ablaufen. Zum Start der zweiten Runde lesen am 4. Mai 2016 Nadja Küchenmeister, Claudia Kohlus und Jan Wagner.
*
Der Rauch
Das kleine Haus unter Bäumen am See
Vom Dach steigt Rauch
Fehlte er
Wie trostlos wären dann Haus, Bäume und See.
Rauchzeichen steigen hoch, signalisieren Botschaften, entfalten Größe und Form, lösen sich filigran auf. Gedichte gleichen Rauchzeichen, gewinnen ebenso vielgestaltig lyrische Höhe, stellen uns Fragen, geben uns Antworten, sind oft in den Wind gesprochen. „Rauchzeichen“ verpflichten das Brechthaus als Veranstalter, das Feuer zu hüten, um aktuelle Lyrik – am Puls der Zeit – in den Fokus stellen zu können.
***
schwarze wäsche
und dann die wäschestücke, die immer
schwarz und immer wäsche waren und
hecke und ein blick voll hecke und auch
der weg, der jene hecke fasste, war so
ein schwarzes wäschestück. ein blick.
ein wäschestück, das sich so schwer und
schwarz unter dem dem regen machte und
wieder atmen konnte, wenn ein wind aufkam
und sonnenlicht stieg aus der regenlache
die immer kleiner wurde auf dem tisch und
auf dem stuhl, der feucht von regen glänzte
hing noch ein schwarzes wäschestück.
Nadja Küchenmeister, geboren 1981 in Berlin, lebt dort. Sie studierte Germanistik und Soziologie an der Technischen Universität Berlin und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Arbeit für den Rundfunk, u.a. als Literaturkritikerin, sowie als Hörspiel- und Featureautorin. Sie war Gastdozentin an der Universität Bielefeld und am DLL. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Mondseer Lyrikpreis und Förderpreis zum Bremer Literaturpreis. 2010 erschien ihr Gedichtband Alle Lichter bei Schöffling & Co., 2014 folgte Unter dem Wacholder im selben Verlag.
***
wir sahen hochhaussiedlungen du nanntest sie
setzkästen der unterdrückten und sagtest hier keime
eine radikale humorlosigkeit beizeiten und längst
harren die narren wieder bei hofe du sagtest es prahle
hier niemand mit kräuterspiralen und niemand harke
den kies in wellen hier leben einsame dornröschen
gestapelt übereinander und verweigern das erwachen
du zeigtest mir waben im beton darin scheinprinzen
rücklings sitzend auf ihren kleppern
Claudia Kohlus wurde am 26. Oktober 1972 in West-Berlin geboren und lebt mittlerweile in Salzburg. Ihre Gedichte wurden in zahlreichen Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht, darunter manuskripte, Jahrbuch der Lyrik und lauter niemand. 2010 erschien ihr erster Gedichtband blumenmob in der Reihe Fixpoetry-Lesehefte. Im letzten Jahr folgte in limitierter Auflage der Band märchenstundung in der Reihe Weiße Hefte bei Edition Schultz & Stellmacher. Claudia Kohlus' Arbeiten wurden u.a. mit dem Ehrenpreis zum Wiener Werkstattpreis für Lyrik, dem Werkstattstipendium des Lyrik Kabinetts München sowie dem Kunstförderpreis der Stadt Augsburg in der Sparte Literatur ausgezeichnet.
***
säge
wer wüßte mehr von trennen und gelingen
zugleich? die feinen zähne des piranha,
der schlanke griff – und schimmernd wie die klinge,
die zwischen sigurd und der keuschen brynhild
ruhte, bis die morgensonne
durchs fenster auf das betttuch rieselte.
und plötzlich kehrt der duft der sägespäne
zurück, jener moment im zirkuszelt,
in dem die jungfrau lächelnd in zwei teilen
sich wiederfand, der große zambonini
den hut abnahm, um ihn just dort zu wedeln,
wo beides wahr schien, zwischen rumpf und beinen
im trommelschwellen, im wirbel des lichts
nicht etwas da war, aber auch nicht nichts.
Jan Wagner, geboren 1971 in Hamburg, lebt seit 1995 in Berlin. Lyriker, Übersetzer englischsprachiger Lyrik, freier Literaturkritiker sowie bis 2003 Mitherausgeber der internationalen Literaturschachtel Die Aussenseite des Elementes. Für seine Lyrik, die in 30 Sprachen übersetzt wurde, erhielt er neben Stipendien (u.a. 2011 in der Akademie Rom/Villa Massimo und 2015 in der Villa Aurora in Los Angeles) u.a. den Mondseer Lyrikpreis (2004), den Anna-Seghers-Preis (2004), den Ernst-Meister-Preis (2005), den Wilhelm-Lehmann-Preis (2009), den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Tübingen (2011), den Kranichsteiner Literaturpreis (2011), den Mörike-Preis (2015), den Preis der Leipziger Buchmesse (2015) sowie den Samuel-Bogumil-Linde-Preis (2016).
