„Das Schimmern der Gestirne halte ich für groß“

Der Spaziergang ist circa 2oo km lang und dauert mit dem Auto (reine Fahrzeit) etwa vier Stunden. Zu Fuß wären es sieben bis zehn Tage. Die Stationen folgen soweit sinnvoll, der Chronologie von Stifters Leben.

Adalbert Stifter (1805 – 1868) ist im südlichen Böhmen gebürtig, geht im oberösterreichischen Kremsmünster zur Schule und lebt anschließend lange Zeit in Wien. 1848 zieht der Schriftsteller infolge der Revolution nach Linz. Dort bekleidet er das Amt eines Schulinspektors, malt, dichtet und sammelt Kakteen.

Von Linz aus unternimmt Stifter häufig Reisen, die mit fortschreitendem Alter und Beginn seines Leberleidens zunehmend Fluchten gleichen. Ein naher Rückzugsort ist Kirchschlag im Norden der oberösterreichischen Hauptstadt, aber auch das bayerische Lackenhäuser besucht er gern.

Heute könnte man das Werk des biedermeierlichen Autors jedenfalls in Teilen dem Nature Writing zuordnen. Seine Auflösung von (Himmels)-Landschaften in Worte findet in der deutschsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts kaum ihresgleichen. Das Anliegen seiner Literatur ist aber vor allem ein erzieherisches und latent ein politisches.

Eine Kontroverse mit dem angriffslustigen, ästhetisch gegensätzlich positionierten Schriftsteller Friedrich Hebbel, der seinerzeit ebenfalls in Wien lebt, veranlasst Stifter, sein berühmt gewordenes literarisches Programm zu formulieren (aus: Bunte Steine, 1853):

Das Wehen der Luft das Rieseln des Wassers das Wachsen der Getreide das Wogen des Meeres das Grünen der Erde das Glänzen des Himmels das Schimmern der Gestirne halte ich für groß: das prächtig einherziehende Gewitter, den Blitz, welcher Häuser spaltet, den Sturm, der die Brandung treibt, den feuerspeienden Berg, das Erdbeben, welches Länder verschüttet, halte ich nicht für größer … Wir wollen das sanfte Gesetz zu erblicken suchen, wodurch das menschliche Geschlecht geleitet wird.

In der Natur erblickt Stifter darüber hinaus etwas, das er hier nicht formuliert: Die Felsödnis der Alpen südlich von Kremsmünster etwa oder ein Schneesturm im Bayerischen Wald wirken bedrohlich wie Nekrosen im Gewebe seiner Texte. Als der Dichter mit zweiundsechzig Jahren infolge eines unheilbaren Leberleidens stirbt, hat er sich wenige Tage zuvor mit dem Rasiermesser eine Wunde am Hals zugefügt. Ob er sich das Leben nehmen wollte, ist umstritten. Etwas versteckt Unheilvolles lässt jedenfalls große Teile von Stifters Werk erzittern und scheint den zeitlebens mit diesem Unheil ringenden Mann endlich niedergeworfen zu haben.


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Verfasst von: Literaturportal Bayern / Thomas Lang