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19.10.2022, 15:09 Uhr
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Interview mit Gunna Wendt zu ihrem neuen Buch

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© Reclam Verlag

Die Beziehung zu einer Schwester gehört zu den intensivsten Bindungen im Leben – sie kann fundamentalen Halt, aber auch viel Zündstoff bieten. So war für Simone de Beauvoir ihre Schwester Hélène Komplizin und Untertanin zugleich, und Liesl Karlstadt fand nach schwerer Krise nur mit Hilfe ihrer Schwester zurück in den Alltag. Über Schwestern weiß die Münchener Autorin Gunna Wendt allerhand zu erzählen: „Waren wir doch Teile voneinander“. Geschichten von berühmten Schwestern lautet der Titel ihres neuen Buchs, mit Illustrationen von Hannah Kolling, erschienen im Reclam-Verlag. Im Folgenden haben wir sie näher zu ihrem Buch und zum Schwesternthema befragt.

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LITERATURPORTAL BAYERN: Liebe Gunna Wendt, Sie haben sich in Ihrem neuen Buch einigen Schwesternpaaren zugewandt, bei denen der eine Part berühmt ist, der andere (meist) eher im Schatten steht. Warum wollten Sie davon erzählen?

GUNNA WENDT: Ich bin bei der Arbeit an meinen Biografien ab und zu auf „Nebenfiguren“ gestoßen, die für meine jeweilige Protagonistin – meistens sind es ja Frauen, über die ich schreibe – von großer Bedeutung waren. Ja und nicht selten sind es Schwestern gewesen, zum Beispiel Elisabeth Wellano, Liesl Karlstadts jüngere Schwester, oder Christiane Ensslin, Gudrun Ensslins ältere Schwester. Die Schwestern-Beziehung ist eine ganz besondere – vielleicht weil sie keine selbstgewählte ist.

Haben Sie ein Grundmuster ausmachen können, eine Dynamik, die dazu führt, dass die eine Schwester berühmt wird, während die andere zurückhaltend bleibt?

Nicht in Hinblick auf Berühmtheit und Erfolg, aber was mir deutlich geworden ist: Schwestern oder allgemein Geschwister können sehr unterschiedlich sein, obwohl sie im gleichen Kontext aufgewachsen sind. Das klingt trivial, ich weiß, ist aber eigentlich in ihrer Konsequenz eine fundamentale Erkenntnis, die zu berücksichtigen ist, besonders wenn man Biografien schreibt. Dadurch verändert sich die Zugangsweise und damit letztlich die Erzählweise.

Der Lebenszeitraum der Geschwisterpaare – Klaus und Erika Mann sind auch dabei – erstreckt sich vom 18. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Was hat sich in der Haltung, die Geschwister zueinander einnehmen, geändert?

Die Familienbindung ist in diesem Zeitraum immer lockerer geworden. Der familiäre Zusammenhang hat sich erweitert, mit Folgen für das Verhältnis der Familienmitglieder, besonders der Geschwister untereinander – Stichwort Patchwork-Familie.

Was steht im Vordergrund: Konkurrenz oder Solidarität?

Eine subtile Mischung aus beidem. Schwestern können miteinander konkurrieren und gleichzeitig stolz aufeinander sein. Das habe ich von Hélène de Beauvoir, Elsa Triolet und Charlotte Brontë gelernt.

Wie haben Sie sich Ihrem Thema genähert? Wie recherchiert man Details zu Personen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen?

Man liest zwischen den Zeilen, vermutet, rekonstruiert, leistet eine gewisse Detektivarbeit und erfährt dabei immer mehr. Ganz wichtig: Die Schwester im Hintergrund ist Protagonistin ihrer eigenen Lebensgeschichte, nicht Statistin der Lebensgeschichte ihrer berühmten Schwester.

Gibt es eine Episode im Leben dieser Schwesternpaare, die Ihnen bei der Recherche besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Was mir spontan einfällt: Die Freude Elsa Triolets, als sie auf der Pont des Arts in Paris das Porträt ihrer Schwester Lilja Brik aufs Pflaster gemalt sah, und Nannerl Mozarts Traurigkeit, als sie, die das Reisen so liebte, nach Jahren gemeinsamen Auftretens mit ihrem kleinen Bruder zu Hause bleiben musste, weil sie zu alt war für die Kinderstarkarriere.

Was würden Sie der Schwester einer berühmten Frau heute mitgeben?

Berühmtheit ist eine Zuschreibung von außen, das beschränkt ihre Wichtigkeit, und hat daher für die eigentliche Beziehung nur marginale Bedeutung.

 

Die Fragen stellte Thomas Lang.

 

Gunna Wendt lebt seit 1981 als freie Autorin, Publizistin und Kuratorin in München. Neben Arbeiten für Theater und Rundfunk veröffentlichte sie mehrere Bücher, darunter Biographien über Liesl Karlstadt, Helmut Qualtinger, Maria Callas und die Familie Bechstein. 2017 wurde Gunna Wendt für ihre Arbeit mit dem Schwabinger Kunstpreis ausgezeichnet.