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Lyrik im Brechthaus: Die „Augsburger Rauchzeichen“ gehen in die zweite Runde>
Die Reihe „Augsburger Rauchzeichen“ des Brechthauses will in der Literaturszene ein Format platzieren, das auf Lyrik im deutschsprachigen Raum abzielt. Die Reihe wird in einem halbjährlichen Turnus ablaufen. Zum Start der zweiten Runde lesen am 4. Mai 2016 Nadja Küchenmeister, Claudia Kohlus und Jan Wagner.
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Der Rauch
Das kleine Haus unter Bäumen am See
Vom Dach steigt Rauch
Fehlte er
Wie trostlos wären dann Haus, Bäume und See.
Rauchzeichen steigen hoch, signalisieren Botschaften, entfalten Größe und Form, lösen sich filigran auf. Gedichte gleichen Rauchzeichen, gewinnen ebenso vielgestaltig lyrische Höhe, stellen uns Fragen, geben uns Antworten, sind oft in den Wind gesprochen. „Rauchzeichen“ verpflichten das Brechthaus als Veranstalter, das Feuer zu hüten, um aktuelle Lyrik – am Puls der Zeit – in den Fokus stellen zu können.
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schwarze wäsche
und dann die wäschestücke, die immer
schwarz und immer wäsche waren und
hecke und ein blick voll hecke und auch
der weg, der jene hecke fasste, war so
ein schwarzes wäschestück. ein blick.
ein wäschestück, das sich so schwer und
schwarz unter dem dem regen machte und
wieder atmen konnte, wenn ein wind aufkam
und sonnenlicht stieg aus der regenlache
die immer kleiner wurde auf dem tisch und
auf dem stuhl, der feucht von regen glänzte
hing noch ein schwarzes wäschestück.
Nadja Küchenmeister, geboren 1981 in Berlin, lebt dort. Sie studierte Germanistik und Soziologie an der Technischen Universität Berlin und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Arbeit für den Rundfunk, u.a. als Literaturkritikerin, sowie als Hörspiel- und Featureautorin. Sie war Gastdozentin an der Universität Bielefeld und am DLL. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Mondseer Lyrikpreis und Förderpreis zum Bremer Literaturpreis. 2010 erschien ihr Gedichtband Alle Lichter bei Schöffling & Co., 2014 folgte Unter dem Wacholder im selben Verlag.
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wir sahen hochhaussiedlungen du nanntest sie
setzkästen der unterdrückten und sagtest hier keime
eine radikale humorlosigkeit beizeiten und längst
harren die narren wieder bei hofe du sagtest es prahle
hier niemand mit kräuterspiralen und niemand harke
den kies in wellen hier leben einsame dornröschen
gestapelt übereinander und verweigern das erwachen
du zeigtest mir waben im beton darin scheinprinzen
rücklings sitzend auf ihren kleppern
Claudia Kohlus wurde am 26. Oktober 1972 in West-Berlin geboren und lebt mittlerweile in Salzburg. Ihre Gedichte wurden in zahlreichen Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht, darunter manuskripte, Jahrbuch der Lyrik und lauter niemand. 2010 erschien ihr erster Gedichtband blumenmob in der Reihe Fixpoetry-Lesehefte. Im letzten Jahr folgte in limitierter Auflage der Band märchenstundung in der Reihe Weiße Hefte bei Edition Schultz & Stellmacher. Claudia Kohlus' Arbeiten wurden u.a. mit dem Ehrenpreis zum Wiener Werkstattpreis für Lyrik, dem Werkstattstipendium des Lyrik Kabinetts München sowie dem Kunstförderpreis der Stadt Augsburg in der Sparte Literatur ausgezeichnet.
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säge
wer wüßte mehr von trennen und gelingen
zugleich? die feinen zähne des piranha,
der schlanke griff – und schimmernd wie die klinge,
die zwischen sigurd und der keuschen brynhild
ruhte, bis die morgensonne
durchs fenster auf das betttuch rieselte.
und plötzlich kehrt der duft der sägespäne
zurück, jener moment im zirkuszelt,
in dem die jungfrau lächelnd in zwei teilen
sich wiederfand, der große zambonini
den hut abnahm, um ihn just dort zu wedeln,
wo beides wahr schien, zwischen rumpf und beinen
im trommelschwellen, im wirbel des lichts
nicht etwas da war, aber auch nicht nichts.
Jan Wagner, geboren 1971 in Hamburg, lebt seit 1995 in Berlin. Lyriker, Übersetzer englischsprachiger Lyrik, freier Literaturkritiker sowie bis 2003 Mitherausgeber der internationalen Literaturschachtel Die Aussenseite des Elementes. Für seine Lyrik, die in 30 Sprachen übersetzt wurde, erhielt er neben Stipendien (u.a. 2011 in der Akademie Rom/Villa Massimo und 2015 in der Villa Aurora in Los Angeles) u.a. den Mondseer Lyrikpreis (2004), den Anna-Seghers-Preis (2004), den Ernst-Meister-Preis (2005), den Wilhelm-Lehmann-Preis (2009), den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Tübingen (2011), den Kranichsteiner Literaturpreis (2011), den Mörike-Preis (2015), den Preis der Leipziger Buchmesse (2015) sowie den Samuel-Bogumil-Linde-Preis (2016).
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