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06.11.2012, 15:52 Uhr
Petra Morsbach
Text & Debatte
Vom 16. bis 19. Mai 2012 reisten sechs bayerische Schriftstellerinnen und Schriftsteller nach Kroatien, um kroatische KollegInnen kennen zu lernen. Das Blog des Literaturportals Bayern veröffentlicht die Berichte der TeilnehmerInnen des Austauschs in loser Folge.

[Kroatien-Austausch]: Eine Annäherung an Kroatien

1.         Ein Seitenblick

Vor etlichen Monaten, als ich noch nicht wußte, daß ich nach Kroatien fahren würde, erzählte mir zufällig ein Banker von diesem Land, in dem unser bayerischer HypoAlpeAdria-Bankenskandal seinen Anfang nahm, wofür freilich das kroatische Volk am allerwenigsten etwas kann.

Aus Sicht des Bankers ging das so: Unter der Präsidentschaft Franjo Tudjmans wurde der Staatsbesitz des ehemals kommunistischen Kroatien privatisiert, also verkauft. Die Käufer, die im wesentlichen aus dem Clan des Präsidenten selbst stammten, erhielten dabei „Staatsgarantien für die Werthaltigkeit“ ihrer Erwerbungen. „Staatsgarantien für die Werthaltigkeit“ bedeutet, daß der Staat den Verkauf zurücknimmt, falls ein Vermögensgegenstand (Firma, Land, Haus) nicht die gewünschten Erträge erzielt. Wenn etwa ein touristischer Landstrich als Naturschutzgebiet ausgewiesen wird und kommerziell nicht mehr ergiebig ist, gibt ihn der Käufer dem Staat zurück und läßt sich den Kaufpreis erstatten – von den Steuerzahlern. Es war eine tolle Bereicherungsmaschine: Erstens erwarben die Käufer zu unverhältnismäßig günstigen Konditionen gewinnträchtigste Vermögenswerte, zweitens haftete bei Verlusten das kroatische Volk, drittens erhielt der Clan bei der Kärntner HypoAlpeAdria-Bank, da das Ausfallrisiko quasi Null war, so billige Kredite in Milliardenhöhe, daß er einen Großteil des Staatsbesitzes an sich brachte.

Der Banker erzählte das mit perplexem Lachen, in dem sich moralische Bedenken mit professionellem Respekt für die waltende Raubintelligenz mischten. Für ihn, einen Münchner, war die Sache von Bedeutung wegen ihrer Folgen für Bayern: Denn mit den kroatischen Geschäften begann der fragwürdige Höhenflug der Hypo Alpe Adria. Die Bank wies, da zu 100% besicherte Kredite mit weniger Eigenkapital hinterlegt werden müssen, auf einmal sagenhafte Umsätze aus, wurde anfällig für Korruption und Betrug und präsentierte sich, nachdem sie hunderte Millionen auf der Kanalinsel Jersey verzockt hatte, der Bayerischen Landesbank als globales Schnäppchen (Kurzfassung). Das Abenteuer kostete die bayerischen Steuerzahler bisher 3,7, die österreichischen 1,55 Milliarden Euro. Wahrscheinlich aber haben die kroatischen Bürger den größten Schaden erlitten. Ich stellte mir Kroatien als Armutsland vor. Der Augenschein auf der späteren Reise widersprach dieser Einschätzung. Aber so weit sind wir noch nicht.

 

2.         Ein Buch

Die zweite Begegnung war eine literarische. Ich las, bereits nach Kroatien eingeladen, zur Vorbereitung in deutscher Übersetzung das Buch Partitur für eine Zauberflöte des mir zugeordneten kroatischen Autors Ludwig Bauer. Es spielt nach dem jugoslawischen Bürgerkrieg in Wien unter Auswanderern und Flüchtlingen aus verschiedenen osteuropäischen Staaten. Gezeigt wird eine melancholische Subkultur aus entwurzelten Intellektuellen, die fähig sind, ihre Lage – das Glück des Entkommens, die Hoffnung, die Einsamkeit, die Ohnmacht – in Worte zu fassen. Der Blick auf Kroatien ist von Entfremdung und Schuldgefühlen verzerrt, doch ebenso verfremdet ist der Blick dieser Depravierten auf Wien, dessen Vorurteile der zerrüttete kroatische Held mit ironischer Geduld erträgt. Es ist ein tragikomischer Roman mit klugen Reflexionen und witzigen Dialogen, eigenartig grimmig und großzügig, spröde und emotional. Ich stellte mir Kroatien als gemartertes Land vor.

