D. H. Lawrence in Kloster Schäftlarn

Der englische Schriftsteller David Herbert Lawrence verbringt zusammen mit seiner Geliebten Frieda von Richthofen die Sommer 1912 und 1913 im Isartal. Gemeinsam besuchen sie Friedas Schwester Else in Wolfratshausen, deren Ehemann, der Wirtschaftswissenschaftler Edgar Jaffé, ein Haus mit Ausblick auf die Alpenkette besitzt. Im Gasthof zur Post in Beuerberg nehmen Lawrence und Frieda Logis. Den Beginn ihrer großen Liebe hält Lawrence kurz darauf in seinem Roman Mr. Noon (1921) fest, der als Vorläufer seines Welterfolgs Lady Chatterley's Lover (1928) gelten kann. Im Gasthof „Zur Post“ bei Kloster Schäftlarn steigt auch das frischvermählte Paar des Romans Gilbert und Johanna ab:

Sie gingen nach unten und aßen in dem großen Gastraum, an dessen Wänden ringsum Tische standen. Bauern und Landleute starrten unverwandt. Zwei riesige Hunde und ein kleiner kamen hergetänzelt und begannen nach Johanna und Gilbert zu schnappen. Ein Junge mit einer Laterne trat ein. Und dann brachte eine junge Frau eine riesige Suppenterrine, breitete ein kleines Tischtuch aus, und das junge Paar saß allein in der vorderen Ecke des Gastraums und aß sein Essen, während die großen Hunde herumtänzelten und die großen Männer die Tiere anschnauzten und sich mit Daumen und Zeigefinger das Bier von ihren großen Schnurrbärten wischten.

Johanna war glücklich – sie wollte ja Abenteuer –, und nun hatte sie es bekommen. Sie war frei. Während sie in dem großen alten Gasthaus saß und die stattlichen Bauersleute Bayerns sie über die Deckel ihrer Bierkrüge hinweg mit dem halb feindseligen, herausfordernden Stieren der Gebirgler ansahen und während sie den ungeschlachten Dialekt hörte, die unterdrückte, katholische Wildheit in der unbezähmbaren Atmosphäre um sie herum spürte, breitete sie ihre Flügel aus und schöpfte neu Atem. Sie war entkommen. Von Boston und ihrem Haus mit Dienstboten, von ihrem Mann und seiner gesellschaftlichen Stellung, von dem ganzen Horror dieses Mittelklasse-Milieus hatte sie sich losgerissen, und sie saß in einer großen Gaststube in einem halb verlassenen, alten Gasthaus am Fuße der Bayrischen Alpen und atmete den uralten, halbwilden Geruch von Schnee und Leidenschaft in der Luft. Der alte, katholische, ungezähmte Geist der Tiroler. Wie stattlich und wie grimmig diese Männer sein konnten! Sie war glücklich. (Zit. aus: D. H. Lawrence: Mr. Noon. Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Zürich 1985, S. 289-291. © Diogenes Verlag, Zürich 1985)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek

Sekundärliteratur:

Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 42, S. 255.

Externer Link:

Weithmann, Michael W.: Lawrence of Bavaria. The english writer D.H. Lawrence in Bavaria and beyond