Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (31). Und spürt, warum Landschaft so eine Anziehungskraft hat

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

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31

Seit ein paar Tagen bin ich in Palermo. Und darum herum. Sizilien eben.

Ich bin jetzt wieder auf dem Land. Aber in Sizilien.

Und ich habe eine Erfahrung gemacht, nein, ich mache gerade eine Erfahrung, über die ich schon lange schreiben wollte.

Ich liebe das Leben in der Stadt. Ich mag es, dass man nur die Treppen hinabgehen muss, wenn man entsprechend wohnt, und dann ist da draußen schon ein Café, eine kleine Kneipe, ein Platz, auf dem Menschen sitzen, Kinder spielen, all so etwas. Alles scheint möglich, man kann schnell zum Zug, man kann also schnell weg, von dort wo man ist, man kann schnell jemanden treffen, Freunde, Bekannte, man kann Termine machen. Laufen geht man im Park. Wenn er groß ist, wie in München der Englische Garten, ist man lange genug im Grünen, um aufzutanken. Dachte ich immer.

Seit ein paar Jahren habe ich ja auch einen Landsitz: direkt am Wald, quasi im Wald. Direkt im Grünen. Alle gerade erwähnten Vorteile gibt es da nicht. Das ist ein Nachteil.

Aber es gibt etwas anderes, das sich mir zur Zeit auch in Sizilien als Vorteil herausstellt. Das ist ein Vorteil. Es gibt die Natur.

Wir waren acht Tage in Palermo, haben von dort aus einen Ausflug aufs Land, also ins sehr kleine Städtchen Cefalà gemacht, weil uns bei dem vielen Regen letzte Woche nach Licht war, und davon gibt es bekanntlich dort mehr, wo die Häuser weniger eng stehen und der Blick ins Weite gehen kann.

Und weil das Wetter immer noch ziemlich unstet ist, weil es viel mehr regnet und viel kälter ist als erwartet, zogen wir am Montag für die letzten sechs Tage dorthin. Cefalù an der Nordküste Siziliens, von Palermo aus betrachtet Richtung Messina. Um gleich am Dienstag einen richtig stürmischen Regentag zu erleben.

Am Meer: Am Morgen, als ich meine Laufrunde durch den Regen drehte, hinab zum Hafen, an der Mole entlang, am Meer entlang, wo eigentlich nichts zu sehen war außer Fischerkähnen, Bäumen, dem großen Felsen über der Stadt, grün bewachsen, und eben dem wild brausenden Meer, Wind und den sehr hohen Wellen, wusste ich: Es war richtig, hier rauszuziehen. Ich spürte das Wetter, ich war mitten drin hier. Und damit war alles gut. Am Nachmittag bei weniger Regen und mehr Wind, trieb es uns wieder zur Küste, der Leuchtturm am Hang stand in der Gischt, das Meer war dreckig braun, aufgepeitschter Sand, weiter draußen noch grün, klar; die Wellen bogen sich meterhoch auf, die Brandung war gewaltig. Da wusste ich, wir haben es ganz richtig gemacht! Am Abend, der Regen peitschte gegen die Läden, wir hörten beim Einschlafen in der Ferne das gewaltige Rauschen des Meeres, wusste ich, wir haben es so richtig gemacht! Ich spürte, wie mich das mit dem Wetter, dem, was draußen geschah, verband.

Das geht nur dort, wo ich mehr sehe, als eben Häuser, und Häuser, und Menschen und Menschen und irgendwo kleine Oasen von grün.

Gestern nun, es war ein sagenhaft schönwettriger Tag, einer von zweien in zehn Tagen, war es leicht, alles schön zu finden: Das Meer hatte seine grüne Farbe wiedergewonnen, der Himmel war blau, die Landschaft lieblich. Dennoch habe ich mich an etwas erinnert, was ich draußen, auf dem Land, dort wo ich in Niederbayern oft bin, auch erlebe: Ich regeneriere in den Farben, in den Geräuschen, im Licht der Natur um ein so Vielfaches schneller, als etwa bei einem Lauf im Englischen Garten, ganz gleich, ob ich eine Stunde dort renne, oder drei Stunden dort gehe. Mein Auge verbindet sich mit der Natur, die bei jedem Wetter sie selbst bleibt, und nicht mehr mit den Menschen, die sie bevölkern, und bei jedem Wetter irgendwie andere sind, so wie ich auch.

Das ändert nichts an meiner Liebe für die Stadt, aber es zeigt mir immer wieder, warum Landschaft, der dörfliche Raum so eine Anziehungskraft hat.

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