 

3.         Der Augenschein

Dann wirkte alles ganz anders. Zagreb eine prächtige, gepflegte Großstadt. Unsere kroatischen Gastgeber gelassen und weltläufig. Die Organisation von deutscher wie kroatischer Seite perfekt. Schöne Begegnungen, sehr gute Hotels, üppige Mahlzeiten, bequeme Minibusse, mit denen wir am zweiten und dritten Tag ans andere Ende der Republik bis Osijek und Vukovar fuhren. Jetzt muß ich erwähnen, daß ich hörbehindert bin und an Gruppengesprächen nicht teilnehmen kann. Wir waren ja, die deutschen und kroatischen Begleiter ebenso wie die Schriftsteller, sämtlich Literaturleute, eine sprachfrohe Spezies. Dennoch war die Reise kein Stummfilm. Ich hörte die Melodie nuancierter, bewußter, genießerischer Rede, auch wenn ich die kroatischen, englischen oder deutschen Sätze nicht verstand. Überhaupt schienen mir vom Gestus her die Autoren der beiden Länder so ähnlich, daß ich mir einbilde, ich hätte, ohne die Sprache zu hören, kaum einen sicher zuordnen können. Das freute mich jeden Tag. Ich nahm es als Beweis der übernationalen Verwandtschaft und Vereinigungskraft der Literatur.

Der einzige Kollege, mit dem ich mich eingehender unterhielt, war der Autor der Partitur für eine Zauberflöte Ludwig Bauer, weil wir auf der dreistündigen Minibusfahrt nach Osijek nebeneinander saßen. Zu meinem Erstaunen war er nie im Wiener Exil gewesen, sondern hatte die Stadt als Ehemann der kroatischen Botschafterin erlebt. Daß er glaubwürdig ein ganz anderes soziales Milieu darstellen kann, bestätigt sein schriftstellerisches Vermögen. Ludwig Bauer hat seine Kriegs- und Nachkriegserfahrungen als halber Donauschwabe bewegend in diesem Blog beschrieben, weshalb ich sie nicht wiederholen muß. Er wirkt distanziert und skeptisch wie sein Protagonist, ein selbstbewußter Intellektueller. Wie erlebt so einer die Verwerfungen und Probleme der neuen Zeit? Hier zögerte er. Vielleicht nahm er zu Recht an, daß mein Englisch für das komplexe Thema nicht ausreichte, oder daß ohnehin die Busfahrt dafür zu kurz sei. Ich dachte an die Erzählung des Bankers und fragte nach Tudjman. Er sagte: „I won’t answer this question.“ Ein richtiger Mann kann auch eine Äußerung der Vorsicht wie einen Befehl klingen lassen. Ich registrierte eine Notwendigkeit der Vorsicht. Falls ich nicht wegen meiner Schwerhörigkeit alles falsch verstanden habe.

 

4.         Katastrophen

Vom Bürgerkrieg vor siebzehn Jahren zeugen in Osijek immer noch Einschußlöcher in vielen Mauern und Häusern. Der obere Stock der Buchhandlung, in der drei von uns am zweiten Abend lasen, ist von kleinen Kratern gezeichnet. Vukovar, das Ziel unseres dritten Tages, liegt Serbien noch näher und ist noch stärker versehrt. Die Stadt war 1991 nach 87tägiger Belagerung von serbischen Volksarmisten und Freischärlern zerstört worden.

Das seinerzeit abgebrannte Franziskanerkloster über der Donau, das Schloß der Grafen Eltz (zuletzt Museum) und die Hauptstraße wurden seitdem wiederaufgebaut. Doch verbrannte Bäume im Schloßpark, ein zerbombter Wasserturm, Gedenktafeln, narbige Häuser und Mauern erinnern weiter an die Katastrophe. In einem Gedenkraum im Kloster wird ein Dokumentarfilm gezeigt. Man sieht geängstigte, entsetzte, trauernde Vertriebene mit Bündeln und Handwagen in einer Kolonne, ein unerträgliches Bild.

