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UNO Momento

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Alle Bilder © Alexander Milstein

Der 1963 in Charkiw geborene Schriftsteller und bildende Künstler Alexander Milstein lebt seit 1995 in München. Nach dem Studium der Mathematik beginnt er 1988 zu schreiben. Seitdem hat er acht Bücher mit Prosa veröffentlicht, die Hälfte davon in Russland und die andere Hälfte in der Ukraine, wo 2017 das Buch Pjatipol erscheint, in dem neben Texten erstmals Bilder des Autors zu sehen sind. Seine Malerei bezieht sich teilweise auf seine literarischen Werke. Er zeigt sie in Ausstellungen und fügt sie seit Pjatipol auch in seine Bücher ein.

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1993 flog ich mit einem Besuchervisum nach New York, um dort die Ausstellung „Vollmond-Syndrom“ zu organisieren, an der sechs Künstler aus Charkiw teilnehmen sollten. In Charkiw wurde ich verabschiedet, als würde ich für immer wegfliegen, und zwar nicht nach New York, sondern zum Mars ... Oder überhaupt in ein anderes Amerika, das nicht von Kolumbus, sondern von Swidrigailow entdeckt worden war.

Kurz gesagt, es waren viele gekommen, um mich zu verabschieden, eine ganze Menschenmenge, und ich bemerkte nicht, wie einer meiner Wohltäter eine Tüte mit Oktobersternen in meinen Koffer steckte.

Oktobersterne trugen die Schüler der ersten bis vierten Klasse. In der vierten Klasse wurden alle in die Pionierorganisation aufgenommen und bekamen rote Halstücher umgebunden, und davor waren die sowjetischen Kinder etwa im Alter von sieben bis zehn Jahren Oktyabryata, „Oktobriaten“ (Kinder des Oktobers). Es handelte sich um eine Art Brosche, allerdings befand sich in der Mitte des fünfzackigen roten Sterns nicht das Bild einer schönen Dame, sondern das Kindergesicht von Lenin, als er noch nicht Lenin, sondern Uljanow war, kein kahlköpfiger Teufel, sondern ein blondhaariger Engel. Auch ich war bis zum Alter von zwei Jahren blond, mit ungefähr derselben Frisur, und meine Mutter erzählte, dass eine Besucherin, ein Mädchen in meinem Alter, als sie mein Foto auf dem Tisch sah, fragte: „Ist das der kleine Großvater Lenin?“ Das Mädchen und ich waren damals wahrscheinlich fünf oder sechs Jahre alt. Als ich in New York in meinem Koffer eine Tüte mit zweihundert kleinen Lenins fand, erinnerte ich mich daran und hatte für einen Moment ein seltsames Gefühl.

Savva versuchte erfolglos, mir diese Tüte mit Sternchen in die Hand zu drücken, ich lehnte es kategorisch ab, sie anzunehmen, und dann legte er sie einfach heimlich in meinen Koffer. Savva behauptete, dass die Sternchen im Westen schnell „wie heiße Piroschki“ gekauft würden. Ich hatte nicht viel Geld dabei, und New York ist nicht gerade die billigste Stadt, und irgendwann in meinem seltsamen kleinen Leben – drei Monate Frühling in New York in den Wohnungen verschiedener neuer Freunde – erinnerte ich mich an Savvas Sternchen, zeigte sie jemandem, der alles wusste, und er sagte, dass die Sterne aus der Mode gekommen seien und niemand sie jetzt noch kaufen wolle, oder dass alle, die sie kaufen wollten, sie bereits gekauft hätten, so in etwa. Aber es gibt einen Ort, an dem sie anscheinend noch gekauft werden, sagte er. Das ist ein Laden im UNO-Gebäude, er befindet sich dort ganz unten, im Untergeschoss.

Am Eingang der UNO holte der Wachmann bei der Kontrolle meiner Tasche eine Plastiktüte heraus und schüttelte sie in der Luft. Die Sterne waren ziemlich fest laminiert, sie klimperten dennoch leise. Er fragte, warum ich so viele davon hätte. Ich zuckte mit den Schultern und sagte: Ich habe das Recht dazu. Er nickte, fügte aber hinzu: „Sie müssen dieses Gebäude mit allem verlassen, womit Sie es betreten haben.“ Im Laden wollte niemand die Sterne nehmen, sie winkten sofort ab ... deshalb hatte ich keine Probleme, das Gebäude zu verlassen, und wie ich vermutet hatte, wurde ich am Ausgang überhaupt nicht kontrolliert. Ja, zuvor hatte ich es noch geschafft, auf die Toilette zu gehen, über der ein Schild mit einer Aufschrift hing, die die Worte des Wachmanns wiederholte: „Sie müssen diesen Ort mit allem verlassen, womit Sie ihn betreten haben.“ Über die Toilettentür, ja. Danach war ich mir sicher, dass ich auf den anderen Etagen dieses Gebäudes nicht weniger interessante Dinge sehen würde, aber ich bin nicht hinaufgegangen, ich weiß nicht mehr warum, entweder waren sie für einfache Besucher geschlossen, oder ich hatte es eilig, das Gebäude zu verlassen. Ich weiß auch nicht mehr, wo ich die Sternchen schließlich hingetan habe, als ich schon außerhalb der UNO war. Vielleicht habe ich sie einem Künstler oder einer Künstlerin gegeben, denn bald darauf traf ich einen von ihnen, dann einen anderen und so weiter, eine ganze Schar.

Und nach zweiunddreißig Jahren kehrten die Sternchen zurück und verstreuten sich im Vordergrund dieses Bildes, wurden aber schnell von herabfallenden rostigen Blättern bedeckt.