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Thomas von Steinaecker über die faszinierende Dunkelheit der Zukunft, seinen neuen Roman und die Menschlichkeit von Robotern

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© S. Fischer Verlag

Thomas von Steinaecker, geboren 1977 in Traunstein, wohnt in Augsburg. Er hat vielfach ausgezeichnete Romane geschrieben – unter anderem „Wallner beginnt zu fliegen" und „Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und anfing zu träumen" – und ist Autor von Hörspielen und journalistischen Arbeiten. Außerdem dreht er Dokumentarfilme, für die er unter anderem den ECHO Klassik erhielt. 2015 initiierte er das Online-»Mosaik-Roman«-Projekt „Zwei Mädchen im Krieg" und veröffentlichte ab Oktober zusammen mit der Zeichnerin Barbara Yelin den Fortsetzungs-Webcomic „Der Sommer ihres Lebens". Im Frühjahr 2016 erschien sein fulminanter Zukunftsroman „Die Verteidigung des Paradieses".


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Literaturportal Bayern: Thomas von Steinaecker, seit ein paar Jahren erleben Dystopien in der deutschen Literatur eine starke Renaissance. Woran könnte das liegen – und wie kamen Sie selbst dazu?

Thomas von Steinaecker: Ja, woran liegt das … vielleicht sage ich erst einmal, wie ich selbst dazu kam. Ich habe mit dem Roman 2011 begonnen. Damals hatte ich das Gefühl, dass ich auserzählt bin; ja, schlimmer noch, dass ich den Wörtern nicht mehr vertrauen kann, weil alles, was ich schrieb, mir wie eine Phrase erschien. Dann hatte ich plötzlich die Idee für eine Geschichte, auf die ich zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder richtig Lust hatte, auch weil sie eigentlich die Imitation von zwei meiner Lieblingsbücher ist, Haushofers „Die Wand“ und Jules Vernes „Die Gestrandeten“. Diese Geschichte deckt sich im Wesentlichen mit dem ersten Teil des jetzigen Romans, Überlebende einer Katastrophe auf einer Alm. Hinzu kam dann – zum ersten Mal in meinen Romanen – dass sich die Hauptfigur Heinz zu einer Figur entwickelte, die mir sehr ähnlich war; und die dieselben Fragen hatte, die mich damals (und heute) sehr beschäftigten. Das sind letztlich Kinderfragen, die Frage nach dem Schöpfer, nach dem Sinn des Lebens angesichts des unausweichlichen Todes etc.

Und warum die Dystopien heute so eine Konjunktur erleben ... ein Verdacht: weil sich hier existenzielle Fragen mit einer größeren Dringlichkeit stellen lassen als in anderen Genres. Hier geht es eben um Leben und Tod, und nicht nur eines Individuums, sondern gleich der ganzen Menschheit. Die westlichen Gesellschaften befinden sich in meinen Augen in einer Phase, die der des Anfangs des 20. Jahrhunderts sehr ähnlich ist. Eine Phase der absoluten Saturiertheit, aber auch der Orientierungslosigkeit, des Alles-irgendwie-egal. Daraus ergibt sich das Bedürfnis nach neuen Verbindlichkeiten (die oft die alten sind). Aber da gäbe es noch viel mehr Erklärungsmöglichkeiten: der Wunsch einer Mediengesellschaft nach einer intensiveren Wirklichkeitserfahrung, im Zweifelsfall ohne Medien, das kathartische Durchspielen einer vermeintlichen Dystopie, die aber in Ländern wie Syrien eigentlich Gegenwart ist, Allmachtsfantasien, sich als „Held“ zu bewähren … ein weites Feld, in dem sich aber ziemlich genau die momentane Psyche der westlichen Welt abzeichnet, denke ich.

Ihre früheren Romane schienen manchmal Distanz wahren zu wollen zu Ihrem eigenen biografischen Hintergrund. Die Verteidigung des Paradieses wirkt bei aller Drastik der beschriebenen Welt weicher, auch persönlicher – und paradoxerweise manchmal sogar fast heiter und optimistisch, obwohl eine Art Apokalypse passiert ist. Was hat es mit dieser Spannung auf sich?

Ich habe das Buch noch mehr aus einem persönlichen Bedürfnis heraus geschrieben als meine früheren Romane. Aus einer Krise heraus. Dabei war mir aber von Anfang an klar, dass ich mich mit Heinz auf die Suche nach Auswegen aus dieser Dystopie begeben will, auch weil mir das in meinem letzten Roman nicht gelungen ist. Man kann es ja auch allgemeiner formulieren: Was lässt uns eigentlich weiterleben, wenn wir wissen, dass nichts Bestand hat und wir sterben werden? Ich glaube, der Roman gibt eine Reihe von Antworten darauf.