Nach der Einnahme der Stadt brachten die Eroberer 1500 Kroaten in serbische Internierungslager. 200 Männer jeden Alters wurden aus einem Krankenhaus in die Lagerhalle einer Schweinefarm bei der Ortschaft Ovčaragebracht und zwei Tage später auf einem Feld erschossen. Die Scheune ist heute Gedenkstätte. Man betritt sie durch das originale graue, angerostete Stahltor. Innen ist es fast dunkel. In den Boden einbetoniert liegen wie hingestreut Patronenhülsen. An den vier Wänden umlaufend in Augenhöhe nebeneinander Porträts der Opfer, meist wohl aus Paßfotos gewonnen und auf Lebensgröße gebracht. Unter jedem Foto ein Name. Wechselnde Lichtspots heben einzelne Gesichter heraus, jedes Aufflammen und Verlöschen bedeutet eine individuelle Tragödie. Das ist klug gestaltet, denn eine statische Beleuchtung dieser Borte aus zweihundert Gesichtern würde den Betrachter überfordern oder abstumpfen. In der Mitte der Scheune führt ein schwarzer Trichter in den Boden, der äußere Rand vielleicht anderthalb Meter groß. Eine rote Leuchtschrift aus den Namen aller Getöteten läuft die Stufen des Trichters hinab, so daß ein Name nach dem anderen verschwindet wie in einem Strudel. Das Arrangement erschien mir so erschütternd wie clever. Wieviel Kunstfertigkeit ist einem solchen Denkmal angemessen? Was ist überhaupt einer solchen Tragödie angemessen? Nachdem man ja weiß Gott nicht tun kann, als sei nichts gewesen.

Anschließend besuchten wir den Märtyrerfriedhof, auf dem die ausgegrabenen Opfer würdig bestattet worden waren. Schulklassen standen um das zentrale Kreuzdenkmal, hörten Belehrungen an und zerstreuten sich zwischen den Gräbern. Vögel zwitscherten wie berauscht im leuchtend grünen Laub.

 

5.         Zagreb

Am letzten Tag hatten wir ein paar Stunden frei, um Zagreb zu besichtigen. Ich ging an einem gepflegten parkartigen Platz mit uralten, mächtigen Platanen vorbei zur Altstadt und sah eine aufblühende Kapitale. Die verkehrsreiche Unterstadt prägen behäbige Geschäftshäuser und ehrgeizige Neubauten. Die auf einer flachen Hügelkuppe gelegene Altstadt, barock mit mittelalterlichen Anteilen, ist geschmackvoll renoviert. Nach einem kühlen Morgen ein makelloser, wonniger Maitag. Gut gekleidete Menschen flanierten vor Geschäften und füllten die Straßencafés. Die Stadt ist touristisch gut erschlossen. Schicke Tafeln mit zehn bis zwanzig Schildern, braun mit weißer (kroatisch) und gelber (englisch) Schrift, weisen Fußgängern den Weg zu den zahlreichen Sehenswürdigkeiten: Kathedrale, Markuskirche, Marktplatz, Galerien, Museen. Unter den Schildern, was es nicht mal in München gibt, ein QR-Code für Handybesitzer: Scan for further information. Ich dachte an die Erzählung des Bankers. Natürlich weiß ich nicht, wie das kroatische Leben anderswo aussieht, noch, wie die Leute leben, wenn sie nicht im Café sitzen. Streng genommen kann ich auch nicht wissen, ob die Geschichten des Bankers stimmen; obwohl solche Geschichten meistens stimmen. Aber selbst wenn sie stimmen, enthalten sie nur einen Teil der Wahrheit über eine Stadt.

Das Stadtmuseum oben auf dem Hügel ist fast ganz dem Bürgerkrieg gewidmet. Dabei fehlte zumindest in den englischen Kommentaren jeder säbelrasselnde Akzent. Die ahnungslose Tagestouristin hatte den Eindruck, hier trauere ein Volk ohne Rachsucht, dankbar für eine in Tapferkeit und Unschuld gewonnene Freiheit. Auf dem Stadtbummel entdeckte ich überall Anzeichen von Stolz und Kreativität. Unsere deutschen Zentren werden von Grossisten beherrscht, Rottmann’s, Leysieffer, MacDonald’s, H&M etc. Wahrscheinlich steht diese Degeneration auch Zagreb bevor. Doch im Augenblick dominieren die individuell gestalteten Ecken, Geschäfte, Boutiquen, Lokale und Cafés. So viel Einfallsreichreichtum und Entfaltung auf Schritt und Tritt an einem so festlichen Frühlingstag in einer so schönen Kapitale: Ich hatte das Gefühl, eine von Zagrebs günstigsten Stunden zu erleben.

