„Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ (Teil 2/2)
Die Stimmung kippt: Nach dem künstlerischen Aufbruch um 1900 und den tiefen Einschnitten des Ersten Weltkriegs führt Monika Schreiner im zweiten Teil ihres persönlichen Rundgangs durch die Ausstellung
„Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ in die Jahre 1919 bis 1945. Eine Zeit zwischen Vergnügungssucht, Kabarettkultur, politischem Druck und literarischem Exil. Im Fokus stehen die Brettlbühnen, die Münchner Volkssängertradition und die Folgen der nationalsozialistischen Machtübernahme insbesondere für Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Wie im ersten Teil greift Monika Schreiner bewusst ausgewählte Objekte und Archivstücke auf – jedes Exponat symbolisiert ein Thema und macht historische Zusammenhänge spürbar. Wer den Auftakt verpasst hat, findet ihn unter „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ – ein Rundgang durch eine Epoche von Aufbruch, Kunst und Exil.
*
Vergnügungskultur und politische Umbrüche – Münchens Bühnen und Literatur bis ins Exil
Vergnügungssucht am Rande des Abgrunds (ca. 1919-1933)
München mit ... seinen Bauernbällen im Fasching, seiner Märzenbier-Dicktrunkenheit, der wochenlangen Monstre-Kirmes seiner Oktoberwiese, wo eine trotzig-fidele Volkhaftigkeit, korrumpiert ja doch längst von moderner Massenbetrieb, ihre Saturnalien feierte …
Thomas Mann, Doktor Faustus, 1947
Die gesellschaftlichen Umwälzungen nach Ende des Ersten Weltkriegs betreffen alle: das großbürgerliche Milieu ebenso wie das Kleinbürgertum und die Arbeiterschicht. Während die einen während der Weimarer Republik vermehrt zu reisen beginnen, entdecken die anderen Volksbelustigungen für sich. Dabei zieht es immer mehr Menschen in die Städte. Ihnen will Karl Valentin Unterhaltung bieten, indem er sie und ihre Themen aufgreift.
… nicht Fürstlichkeiten, sondern Leute aus dem Volke mimisch darstellen.
Karl Valentin, um 1915.
Zusammen mit seiner Partnerin Liesl Karlstadt erobert er die Jahrmärkte und Brettlbühnen in München sowie weit darüber hinaus in Deutschland und ganz Europa. Das zeigen Bilder und ein Programm aus dem „Kabarett der Komiker“ von 1929 in Berlin. Das Volksvergnügen entdecken auch junge Autor*innen wie Bertolt Brecht, der das Duo Valentin/Karlstadt bei Auftritten unter anderem musikalisch begleitet, oder Ödön von Horváth. Beide orientieren sich an der Tradition der Münchner Volkssänger*innnen und reformieren so das Theater.
Ödön von Horváth, der von 1909 bis 1934 in Murnau am Staffelsee lebt, liebt Volksbelustigungen und lässt sein Theaterstück Kasimir und Karoline (1932) auf dem Oktoberfest spielen.
Als ich heute bei meiner
Ankunft gefragt wurde, ob ich
in die Oper gehen will oder
aufs Oktoberfest, da habe ich gesagt:
„Natürlich auf das Oktoberfest!“ –
Ich schätze doch die bayerische Kunst
sehr hoch, aber ich wollte mal das
bayerische Volk sehen!
Ödön von Horváth: Notizbuch Nr. 7, 1932. Österreichisches Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien.
Wie populär das Volkstümliche in der Literatur gewesen ist, hat Oskar Maria Graf mit seinem Bayrisches Lesebücherl (1924), ebenfalls ausgestellt, erfahren. Seine zuvor im Simplicissimus erschienenen Bauernsatiren und Schnurren machten ihn, sehr zu seinem Unmut, zu einem bayerischen Autor.
Und frecherweise bedeutet ja für Nichteinheimische ,bayrisch‘ fast immer so etwas wie ein herzerfrischendes Hinterwäldlertum auf Bauernart, eine mit dem dicken Zuckerguß sentimentaler Verlogenheit reizend garnierte Gebirgsjodler-Idylle, ein schlicht-inniges bierkatholisches Analphabetentum als Volkscharakter und im besten Falle eine bäuerlich-pfiffige Gaudi-Angelegenheit.
Oskar Maria Graf, Gelächter von außen, 1966
Das Büchlein befindet sich neben der Visitenkarte von Oskar Maria Graf, mit der er für seine Bücher wirbt.
Auch Erika Mann ist mit Münchens Volksbelustigungen vertraut. Zusammen mit Therese Giehse bringt sie am 1. Januar 1933 in der Bonbonniere zum ersten Mal das antifaschistische Kabarett Die Pfeffermühle auf die Bühne. Eines ihrer Typoskripte aus der Produktion zusammen mit einem Bühnenfoto befindet sich in der Monacensia. Zu sehen ist Die Pfeffermühle in der Tradition des politischen Kabaretts der Elf Scharfrichter, das von 1901 bis 1904 existierte und im Umfeld des Simplicissimus entstanden ist.
