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Literaturfest München: Poetisches Wasserwerk im Muffatwerk

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Moderatorin Beatrice Faßbender am Pult © Foto: C. P. Schmieder

Das Muffatwerk – im Jahr 1837 erbaut von Stadtbaurat und Architekt Franz Karl Muffat – sorgte einst für die Wasserversorgung von Haidhausen. Damals war es noch ein einzelnes Brunnhaus. Ab 1893 wurde es ausgebaut und diente der Stadt als Elektrizitätswerk. Das Kraftwerk wurde im Jahr 1973 schließlich stillgelegt, seit 1993  dienen die Räume für Kulturveranstaltungen. 2008 wurde der Gebäudekomplex auf Grund von räumlichen Erweiterungen von „Muffathalle“ in „Muffatwerk“ umgetauft.

Als ehemaliges Wasserwerk war das Muffatwerk vor einer Woche die geeignete Kulisse für die Gedichte von Nico Bleutge, Jeffrey Yang und Anja Utler, die sich direkt und indirekt mit dem Thema Wasser auseinandersetzten. Beatrice Faßbender, Übersetzerin und Lektorin im Berenberg Verlag, führte durch den Abend, eingestimmt wurden die Gäste vom Musik-Duo marmar cuisine. Die beiden Sängerinnen, die in der Regel zu dritt mit der Band Ganes unterwegs sind, sangen auf Ladinisch, einer uralten Volkssprache aus den Dolomiten.

Nico Bleutge war der erste Dichter, der seine Gedichte vortrug. Er ist gebürtiger Münchner und hat Neuere Deutsche Literatur, Allgemeine Rhetorik und Philosophie in Tübingen studiert. Heute lebt er in Berlin, ist freier Literaturkritiker und Autor.

Bleutge hat sich schon mehrere Male mit dem Thema Wasser beschäftigt. So wurde 2012 das von ihm und dem Komponisten Arnulf Herrmann erarbeitete Musiktheaterstück Wasser – ebenfalls im Muffatwerk – uraufgeführt. Im Jahr 2009 wurde sein Radiokunststück wasser. steine auf ORF gesendet, für das Bleutge als akustischen Hintergrund die Idee eines Stausees hatte, der langsam ansteigt und ein Dorf unter sich begräbt. Sein Gedichtband Verdecktes Gelände, in dem er u.a. maritime Flora und Fauna versammelt, erschien im Februar dieses Jahres.

Beatrice Faßbender beschrieb das lyrische Ich dieser Gedichte als „feinnervig“. Dieses Ich nimmt nüchtern, aber zugeneigt und interessiert die Dinge, Stimmungen und Zustände um sich herum wahr. Oft geht es dabei um Übergangsmomente, Traum- und Einschlafzustände oder Dämmerung. Das Ich selbst ist hinter den Zeilen erahnbar, aber es ist verschwommen, es zerfließt förmlich. Natur ist in diesen Gedichten überall, aber sie ist abseits von Idylle und Sehnsucht, sie ist vermessbares Gelände. Die Spuren des Menschen darin sind allgegenwärtig, es gibt keinen Raum für metaphorische Überhöhungen und Schwärmereien. Trotzdem, befand Faßbender, seien die Gedichte voll Schönheit und das Sprachgefühl des Autors bemerkenswert.

Nico Bleutge © Foto: C. P. Schmieder

Hörproben:

Die Übersetzung von Jeffrey Yangs Debüt An Aquarium (2008) haben die deutschen Leserinnen und Leser einem Zufall zu verdanken. Bei einem Aufenthalt in New York vor einigen Jahren fiel Beatrice Faßbender beim Stöbern in einer Buchhandlung ein Gedichtband von Jeffrey Yang in die Hände. Da sie Yang persönlich kannte, aber nichts von seiner Lyrik wusste, kaufte sie das Buch aus purer Neugier und las es über Nacht. Die nach dem Alphabet geordneten Gedichte begeisterten durch ihre Musikalität und ihren feinen Humor. Beim Buchstaben „R“ angekommen, stolperte Faßbender über einige Zeilen des Gedichts „Rexroth“, benannt nach dem amerikanischen Dichter Kenneth Rexroth (1905-1982). Da sich ihr die Zeilen partout nicht erschlossen, entschied sie sich spontan dazu, den Band zu übersetzen. Im Herbst 2012 erschienen dann die Gedichte in deutscher Sprache unter dem Titel Ein Aquarium.

Jeffrey Yang wurde in Kalifornien als Sohn chinesischer Einwanderer geboren. Er studierte Literatur und Meeresbiologie. Heute arbeitet er als Lektor in zwei New Yorker Verlagen und als Übersetzer aus dem Chinesischen. Neben An Aquarium veröffentlichte er auch den Gedichtband Vanishing-Line (2011) und gab einige Anthologien heraus, darunter den Lyrikband Birds, Beasts, and Seas (2011).

Sein Band An Aquarium handelt im weitesten Sinne von Meereslebewesen, aber eigentlich von uns, unserer Welt und unserer Geschichte. Beatrice Faßbender nannte Yangs Horizont so endlos wie den „Horizont über dem Meer“. Er betrachtet die Welt in diesem Sinne im Hinblick auf ihre Kulturen, Wissenschaften, Geschichten, Poesien, Philosophien und Religionen.

Jeffrey Yang und Beatrice Faßbender © Foto: C. P. Schmieder

Hörproben:

Anja Utler, 1972 im oberpfälzischen Schwandorf geboren, lebt heute in Regensburg und Wien. Sie studierte Slawistik, Anglistik und Sprecherziehung. Die promovierte Slavistin war bereits in ihren Jugendjahren literarisch tätig, zunächst schrieb sie Prosa, später entdeckte sie die Lyrik für sich.

Beatrice Faßbender wies auf den Fluss hin, der Utlers Heimatstadt umfließt, die Naab. Es ist ein 165 km langer Fluß mit zahlreichen Quellflüssen, der bei Regensburg in die Donau mündet. Sein Name stammt vom indogermanischen „nebh“ ab, was mit „feucht“ oder „Wasser“ zu übersetzen ist. Bei Schwandorf formt der Fluss kleine Inseln, teilt sich und streckt Flussarme aus, die bald im umgebenden Land versanden. Dieses Naturschauspiel ist auch auf dem Cover von Anja Utlers Gedichtband münden – entzüngeln (2004) zu sehen.

In ihrem zweiten Gedichtband brinnen (2006) zieht Utler dann ein zweites Element hinzu, das Feuer. Hinter der mittelhochdeutschen Form „brinnen“ versteckt sich nicht nur das Verb „brennen“; gleichzeitig kommt darin auch das Verb „rinnen“ vor – Feuer und Wasser also vereint in einem Wort.

Utlers Vortrag selbst war ähnlich wie ein Wasserstrom: langsam und schnell im Wechsel, mal leises Rauschen, mal heftiges Sprudeln, abschließend tröpfelnd die Silben.

Anja Utler © Foto: C. P. Schmieder

Hörproben: