Adalbert Stifter: Bunte Steine, 1853

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Vignette zu „Bergkristall“ nach Zeichnungen von Ludwig Richter, Erstausgabe der Bayerischen Staatsbibliothek

Adalbert Stifter: Bunte Steine. Verlag Heckenast, Pesth u.a. 1853. 2 Bände.

Standortsignatur: Rar. 1019-1/2

urn:nbn:de:bvb:12-bsb00087374-2 (Band 1)

urn:nbn:de:bvb:12-bsb00087382-7 (Band 2)

Im Sommer 1845 reist Adalbert Stifter ins Salzkammergut und trifft in Hallstatt seinen Freund, den Geographen und Alpenforscher Friedrich Simony. Als sie gemeinsam spazieren gehen, begegnet ihnen ein Kinderpaar, das ihnen Erdbeeren anbietet. Simony erzählt dem naturwissenschaftlich interessierten Stifter von seinen Forschungen zum Dachsteingebiet und zeigt ihm am nächsten Tag das Bild einer Eishöhle. Diese Zeichnung animiert Stifter zu Bergkristall, der wohl bekanntesten Erzählung aus der Sammlung Bunte Steine: „Ich habe mir jetzt das Kinderpaar von gestern in diesen blauen Eisdom versetzt gedacht; welch‘ ein Gegensatz wäre dies liebliche, aufknospende, frisch pulsierende Menschenleben zu der grauenhaft prächtigen, starren, todeskalten Umrahmung!“ (so berichtet von Simony in einem Brief an Emil Kuh vom 19.8.1871)1.

Adalbert Stifter: Im Gosautal. Die Holzmeisteralm mit dem Dachstein, 1834

Im südböhmischen Oberplan wird Stifter 1805 in einer Familie von Leinenwebern und Flachshändlern geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters ermöglicht ihm der Großvater den Besuch des Gymnasiums im Benediktinerstift Kremsmünster. Anschließend studiert er in Wien Jura, dann Naturwissenschaften und Geschichte, allerdings ohne Abschluss. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Hauslehrer in wohlhabenden Wiener Familien. Gleichzeitig malt und schreibt er. Ab 1840 veröffentlicht er Erzählungen, zunächst in Almanachen und Zeitschriften, später in Buchform beim Verleger Heckenast. Im Revolutionsjahr 1848 zieht Stifter nach Linz, wo er 1850 zum Landesschulinspektor ernannt wird. Seine schulischen Reformideen scheitern jedoch am behördlichen Widerstand. Finanzielle Schwierigkeiten, berufliche wie private Enttäuschungen, Krankheit und Depression prägen seine letzten Lebensjahre. Ob er 1868 mit einem Rasiermesser Selbstmord beging, konnte nicht völlig aufgeklärt werden.

Manuskriptseite von Bergkristall für die Buchfassung von 1853. Bayerische Staatsbibliothek, Signatur Cgm 8071 (2, Handschrift S. 14)

Als Schriftsteller ist Stifter ein akribischer Textarbeiter. Er schreibt zügig und fortlaufend, feilt aber intensiv an den verschiedenen Textversionen – von der „Journalfassung“ zur „Buchfassung“ und weiter bis hin zu den Korrekturfahnen. Die Bayerische Staatsbibliothek besitzt nicht nur nahezu alle Erstausgaben, sondern auch die meisten handschriftlichen Quellen zu Adalbert Stifter. Mit Unterstützung des Freistaats Bayern konnten 1964 vierzehn eigenhändige Manuskripte Stifters aus der Sammlung Salman Schocken erworben werden. Darunter befinden sich die Druckvorlagen für die beiden Bände der Bunten Steine sowie zwei Konvolute mit Arbeitsnotizen zu den Erzählungen.

Die damalige Begeisterung für die Geologie, die „populärste“ der Naturwissenschaften, manifestiert sich auch im Titel der zweibändigen Sammlung Bunte Steine. „Selbst schöne Hände blättern im riesigen Steincodex der Gebirge wie in einem Modejournal“, schreibt die Allgemeine Zeitung im Februar 1840. Für den 1853 erschienenen Sammelband benennt Stifter die früheren Journalfassungen um. Die Pechbrenner, Der arme Wohlthäter, Der Pförtner im Herrenhause heißen nun Granit, Kalkstein und Turmalin. Die einzigartigen Naturdarstellungen in den insgesamt sechs Erzählungen leben von Stifters geschultem Malerauge, seinen naturwissenschaftlichen Kenntnissen und der klaren Sprache. Detailverliebtheit und Präzision in der Beschreibung entschleunigen die Handlung. In der programmatischen Vorrede erläutert Stifter sein Naturverständnis:

Das Wehen der Luft das Rieseln des Wassers das Wachsen der Getreide das Wogen des Meeres das Grünen der Erde das Glänzen des Himmels das Schimmern der Gestirne halte ich für groß: das prächtig einherziehende Gewitter, den Bliz, welcher Häuser spaltet, den Sturm, der die Brandung treibt, den feuerspeienden Berg, das Erdbeben, welches Länder verschüttet, halte ich nicht für größer als obige Erscheinungen, ja ich halte sie für kleiner, weil sie nur Wirkungen viel höherer Geseze sind.

In Bergkristall, das zur Weihnachtszeit im Hochgebirge spielt, verirren sich zwei Kinder bei heftigem Schneefall in der kargen Fels- und Eisregion des Hochgebirges. Für die Nacht finden sie Schutz in einer Höhle. Das Krachen des Gletschereises durchbricht die Lautlosigkeit der Eiswelt. Der dunkelblaue Gebirgshimmel verwandelt sich in einen Sternenhimmel, über den das Polarlicht flimmert. Der nächste Tag bringt die Rettung der beiden Kinder und die Versöhnung zweier ehemals verfeindeter Dörfer.

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1 Adalbert Stifter: Werke und Briefe. Historisch-Kritische Gesamtausgabe. Hg. von Alfred Doppler, Wolfgang Frühwald. Bd. 2,4. Kohlhammer, Stuttgart u.a. 1995. Bunte Steine. ein Festgeschenk. Apparat und Kommentar [zu: Bergkristall], S. 66.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Birgit Ziegler-Stryczek

Sekundärliteratur:

Ceynowa, Klaus; Gilcher, Birgit; Ziegler-Stryczek, Birgit (2016): Erstausgaben im digitalen Gewand. Die App „Deutsche Klassiker“ der Bayerischen Staatsbibliothek, in: Bibliotheksmagazin. Mitteilungen aus den Staatsbibliotheken in Berlin und München 1, S. 12-17.

 

Weiterführende Links:

Youtube-Video zur App

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