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28.06.2021, 13:30 Uhr
Klaus Hübner
Gespräche
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Erich Pawlu © privat

Klaus Hübner im Gespräch mit Erich Pawlu

Die 142. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema kostbarKlaus Hübner veröffentlicht darin ein Interview mit Erich Pawlu.

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Der 1934 im nordmährischen Frankstadt geborene Dichter, Prosaautor, Kulturjournalist und Pädagoge Erich Pawlu lebt seit über sechzig Jahren in Dillingen an der Donau, wo er als Lehrer und Studiendirektor am Johann-Michael-Sailer-Gymnasium tätig war und seine äußerst umfangreiche literarisch-journalistische Tätigkeit entfaltete. Er veröffentlichte Gedichte, Erzählungen, Satiren, Glossen, Hörspiele und Rundfunksketche sowie eine kaum überschaubare Menge von Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträgen. Näheres unter www.erichpawlu.de. In Literatur in Bayern wurden seine Persönlichkeit und sein Werk im Jahr 2004 von Kathrin Mertens gewürdigt (Heft 75). Klaus Hübner hat ihn in Dillingen besucht.

Klaus Hübner: Lieber Herr Pawlu, fangen wir ganz früh an: Ihr Geburtsort Frankstadt (an der Mährischen Grenzbahn) hat auch dazu beigetragen, den Autor Erich Pawlu ins Lexikon deutschmährischer Autoren aufzunehmen, das die Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur an der Universität Olomouc/Olmütz erarbeitet hat. »Deutsch­mährischer Autor« – fühlen Sie sich damit wohl?

Erich Pawlu: Das Schicksal der Vertreibung hat mich entscheidend geprägt, sodass die Erinnerung an die verlorene Heimat auch meine schriftstellerische und publizistische Arbeit nachhaltig beeinflusst hat. Allerdings ging es mir dabei nie um politisch-ideologische Zielsetzungen. Mit meinen autobiografisch gefärbten Texten wollte ich vielmehr das menschliche Leid verdeutlichen, das unter einer historisierenden Lehrbuch-Überschrift wie »Konferenz von Potsdam« verborgen wird.

KH: 1981 erschien Ihr Erzählungsband Gestörte Spiele oder Das umgedrehte Hitlerbild, in dem es vor allem um eine Kindheit und Jugend in Mähren in der Zeit des Protektorats und des Zweiten Weltkriegs geht. Unter den zahlreichen Auszeichnungen, die Sie seit den späten 1960er­Jahren erhalten haben, ist der Ihnen 1986 zuerkannte »Sudetendeutsche Kulturpreis für Literatur«. Den haben unter anderem Hanns Cibulka, Peter Kurzeck, Reinhard Jirgl und Erica Pedretti bekommen. Sind Sie ein »sudetendeutscher Autor«?

EP: Über den Preis habe ich mich natürlich sehr gefreut, zumal er im Herkulessaal der Münchner Residenz in großem Rahmen überreicht wurde (schmunzelt). Die authentischen Erzählungen im Band Gestörte Spiele oder Das umgedrehte Hitlerbild schildern weniger die Kindheit eines sudetendeutschen Jungen. Eher beschäftigen sie sich parabelhaft mit den Erlebnissen eines Kindes in Zeiten der Diktatur und der Anarchie.

KH: »Sudetendeutscher Autor« wäre also eine zu kleine, zu enge Schublade?

EP: Ja.

KH: Sie wurden gewaltsam aus der tschechoslowakischen Republik vertrieben. Wie die meisten »Sudetendeutschen« gelangten Sie nach Bayern. In den 1950er-Jahren studierten Sie Germanistik, Geschichte und Geografie an der Universität München. Wie war das damals? Ein lustiges Studentenleben?

EP: Genau das Gegenteil. Ich erhielt ab dem zweiten Semester ein staatliches Stipendium, war aber bettelarm. Wenn ich eine Mitstudentin dennoch zu einem Glas Wein einlud, plagte mich die Angst, dass sie mich bitten könnte, ein zweites Glas zu bestellen. Und dass mein Mittagessen häufig auf einen Viertelliter Buttermilch und eine Semmel reduziert wurde, führte dazu, dass sich in der kalten Jahreszeit der Wintermantel auf meinen Schultern als kaum zu ertragende Last erwies. Das alles aber steigerte die Intensität meines Studiums, sodass ich es schon nach acht Semestern erfolgreich abschließen konnte. Ich wollte endlich eigenes Geld verdienen.

KH: Seit 1959 waren Sie Gymnasiallehrer. Und, wie man auch aus Ein kleines bisschen Reife (1982) erfahren kann, ein engagierter, überaus einfühlsamer und vielleicht auch begeisterter Pädagoge. Lehrer und Schriftsteller – bei Ihnen kein Gegensatz? Oder täuscht dieser Eindruck?

EP: (lacht) Ich war immer gern Pädagoge. Auch meine Schülerinnen und Schüler am Johann-Michael-Sailer-Gymnasium spürten wohl, dass ich sie für Sprache und Literatur begeistern wollte. Jahr für Jahr wählten sie mich zum Lehrer ihres besonderen Vertrauens. Meine schriftstellerischen Ambitionen erwähnte ich im Unterricht nicht. Der Einblick in die oftmals komplizierten Biografien meiner Abiturienten erwies sich als entscheidender Impuls für die Entstehung des Erzählbandes Ein kleines bisschen Reife. Das Buch brachte mir allerdings auch großen Kummer ein. Mehrere Einwohner Dillingens fühlten sich beschrieben. Meine psychologisierende Charakterisierung eines unternehmerischen Trinkers führte dazu, dass sich eine ganze Gruppe von trinkenden Unternehmern karikiert fühlte. Ich wurde mehrfach vehement darauf hingewiesen, dass ein in Dillingen lebender Schriftsteller dem Ruhm der Stadt zu dienen habe. Dass ich meinen Beruf als Lehrer ernst nehmen und dennoch auf 24.000 Einzelveröffentlichungen kommen konnte, verdanke ich zu einem wesentlichen Teil meiner Frau Marlene. Von der Eheschließung im Jahre 1976 bis zu ihrem Tod im Jahre 2017 verband uns eine faszinierende, inspirierende Harmonie.

KH: »Sein literarisches Hauptinstrument ist die Satire, ob er nun Gedicht, Erzählung oder Aphorismus als Form wählt«, kann man über Sie lesen. Wenn das richtig ist, dann sind Ihre »Satiren« recht milde, human, vom Sprachwitz lebend, niemals ätzend oder gar verletzend wie manchmal bei Tucholsky. Ist das Satirische wirklich ein Grundzug Ihres Schaffens? Oder eher das Ironische?

EP: Die Ironie, die zu meinem Handwerkszeug gehört, verbündet sich in meinen Veröffentlichungen gelegentlich mit dem Spott der Satire. Aber Sie haben recht: Mir geht es nicht darum, jemand zu verletzen. Ziel meiner heiter­ironischen Geschichten ist die Verdeutlichung der Kuriositäten, die den Alltag unserer Zeit bestimmen. Die Fähigkeit, diese Absurditäten zu erkennen und zu beschreiben, verdanke ich einem frühen Schlüsselerlebnis: Als Elfjähriger beobachtete ich im Sommer 1945 drei tschechische Frauen, die am Eingangsportal meiner Heimatkirche eine Marienstatue umarmten und sich dafür bedankten, dass Gott ihnen so schöne Häuser geschenkt habe. Man muss sich vorstellen, in welchem Umfeld dieses Dankgebet geschah. Viele ehemalige deutsche Hausbesitzer kämpften in Lagern um ihr Überleben. Selbstverständlich sah ich als deutscher Junge in den Enteignungen ein himmelschreiendes Unrecht. Konsequenterweise empörte mich die religiöse Dankbarkeit der tschechischen Frauen. Ich hätte diese Haltung als »pervers« eingestuft, wenn mir der Begriff damals schon zur Verfügung gestanden hätte. Aber seitdem weiß ich, dass sich jeder Vorgang von zwei Seiten betrachten lässt. Die erworbene Gabe der Ambivalenz bestimmt bis heute meine Beobachtung zeitgenössischer Ereignisse und Entwicklungen. Sie ist die Grundlage meiner Ironie.

KH: Weil ich gerade Tucholsky erwähnt habe – wer sind denn Ihre literarischen »Hausheiligen«?

EP: Ich war während meiner Gymnasialzeit Schüler des Canisius-Konvikts in Ingolstadt. Die heute nicht mehr vorstellbare Strenge der Erziehung hatte eine Lücke: Man durfte in der Freizeit lesen. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich behaupte, dass ich den belletristischen Büchern der Ingolstädter Stadtbücherei mein heiles Überleben verdanke (lächelt). Natürlich entwickelte man Tricks, die Lesefreuden auch in der »Studierzeit« ermöglichten. So eroberte ich mir mit den Büchern der großen Autoren aus Deutschland, Frankreich, den USA und Russland ein triumphales Gefühl der Freiheit. Schon damals und noch mehr während des Studiums wurde Thomas Mann mein Lieblingsautor.

KH: Die Literaturkritik hat immer wieder Ihren »gepflegten Stil« herausgestellt und gewürdigt. Was ist das? Und warum ist »gepflegter Stil« wichtig?

EP: Mein Respekt vor dem Werk Thomas Manns hat mir verdeutlicht, dass wirkliche Literatur nicht beim Geplapper, sondern bei der sprachlichen Kunst beginnt.

KH: Dann müsste Ihnen ja die Gegenwart, sprachlich­stilistisch betrachtet, ein Gräuel sein, und weit mehr als die Hälfte der Gegenwartsliteratur ebenfalls. Ist das so?

EP: Das ist so.

KH: Lieber Herr Pawlu, wir müssen zum Schluss kommen ...

EP: Oh, schade ...

KH: Ja, schade, aber es hilft nichts ... Sie sind jetzt 86 Jahre alt, Ihre Schaffenskraft ist ungebrochen, aber neuerdings machen Ihnen die Knie und der Rücken zu schaffen. Wie geht es weiter?

EP: In meinem Alter muss man mit gesundheitlichen Einschränkungen rechnen.

KH: Lieber Herr Pawlu, danke für Ihre Zeit – und weiterhin alles Gute!