Info

Gustav Landauer in Bayern (3): Wie Hedwig Lachmann starb

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/autorblog/2020/klein/Hedwig_Lachmann_500.jpg
Die Schriftstellerin, Übersetzerin und Dichterin Hedwig Lachmann (1865-1918), zwischen September 1901 und Juni 1902.

Gustav Landauer, geboren am 7. April 1870 in Karlsruhe, war eine außergewöhnliche und äußerst vielseitige Persönlichkeit: Als brillanter Vortragsredner und engagierter Publizist kämpfte er sein Leben lang gegen Ungerechtigkeit und soziale Missstände. Gleichzeitig war er als Literatur- und Theaterkritiker, Schriftsteller, Dramaturg und Übersetzer im kulturellen Bereich äußerst produktiv.

Die folgenden Ausführungen einer mehrteiligen Blogreihe zu Gustav Landauer beleuchten die Zeit von Mai 1917 bis Mai 1919, in der Landauer mit seiner Familie in Bayern lebte. Diese letzten zwei Jahre seines Lebens waren von dramatischen Ereignissen gekennzeichnet und endeten mit seiner brutalen Ermordung.

Ein Beitrag von Rita Steininger, deren neue Gustav-Landauer-Biografie soeben im Volk Verlag erschienen ist.

*

Als das Jahr 1918 anbricht, lebt Gustav Landauer mit seiner Frau, der Dichterin Hedwig Lachmann, und seiner jüngsten Tochter Brigitte schon mehr als ein halbes Jahr in Krumbach. Noch deutet nichts auf das Verhängnis hin, das unmittelbar bevorsteht. Doch dann beginnt Hedwig Lachmann Anfang Februar an einem Katarrh zu leiden. Sie fühlt sich unwohl, muss jedoch nicht das Bett hüten. Nach ein paar Tagen bessert sich ihr Zustand auch schon und sie schenkt der Sache keine Beachtung mehr. Zu diesem Zeitpunkt erfährt Gustav Landauer, dass sein Neffe Walter Landauer als Soldat eingezogen wurde und sich auf der Durchreise in Ulm aufhält. Er vereinbart ein Treffen mit Walter und bittet Hedwig, ihn zu begleiten.

Es ist nach mehreren sonnigen Tagen der erste kalte Tag mit rauem Wind und Regen, als sich die beiden auf den Weg machen. Hedwig Lachmann fühlt schon auf der Fahrt nach Ulm, dass ihre Erkältung zurückkommt, und verhält sich bei der Zusammenkunft mit Walter ziemlich still. Am Abend nach dem Wiedersehen, als sich Landauer und seine Frau auf den Heimweg machen, müssen sie wegen einer Zugverspätung eine Stunde lang auf dem kalten, zugigen Bahnhof warten. Danach verbringen sie weitere eineinhalb Stunden in der ungeheizten Bahn. Als sie um Mitternacht zu Hause ankommen, geht Hedwig Lachmann frierend zu Bett. Am nächsten Tag kann sie nicht mehr aufstehen, sie hat hohes Fieber. Der Arzt wird gerufen; er stellt eine Lungenentzündung fest. Als Nächstes wird Gudula, die ältere Tochter, durch ein Telegramm über die schwere Krankheit ihrer Mutter unterrichtet; sie reist in Begleitung ihrer Tante Franziska, Hedwigs Schwester, sofort aus Berlin an. In der Zwischenzeit wacht Gustav Landauer tagelang am Bett seiner Frau und muss hilflos zusehen, wie sie mit dem Tod ringt. Am 21. Februar stirbt sie.

Hedwig Lachmann wird im engsten Kreis auf dem jüdischen Friedhof von Krumbach-Hürben beigesetzt. Landauer hat in seiner Todesanzeige deutlich gemacht, dass er und seine Kinder eine Teilnahme an der Beerdigung nicht wünschen, doch „wer von denen die diese Zeilen erhalten, im Laufe der nächsten Monate zum Gedächtnis unserer Toten zu uns kommen will, soll uns willkommen sein.“ Selbst Brigitte, die jüngste Tochter, darf auf Beschluss ihres Vaters hin nicht an der Beerdigung teilnehmen. Jahrzehnte später wird sie erzählen, dass sie ihren Vater einmal sagen hörte, sie sei sein einziger Sonnenschein in diesen dunklen Tagen. Sie habe diese Bemerkung wörtlich genommen und sich von da an so sehr bemüht, nach außen hin ein fröhliches Gesicht zu zeigen, dass ihre Tante glaubte, sie zurechtweisen zu müssen: „Deine Mutter ist gerade gestorben und du lachst!“ Von da an habe sie ihren Kummer noch mehr in sich verschlossen.

Foto: Rita Steininger

Nach der Beerdigung verfasst Gustav Landauer tief erschüttert eine Gedenkschrift mit dem Titel Wie Hedwig Lachmann starb, die er an Freunde und Verwandte verteilt. Darin beschreibt er, wie er Hedwigs Todeskampf erlebt hat: Die Lungen keuchten, das Herz wurde schwach, sie war nur noch zu Zeiten bei uns; das Gestalten der Worte wurde ihr allmählich schwer, und was sie dann sagte, wurde ein Rufen aus der Tiefe herauf und war oft verwischt mit Phantasien, deren sie sich nicht erwehren konnte. Sie wollte es aber und äußerte oft ihren Unwillen über das wirre Zeug, das sie nicht los wurde.

Hedwig Lachmann hat ihrem 1900 verstorbenen Vater Isaak Lachmann einst ein Gedicht gewidmet. Die letzte Strophe dieses Gedichts lässt Gustav Landauer auf ihrem Grabstein eingravieren: „O Geist, dahingegeben / Der dunkelsten Gewalt – / Wie sehnst du dich ins Leben, / Zurück in die Gestalt!“

Sekundärliteratur:

Mendes-Flohr, Paul; Mali, Anya (Hg.) (2014): Gustav Landauer: Anarchist and Jew. De Gruyter, Oldenbourg.

Seemann, Birgit (2012): „Mit den Besiegten“. Hedwig Lachmann (1865-1918) – deutsch-jüdische Schriftstellerin und Antimilitaristin. Hg. von Siegbert Wolf. Edition AV, Lich.

Steininger, Rita (2020): Gustav Landauer. Ein Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit. Volk Verlag, München.

Walz, Annegret (1993): „Ich will ja gar nicht auf der logischen Höhe meiner Zeit stehen“. Hedwig Lachmann. Eine Biographie. Edition Die Schnecke, Flacht.

Quelle:

Siegbert Wolf (Hg.): Gustav Landauer. Ausgewählte Schriften. Bd. 4: Nation, Krieg und Revolution. Edition AV, Lich 2014.

Externe Links:

Gustav Landauer-Biographie beim Volk Verlag

Website von Rita Steininger

Hedwig Lachmann in der Wikipedia