Ein großer Teil der Vitrine ist der Karriere von Liesl Karlstadt gewidmet. Die spätere Kabarettistin begann als Soubrette unter dem Namen Elise Wellano, bis sie 1911 Karl Valentin trifft. Sie wird zu seiner Partnerin, die in verschiedene Rollen schlüpft, zudem die Auftritte organisiert und ihre gemeinsame Arbeit dokumentiert. Das Scheitern von Valentins Kuriositätenkabinett Panoptikum, in das sie ebenfalls viel Geld investiert hat, stürzt sie in eine tiefe Krise, die zu einer emotionalen und physischen Distanzierung zu Valentin führt. Während des Zweiten Weltkriegs hält sie sich ab 1941 für zwei Jahre bei den Gebirgsjägern auf. Dort betreut sie als „Gefreiter Gustav“ die Mulis auf der Ehrwalder Alm, denn Frauen waren in dieser Einheit nicht vorgesehen.
Flucht ins Ungewisse – Münchner Schriftsteller*innen im Exil
Und als Hitler an die Macht gekommen war, wußten wir, daß wir gehen mußten.
Erika Mann, 1943.
Mit Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 beginnt eine große Bedrohung für Intellektuelle, Jüdinnen und Juden sowie Schriftsteller*innen: Sie werden im NS-Staat mit Berufsverboten belegt, verfolgt, mit dem Tod bedroht und auch ermordet. Viele von ihnen versuchen zu flüchten – zunächst in die europäischen Nachbarstaaten, dann oft weiter in die USA. Der Erwerb einer Aufenthaltsgenehmigung ist meist schwierig. Die Antragsteller*innen benötigen Kontakte und Beziehungen, um Pässe, Transite und weitere Genehmigungen zu erhalten. Für viele Schriftsteller*innen bedeutet das Exil neben dem Verlust der Heimat auch den der Sprache. Diese diffizile Situation zeigt die Ausstellung exemplarisch an den Einzelschicksalen von Monika, Erika und Klaus Mann sowie von Annette Kolb, Max Mohr, Grete Weil.
Grete Weil und ihr Mann Edgar Weil (1908-1941) stammen beide aus großbürgerlichen jüdischen Familien. Edgar Weil arbeitet als Dramaturg an den Münchner Kammerspielen. 1935 emigrierte das Paar angesichts zunehmender Repressalien durch das NS-Regime nach Amsterdam. Dort wird Edgar Weil 1941, nach der Besetzung der Stadt durch die Deutschen, festgenommen und im selben Jahr im KZ Mauthausen ermordet. Grete Will schloss sich dem niederländischen Widerstand an, arbeitete als Porträtfotografin für den Jüdischen Rat. Ab 1943 lebte sie mit ihrer Mutter versteckt in Amsterdam und entging dadurch der Deportation. Die Monacensia ist im Besitz der letzten Korrespondenz des Ehepaares. Besonders lesenswert ist in diesem Zusammenhang der Beitrag von Irmela von der Lühe:
„Erzählen gegen das Vergessen: Grete Weil“.
Der erfolgreiche Schriftsteller und Arzt Max Mohr stammt aus einer jüdischen Fabrikantenfamilie und ist zum Studium nach München gekommen. Er lebt mit Frau und Kind am Tegernsee, bis er 1934 allein nach Shanghai geht, um dort als Arzt zu arbeiten. Bevor seine Frau Käthe und Tochter Eva nachkommen können, stirbt Max Mohr dort an Herzversagen. Seine Schreibmaschine und kleine Puppen, die er seiner Tochter Eva aus Shanghai an den Tegernsee geschickt hat, sind in der Ausstellung
#LiterarischesMünchen der Monacensia ausgestellt (bis 6.1.26).
Die 71-jährige Annette Kolb macht sich 1941 abermals auf den Weg ins Exil. Sie flieht über Spanien nach New York. Auf dem Weg dorthin plagen sie finanzielle Sorgen, wie sie im (präsentierten) Brief an den befreundeten Schriftsteller Hermann Kesten schreibt. Der inzwischen ebenfalls in den USA lebende befreundete Schriftsteller unterstützt verfolgte Künstler*innen und Autor*innen.
Auch die Familie Mann emigriert nach Exilaufenthalten in Frankreich und der Schweiz 1938 in die Vereinigten Staaten. Zunächst in Princeton ansässig, wo Thomas Mann eine Gastprofessur innehatte, übersiedelt die Familie 1941 nach Pacific Palisades/Kalifornien. Nicht alle Familienmitglieder erhalten die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Erika Mann besitzt einen britischen Pass, der es ihr erlaubt, als Kriegsreporterin zu arbeiten, und ihr Onkel Heinrich Mann wird 1936 tschechoslowakischer Staatsbürger.
