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15.05.2023, 16:52 Uhr
Thomas Lang
Gespräche

Interview mit Nora Gomringer zum 25-jährigen Bestehen der Villa Concordia

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© Maria Svidryk

Das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia ist eine Institution des Freistaats Bayern und untersteht dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst. 1997 wurde es im barocken Gebäude der Villa Concordia in Bamberg errichtet. 2023 jährt sich zum 25. Mal die Aufnahme seines Stipendiatenbetriebs. Grund genug also für das Literaturportal Bayern, einmal auf die vergangenen Jahre zurückzublicken. Ein Interview mit der Direktorin des Künstlerhauses Nora Gomringer, geführt von Thomas Lang

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LITERATURPORTAL BAYERN: Frau Gomringer, zunächst herzlichen Glückwunsch zum 25-jährigen Bestehen des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia! Ein Vierteljahrhundert – dieser große Zeitraum bekräftigt, wie sehr Ihr Haus zur einer Institution geworden ist. Was leistet die Villa Concordia im Bayerischen Kulturbetrieb?

NORA GOMRINGER: Vielen Dank für die Glückwünsche, die ich gerne stellvertretend entgegennehme! Stellvertretend für rund 300 Künstler, das feste Team der Mitarbeiter – past & present –, die Referatsmitarbeiter im Staatsministerium, meinen Amtsvorgänger Prof. Goldmann und unsere Kuratoriumsmitglieder, die verschiedenen Kunstminister, die uns begleitet, gefördert und die Geschicke um und für das Haus auch verändert haben. Sie merken: Für mich steht das Künstlerhaus für einen großen Willen, der immer wieder von vielen Menschen bekräftigt werden muss, damit der Austausch zwischen Künstlern, Kunst und Publikum gelingen kann. Und das können wir am besten leisten: Austausch und Begegnung für Künstlerinnen und Künstler untereinander. Und für das Publikum mit den Inhalten der Künste des Jetzt. Wir sind stolz auf stetige inhaltliche Zusammenarbeit mit Schulen, dem Ministerium, Universitäten, der VHS, dem Landkreis, Stiftungen sogar mit der JVA Ebrach. Unsere Veranstaltungen sollen Neugierde wecken, stehen nicht absolut für „alle Künste“, sondern lassen erfahren, was es neben dem eigenen Radius an Wahrnehmung eben noch zu erleben gibt. Mir hat gerade letzthin jemand gesagt, dass er noch nie einer Live-DJ beim Performen eines Musikstückes zugesehen und -gehört hat, bei dem es nicht ums Tanzen ging. Die Turntables als Instrument in einem Ensemble. Das hat ihn umgehauen. Für solche Begegnungen begeistern wir uns im Künstlerhaus.

In diesen 25 Jahren waren, wie Sie sagten, rund 300 Kreative aus den Sparten Musik, Bildende Kunst und Literatur in der Villa Concordia zu Gast, viele davon ein ganzes Jahr lang. Bekommen Sie Rückmeldungen, nimmt der Aufenthalt in Bamberg Einfluss auf die Entwicklung und Arbeit der Kunstschaffenden?

Wir freuen uns sehr, wenn der Name der Institution versehen mit einem Dank eine neue Publikation oder einen Programmzettel für ein Konzert schmückt. Wenn also ein Künstler oder eine Künstlerin die Öffentlichkeit davon in Kenntnis setzt, dass die Auszeichnung mit dem Aufenthaltsstipendium im Künstlerhaus für den nötigen Arbeitsraum, Anschub oder einfach nur Ruhe sorgte, um dieses Werk entstehen zu lassen. Das sind Rückmeldungen, die bleiben und sichtbar machen. Dank, freundliche und auch konstruktive, kritische Worte werden jedes Jahr gesprochen. Mir ist das sehr wertvoll. Ich selbst darf 13 der 25 Jahre bisher „überblicken“ und mitgestalten. Ich fühle, dass jeder Aufenthalt in der Fremde die Kraft hat, eine biografische Erfahrung zu werden. Und die sind, je nach eigener Einbringung des Stipendiaten, der Stipendiatin, bunt wie das Leben in elf Monaten eben sein kann.

© Villa Concordia

Sie führen in Ihrem Haus jährlich etwa 40 Veranstaltungen durch. Wie wirkt die Präsenz so vieler Künstler*innen auf Bamberg?

Positiv. Quirlig. Und gut „aushaltbar“. Unsere Abende sind meistens sehr gut besucht, was ich auch der relativen Schwellenlosigkeit und dem Zugehörigkeitsgefühl zum Künstlerhaus zurechne. Bei uns ist der Eintritt zu Veranstaltungen frei und die Möglichkeit, sich danach noch über das gemeinsam Gesehene auszutauschen gegeben, ohne Zwang oder Kosten. Es entstehen oft richtige Freundschaften unserer Stipendiaten mit Ansässigen.

Können Sie zurückblicken auf die Anfänge? Welche Entwicklungen und Veränderungen gab es im Lauf der Jahre?