Sehr besonders ist der Erzählton des Heranwachsenden. Heinz entwickelt sich als Figur auch entlang seiner Sprach- und Schreibfortschritte. Diese Figur 'lebt' tatsächlich durch ihre Sprache, durch ihr spielerisches Ausprobieren, den Übermut, die Naivität, die Federleichtigkeit, das elegische Pathos und die Altklugheit. Hier wird keine Jugend von außen erzählt, sondern ihr selbst das Wort erteilt. Wie hat sich das beim Schreiben entwickelt?

Für mich war von Anfang an klar, dass diese Entwicklung der Hauptfigur sich auch sprachlich niederschlagen soll. Eben das, was mir in meinem letzten Roman nicht gelungen ist: eine Reise zur authentischen Sprache. Das bedeutet, es beginnt sehr überschwänglich, ein bisschen poserhaft, mit vielen unreflektiert aus der Umwelt übernommenen Elementen, ein typischer Jugendjargon, nur eben quasi zukünftig „reloaded“; dieser Sprache werden nach und nach alle Höhen gekappt, sozusagen die Glieder abgeschlagen, und darunter kommt eine sehr nüchterne, protokollartige Sprache zum Vorschein, die sich dann ungefähr in der Mitte des Buches auf bloße Zitate reduziert, in etwa so, wie wenn sich ein Mensch plötzlich als Roboter herausstellt, weil man seine Drähte sieht; dann zwei weiße Seiten. Und daraus entwickelt sich dann etwas Neues, das am Ende tatsächlich in den einen Satz mündet, bei dem ich sagen würde, er ist zum ersten Mal in meinen Büchern authentisch. Auch wenn er nur aus fünf Wörtern besteht.

Sie sind ein politisch ziemlich engagierter Schriftsteller. In diesem Roman spielt – so könnte man zumindest meinen – auch die Flüchtlingsthematik eine Rolle; allerdings ist alles wie unter verdrehten Vorzeichen: Es sind Deutsche, die auf der Flucht und in Lagern zusammengepfercht sind, andere Länder versuchen sich von ihnen abzuschotten. Wollten Sie so auch einen literarischen Kommentar zur aktuellen politischen Lage geben – obwohl die Arbeit an dem Roman ja schon lange davor begonnen hat?

Nein. Eben auch, weil, als ich die Szenen in den Flüchtlingslagern schrieb, diese ganze Thematik keine größere Rolle in den Medien spielte. Natürlich beschäftigte mich unterschwellig, was da „vor den Toren“ Europas geschah; dass Heinz als Deutscher zum Flüchtling wird, motiviert sich aber eher aus der Handlungslogik, nach der Heinz als Pubertierender ja nicht nur seine Identität stets neu in Frage stellt, sondern eben auch seine Nationalität, sein Deutsch-Sein, schließlich wird ihm ja von seinem „Lehrer“ Cornelius immer wieder eingeschärft, dass er nicht nur einer der letzten Menschen, sondern einer der letzten Deutschen und damit Dichter und Denker sei. Was aber bedeutet das, wenn die Dichter und Denker selbst zu vermeintlichen Barbaren werden?

In dem Roman kann man viele offene wie versteckte Bezüge finden – von Dante bis zu Trash-Serien, Epik meets Zombie. So wie Heinz die verlorene menschliche Zivilisation bewahren will, so folgt auch der Roman selbst gewissermaßen dieser Sehnsucht. Wie geraten die vielen Einflüsse und Bezüge in den Schreibprozess?

Naja, erst einmal war das Konzept da, dass so wie Heinz ein Klon ist, auch der Roman eine Art Klon sein soll. Etwas Ähnliches hatte ich ja schon in „Schutzgebiet“ gemacht. Nach und nach sind dann bestimmte Szenen existierenden Werken der Literaturgeschichte entgegen- und mit ihnen verwachsen. Die Rosenhütte wurde zum Beispiel zum Rosenhaus aus Stifters „Nachsommer“, in dem es ja um eine ähnliche Thematik des Bewahrens geht. Cornelius‘ Vortrag über die Platte von Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ ging mir mehr oder weniger unter der Hand in einen Bernhard-Monolog über, sodass ich ihn dann gleich 1:1 aus dem „Untergeher“, der ja von Glenn Gould handelt, übernahm. Ich hatte oft das Gefühl beim Schreiben, mich in der Dunkelheit an Seilen voranzutasten, an Sätzen, die andere Autoren vor mir auf ihrer Reise in den Fels geschlagen hatten. Ich war nicht allein.