 

6.         Museum eines Augenblicks

Der Flüchtigkeit menschlicher Dinge war ein besonders originelles Museum in der Zagreber Oberstadt gewidmet, das Muzej prekinutih veza, englisch Museum of Broken Relationships. Der Name, den ich auf einem der eleganten Wegweiser entdeckte, erregte sofort meine Phantasie, denn natürlich dachte ich an die verlorenen binnen-jugoslawischen Bindungen. Ein Museum dafür mit diesem Namen, zeugte das nicht von einer exquisit abgeklärten, melancholischen Philosophie?

Zum Museum hinauf führte ein Schleichweg an der begrünten Flanke des Burghügels entlang. Der Schleichweg beginnt zwischen hohen baufälligen Häusern, ist keine zwei Meter breit und wegen der Baugerüste dunkel. Weiter oben im Freien eine hundert Meter lange, geschwungene Treppe mit Absätzen. Den unteren Teil zwischen graffitibedeckten bröckligen Wänden und vergitterten Kellerfenstern mit zerbrochenen Scheiben fand ich so eindrucksvoll, daß ich immer wieder stehen blieb, um zu fotografieren. Dabei überholte mich mehrmals eine korpulente alte Frau mit Kopftuch und knöchellangem braunem Rock, die ich meinerseits überholte, wenn sie verschnaufte. Wir begannen uns zu grüßen. Einmal holte sie Luft, wie um etwas zu sagen, und schüttelte dann lächelnd den Kopf. Als ich mich später umdrehte, hatte sie sich auf einem Treppenabsatz installiert, ein Pappkästchen vor sich, und bettelte. Offenbar hatte sie erwogen, mich schon unterwegs anzuhauen, und dann befunden, sie sei noch nicht im Dienst.

Das Museum der verlorenen Bindungen ist ein adrettes zweistöckiges Barockhaus, weiß mit grünen Fensterläden, und hat mit dem Bürgerkrieg nichts zu tun, wie ich schon begriff, als ich vor der Tür einen Schwarm kichernder Japanerinnen traf. Es stellt private Erinnerungsstücke aus und hat ein intelligentes, poetisches Konzept. Conceptualized in Croatia, the museum has since toured internationally, amassing an amazing collection. Although often colored by personal experience, local culture and history, the exhibits presented here form universal patterns offering us to discover them and feel the comfort they can bring. Hopefully they can also inspire our personal search for deeper insights and strengthen our belief in something more meaningful than random suffering.

Leute aus verschiedenen Ländern hatten also den Kuratoren Dinge geschickt, die für sie einen besonderen Verlust bedeuteten, und die Bedeutung in einem kurzen Begleitbrief erläutert. Der Begleitbrief war neben der jeweiligen Reliquie auf Kroatisch und Englisch abgedruckt. Es ging manchmal um Tod, Entfremdung und Vertreibung, meist aber um Liebeskummer, und gewann in dieser Präsentation einen humoristischen, fast übermütigen Akzent. Desillusionierende Fake breasts, Handschellen, Schlüpfer zum Aufessen. Ein zerrissenes Katzenhalsband, in das eine Frau aus Singapur die Telefonnummer ihres Ex-Boyfriends eingraviert hatte, to symbolize submission to his ownership. Eine rote Locke aus Skopje, Macedonia: Well … a relationship very short, but mentally so tough and “crazy” that it brought me to a moment of complete madness. And I cut my hair and I lived without it for a long time and no one loved me … and I was happy.

Auch ein deutsches Relikt war da, bezeichnet als Ex-Axt. Die Freundin des Stifters hatte ihre Liebe zum eigenen Geschlecht entdeckt und war mit der Geliebten in Urlaub gefahren. Der Verlassene kaufte bei Karstadt eine Axt und zertrümmerte jeden Tag eines ihrer Möbelstücke. Sie kehrte zurück, packte die Holzsplitter zusammen und ging.

© Petra Morsbach, Oktober 2012