Dienststellen sind da sicher nicht anders als Betriebe. In 25 Jahren bewegt sich so viel. Mein Amtsvorgänger Prof. Bernd Goldmann war Gründungsdirektor des Künstlerhauses und hat entscheidende Weichen gestellt mit einem sehr für die Bildende Kunst begeisterten Freundeskreis. Heute darf ich mit einem ähnlich großen, aber weiter ausgefächert interessierten Freundeskreis arbeiten. Diese Herrschaften begeistern sich für die Stipendiatinnen und Stipendiaten, die vor Ort sind und ihre Projekte vorantreiben möchten. Hierbei leisten sie ideelle und finanzielle Hilfestellung. Von ihnen stammt auch zum Beispiel ein wichtiger „Wohlfühlfaktor“ im Stipendium: Fahrräder! Jeder Stipendiatenhaushalt kann ein gewartetes Fahrrad ausleihen und sich Bamberg erradeln. Im Kernteam der Mitarbeiter gibt es erstaunlich wenig Veränderung. Ich darf auf die Erfahrung und Unterstützung langgedienter Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bauen. In den Künsten hat sich einiges getan, was mit Förderstrukturen der letzten Dekaden zu tun hat, mit Wertewandel und Globalismus. Künstler sind komplett international vernetzt, brauchen gutes Internet, leben und schätzen Gemeinschaft, aber die eben zeitweise auch virtuell. Die Kunst verändert dieser Einfluss. Kollektive entstehen, die sich physisch kaum treffen, aber feste Verbindung durch Zoom fühlen. Wir laden einen Künstler ein und erhalten quasi sein Netzwerk dazu. Das ist hochinteressant und herausfordernd. Die Medienlandschaft hat sich in den Jahren vollkommen verändert. Wir können bei Rezeption und Außenwahrnehmung nicht mehr auf Print bauen und haben uns bewusst professionell unterstützt in die sozialen Netzwerke aufgemacht. Von daher auch: keine Festschrift als Geschenk an uns und alle zum 25., sondern ein knackiger Trickfilm. Schon gesehen?

Seit Anbeginn gibt es in jedem Jahr einen Länderschwerpunkt. Künstler*innen aus je einem Staat werden zusammen mit solchen aus Deutschland eingeladen. Welchen Vorteil bietet dieses Verfahren? Können Sie sich vorstellen, die Stipendiaten auch nach anderen Kriterien auszuwählen?

Das müssten Sie unser Kuratorium fragen. Wir schließen nur sehr beeindruckt jedes Jahr das Kapitel dieses „Doppelaufschlags“ und bemerken, dass sich durch diese Duo-Struktur sehr positive Synergien ergeben. Der Gedanke ist ja auch, dass sich arrivierte Künstlerinnen und Künstler begegnen und nicht totale „Frischlinge“. Wenn ein bedeutender deutscher Autor auf einen anderen seiner Couleur aus Litauen trifft, dann haben die beiden einen interessanten Austausch darüber, was es heißt, im jeweiligen Land eine künstlerische Karriere „zu bauen“. Und rein praktisch haben wir einfach zwölf Wohnungen, acht Ateliers (vier für Komponisten, vier für Bildende), ein paar Parkplätze, einen großen Garten und eine viel bespielte Tischtennisplatte. Da wird auch viel Künstlerhausgeschichte geschrieben.

In diesem Jahr, 2023, werden Kreative aus der Ukraine das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia beziehen. Ist das angesichts des Krieges dort ein besonderes Zeichen der Unterstützung? Hat – allgemein gesprochen – die Arbeit der Villa eine politische Dimension etwa im Zeichen der Verständigung oder Vernetzung?

Ja und Ja. Die Auswahl der verschiedenen Gastländer allein kann hin und wieder als politischer Indikator gewertet werden. Ich bin sicher, dass bestimmte Entscheidungen auf Landesebene, sich in der Kulturpolitik manchmal stark und sofort und manchmal durch Langfristigkeit abbilden. Wir sind da nicht den stürmischsten Wetterlagen angepasst, aber hier und da merkt man, dass sich ein Wunsch formuliert. Als zum Beispiel die chinesische Provinz Shandong und auch Québec als Gastländer eingeladen waren. Ukrainische Künstlerinnen und Künstler zu unterstützen ist seit den ersten Tagen des russischen Angriffskrieges ein bewusstes Anliegen des Staatsministers für Kunst, Markus Blume. Er hat sofort grünes Licht für die Auszahlung von zwölf zusätzlichen Stipendien an geflüchtete Künstler gegeben. Die Rückmeldungen hierzu waren sehr, sehr berührend und wurden in kurzen Interviews – auch im Magazin aviso 2 / 2022 – festgehalten.

Welche Perspektiven sehen Sie für die kommenden 25 Jahre der Villa Concordia?

Wir leben von den Veränderungen, die Künstlerinnen und Künstler, die verschiedene Kunstszenen der Länder erleben. Was sie erschüttert und aufbaut, erhält und zur Transformation führt. Diese Prozesse werden in den nächsten 25 Jahren Künstlerförderung aktiv bewerten, bestärken, aber auch angreifen. Künstlerhäuser müssen sich ganz klar als Orte der kostbaren und wandelbaren Partizipation an Kultur in vielen Formen etablieren. Labor, Guckkasten, Think-Tank – all das sind Künstlerhäuser, aber eben auch Rückzug, Kontemplation, Kreationsräume. Unsere Aufgabe ist es auch im politischen Sinne – diese Schlagworte mit Werten zu füllen und eben nicht wie ein Raumschiff oder „Elfenbeinturm“ zu wirken und uns abzuschotten. Wir werden wachsen und uns wandeln und mit unserem Publikum immer neu Begegnung und Austausch pflegen. Bei uns sei jeder willkommen.

Vielen Dank für das Gespräch!