D. H. Lawrence in Oberbayern

Bavaria is lovelier than a dream, thick with flowers that even our garden would hardly grow. (The Letters of D. H. Lawrence, Vol. 1, S. 416)

David Herbert Lawrence wird am 11. September 1885 in Eastwood, Nottingham, als Sohn eines Bergarbeiters und einer Lehrerin geboren. Nach dem Studium der Pädagogik arbeitet er als Lehrer, muss diese Tätigkeit aber infolge einer Lungenerkrankung nach drei Jahren aufgeben. 1912 begegnet er Frieda Weekley, geborene Freiin von Richthofen (1879-1956) und entfernte Cousine des legendären deutschen Piloten Manfred von Richthofen („der Rote Baron“). Frieda ist mit dem in Nottingham unterrichtenden Universitätsprofessor Ernest Weekley (1865-1954) verheiratet und hat mit diesem drei Kinder. D. H. Lawrence brennt schließlich mit der sechs Jahre älteren Frau nach Deutschland durch und wohnt mit ihr abwechselnd in Oberbayern und Italien, bis er sie am 13. Juli 1914 nach einer skandalösen Ehescheidung in London heiratet.

Die Zeit im Isartal und in den bayerischen und tirolerischen Bergen hat D. H. Lawrence einmal als die glücklichste seines Lebens bezeichnet. In seinem dichterischen Werk hat sie deutliche Spuren hinterlassen. Sein autobiografisch gefärbter Roman Mr. Noon (Mister Noon), 1921 geschrieben und 1984 erstmalig publiziert, schildert die Abenteuer von Gilbert Noon (Lawrence) und seiner „Braut“ Johanna Keighley (Frieda) in und unter Bayern in epischer Breite. Die zwölf Kapitel des ersten Teils beschreiben noch in amüsierter Distanz die Liebesabenteuer Gilberts in einem kleinen Ort der englischen Midlands. Mit dem Beginn des zweiten Teils ändert sich dann das Bild völlig: Gilbert erwacht in einer vornehmen Münchner Wohnung, bei einem Professor der Nationalökonomie, und trifft alsbald Johanna, die deutsche Frau eines amerikanischen Professors. Mit ihr beschließt er nach einer gemeinsamen Nacht fürs Leben zusammenzubleiben. Nach einem Abstecher zu ihren Eltern in Metz leben Gilbert und Johanna einige Zeit im Isartal und brechen zu Fuß über die Alpen an den Gardasee auf. Hier endet das Buch abrupt.

Frieda Weekley, geb. Freiin von Richthofen, mit Kind (1901) und ihr Mann Ernest Weekley (ca. 1935).

Die gemeinsame Zeit mit Frieda hat Lawrence zeitlebens als entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben betrachtet, als Rettung vor dem Schicksal seiner Altersgenossen, die nicht aus der Enge der englischen Gesellschaft der Midlands ausbrechen konnten. In Mr. Noon steht die Partnerschaft der Liebenden entsprechend im Vordergrund und ist mit viel Humor und Differenzierung, vor allem in den leisen Momenten, dargestellt:

Ironie und Distanz korrigieren das didaktische Pathos und geben dem Werk eine Objektivität, die man in den anderen Lawrence-Romanen oft vermißt. Was sich zwischen den beiden abspielt, ist alles andere als eine Ferienidylle, trotz der als Vorkriegsparadies verklärten äußeren Umstände, sondern es ist ein bis zuletzt nicht endgültig entschiedener Kampf um eine Gemeinsamkeit, die ein Maß an Freiheit und vor allem auch die Anerkennung der unüberbrückbaren Verschiedenheit von Mann und Frau einschließt. Es gibt immer wieder Momente, wo einer der beiden vom anderen loskommen will, weil nicht nur der Partner, sondern [auch] das andere Geschlecht als fremd und einengend empfunden werden. (D. H. Lawrence und sein „neuer“ Roman Mr. Noon, S. 173)

Das Ringen um echte Partnerschaft wird in der Auseinandersetzung zwischen Erzähler und Leser im Roman fortgeführt, mit dem Ziel, den Leser für die ungewöhnliche Erfahrung Gilbert Noons zu sensibilisieren: „In keinem anderen seiner Romane betreibt Lawrence ein so ausgelassenes Spiel mit der Fiktion des allgegenwärtigen Autors wie auch mit der für sein ganzes Werk so charakteristischen Vermengung von Biographie, dem intensiven Erleben von Schauplätzen und der persönlichen Lebensauffassung [...].“ (Ebda., S. 177)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik

Sekundärliteratur:

Einersen, Dorrit (1987): Life and Fiction in D. H. Lawrence's Mr Noon and the Novel's Place within the Lawrence Canon. In: Orbis litterarum 42, S. 97-117.

Frank, Edgar (2003): D. H. Lawrence. In: Landpartie – literarisch. Auf den Spuren großer Dichter im Münchner Umland. Hg. von Christian Krügel. P. Kirchheim Verlag, München, S. 11-16.

Frank, Edgar; Gschwendtner, Waltraud; Staub, Harald (2005): D. H. Lawrence und die Villa Vogelnest. „Rabenloch“ und „Vogelnest“ – zwischen Berggasse und Boheme. In: Bürgertum und Boheme. Die Wolfratshauser Bergwaldvillen und ihre Bewohner (Veröffentlichung der Arbeitsgruppe „Häusergeschichte[n]“). Historischer Verein Wolfratshausen, S. 57-64.

Green, Martin (1996): Else und Frieda. Die Richthofen-Schwestern. Aus dem Amerikanischen von Edwin Ortmann. Piper Verlag, München u.a.

Jackson, Dennis; Blanchard, Lydia (Ed.) (1988): Mister Noon (Special Issue). In: DHL Review 20. Number 2, S. 133-264.

Holzheimer, Gerd (2013): Vielleicht wird Bayern uns wieder gut sein. Zwei Schriftsteller in Bayern: D. H. Lawrence und Max Mohr. In: Literatur in Bayern 28. Heft 1, S. 16-24.

Jüngling, Kirsten; Roßbeck, Brigitte (1998): Frieda von Richthofen. Biographie. Ullstein Taschenbuch, Berlin.

Maddox, Brenda (1996): Ein verheirateter Mann. D. H. Lawrence und Frieda von Richthofen. Roman. Deutsch von Erica Fischer. Kiepenheuer & Witsch, Köln.

Mehl, Dieter (1989): D. H. Lawrence und sein „neuer“ Roman Mr Noon. In: Poetica 21. Heft 1-2, S. 164-178. 

Michaels-Tonks, Jennifer (1976): D. H. Lawrence. The Polarity of North and South – Germany and Italy in his Prose Works (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik, 42). Bouvier Verlag, Bonn.

Oberhauser, Fred; Kahrs, Axel (2008): Literarischer Führer Deutschland. Mit einem Vorwort von Günter de Bruyn. Insel Verlag, Frankfurt a. Main u.a.

Reichert, Carl-Ludwig (1997): Lieber keinen Kompaß, als einen falschen. Würzburg – Wolfsgrub – Shanghai. Der Schriftsteller Max Mohr (1891 bis 1937) [monAkzente, 5]. A 1 Verlag, München.

Weithmann, Michael W. (2003): Lawrence of Bavaria. The English Writer D. H. Lawrence in Bavaria and Beyond. Collected Essays. Reisen David Herbert Lawrences in Bayern und in die Alpenländer. Passau. Link: http://www.opus-bayern.de/uni-passau/volltexte/2005/59/, (18.11.2013).

 

Weiterführende Quellen:

D. H. Lawrence: Bavarian Gentians (Bayerische Enziane). In: Moderne englische Lyrik. Englisch/Deutsch. Hg. von Willi Erzgräber und Ute Knoedgen. Reclam Verlag, Stuttgart 1976, S. 140-143.

– : Briefe. Aus dem Englischen von Elisabeth Schnack. Mit einer Einleitung von Aldous Huxley. Diogenes Verlag, Zürich 1979.

– : Das Kruzifix in den Bergen. In: Mexikanischer Morgen und Italienische Dämmerung. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1963, S. 414-425.

– : Ein Heuschuppen in den Bergen. In: Der Fremdenlegionär. Sämtliche Erzählungen V: Autobiographisches, Fragmente. Deutsch von Elisabeth Schnack. Diogenes Verlag, Zürich 1975, S. 145-153.

– : Eine Kapelle in den Bergen. In: Der Fremdenlegionär. Sämtliche Erzählungen V: Autobiographisches, Fragmente. Deutsch von Elisabeth Schnack. Diogenes Verlag, Zürich 1975, S. 133-144.

– : Liebe im Heu. In: Liebe im Heu – Das Mädchen und der Zigeuner – Der Mann, der gestorben war. Sämtliche Kurzromane III. Diogenes Verlag, Zürich 1975, S. 7-54.

– : The Letters of D. H. Lawrence. Vol. 1. Ed. by James T. Boulton (The Cambridge Edition of the Letters and Works of D. H. Lawrence). Cambridge University Press, Cambridge u.a. 1979.

– : The Letters of D. H. Lawrence. Vol. 6. Ed. by James T. Boulton and Margaret H. Boulton with Gerald M. Lacy (The Cambridge Edition of the Letters and Works of D. H. Lawrence). Cambridge University Press, Cambridge u.a. 1991.

– : The Letters of D. H. Lawrence. Vol. 7. Ed. by Keith Sagar and James T. Boulton (The Cambridge Edition of the Letters and Works of D. H. Lawrence). Cambridge University Press, Cambridge u.a. 1993.

– : Mr. Noon. Autobiographischer Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Diogenes Verlag, Zürich 1985.

– : Mr Noon. Ed. by Lindeth Vasey (The Cambridge Edition of the Letters and Works of D. H. Lawrence). Cambridge University Press, Cambridge u.a. 21984.

Frieda Lawrence geb. Freiin von Richthofen: Nur der Wind... Mit neunzig Briefen und fünf Gedichten von D. H. Lawrence. Die Rabenpresse, Berlin 1936.

Franz Schoenberner: Bekenntnisse eines europäischen Intellektuellen. Aus dem Englischen von Elisabeth Stark (Erinnerungen, 1). Kreisselmeier Verlag, Icking und München 1946.