Besonders tragisch ist das Schicksal von Monika Mann. Sie heiratet 1939 den ungarischen Kunsthistoriker Jenő Lányi und geht mit ihm 1940 auf ein Schiff nach Nova Scotia. Dieses sinkt nach einem U-Boot-Angriff, und Jenő Lányi kommt dabei ums Leben.
In den USA widmet sich auch Klaus Mann wieder dem Schreiben. Während viele andere Schriftsteller*innen weiterhin auf Deutsch schreiben, wechselt Klaus nach seiner Ankunft 1938 in den USA ins Englische. Er gibt in New York die literarische Zeitschrift Decision heraus. Auch für seine privaten Aufzeichnungen verwendet er ab 19. März 1942 Englisch, wie sein ausgestelltes Tagebuch zeigt. 1942 tritt er als Soldat der US-Armee bei und hilft bei der psychologischen Kriegsführung. Seine Schwester Erika
arbeitet indes als Kriegsberichterstatterin; in der Ausstellung ist unter anderem ihre Militärjacke zu sehen.
Der Exilschreibtisch von Oskar Maria Graf
Oskar Maria Graf kommt 1938 nach New York. Seine Zeit im Exil ist produktiv. Er schreibt weiterhin auf Deutsch – darunter sein Hauptwerk Das Leben meiner Mutter – und gründet im Restaurant Alt-Heidelberg einen deutschen Stammtisch. In seiner Zweizimmerwohnung in der Hillside Avenue, die er zusammen mit seiner jüdischen Frau Mirjam Sachs bewohnt, finden sich zahlreiche Erinnerungsstücke.
Was ich im Lauf der Zeiten liebgewann,
das hängt verstreut an meinen Zimmerwänden:
Tolstoi und Goethe, Lincoln und Lenin,
Ein Bild von Marx, von Masaryk und Thomas Mann,
drei Aquarelle (Wiesen, Berge, Wolken drüberhin)
dazwischen, werktäglich und ohne Drum und Dran
und dennoch wie das Krönende schlechthin,
hängt meine alte Mutter, und mir vollenden
sich gleichsam nach geheimnisvollem Sinn
Zusammenhänge, die mir erst nach schweren Jahren
und wie durch einen Zufall offenbar geworden sind.
Oskar Maria Graf, Mein Zimmer, 1962
Sein Arbeitsplatz mit all den Erinnerungen, gebaut von dem befreundeten Schreiner Heinrich Kirchmeier, wird zu seiner neuen
„Schreibheimat“. So endet die Ausstellung „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“, wie sie begonnen hat: mit einem Schreibtisch.
**
Neugierig geworden? Die Ausstellung „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ ist noch bis zum 6. Januar 2026 in der Monacensia im Hildebrandhaus zu besuchen. Parallel dazu wird sie im MON-Mag-Dossier „Thomas Mann und das literarische München“ digital fortgeführt – mit weiterführenden Beiträgen, Hintergründen und Materialien.
***
Schon während ihrer Ausbildung zur Diplom-Bibliothekarin entdeckte Monika Schreiner ihre Leidenschaft für Fotografie und Film. Ihr Studium der Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Psychologie an der LMU München nutzte sie, um ihre Interessen zu vertiefen. Heute arbeitet sie freiberuflich als Content Creatorin, Fotografin und Bildredakteurin für verschiedene Medien im Digital- und Printbereich sowie als Bibliothekarin. Einer ihrer Schwerpunkte ist München. Sie schreibt für den
Isarblog und postet auf Instagram unter @supermunich.
„Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ (Teil 2/2) >
Die Stimmung kippt: Nach dem künstlerischen Aufbruch um 1900 und den tiefen Einschnitten des Ersten Weltkriegs führt Monika Schreiner im zweiten Teil ihres persönlichen Rundgangs durch die Ausstellung
„Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ in die Jahre 1919 bis 1945. Eine Zeit zwischen Vergnügungssucht, Kabarettkultur, politischem Druck und literarischem Exil. Im Fokus stehen die Brettlbühnen, die Münchner Volkssängertradition und die Folgen der nationalsozialistischen Machtübernahme insbesondere für Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Wie im ersten Teil greift Monika Schreiner bewusst ausgewählte Objekte und Archivstücke auf – jedes Exponat symbolisiert ein Thema und macht historische Zusammenhänge spürbar. Wer den Auftakt verpasst hat, findet ihn unter „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ – ein Rundgang durch eine Epoche von Aufbruch, Kunst und Exil.
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Vergnügungskultur und politische Umbrüche – Münchens Bühnen und Literatur bis ins Exil
Vergnügungssucht am Rande des Abgrunds (ca. 1919-1933)
München mit ... seinen Bauernbällen im Fasching, seiner Märzenbier-Dicktrunkenheit, der wochenlangen Monstre-Kirmes seiner Oktoberwiese, wo eine trotzig-fidele Volkhaftigkeit, korrumpiert ja doch längst von moderner Massenbetrieb, ihre Saturnalien feierte …
Thomas Mann, Doktor Faustus, 1947
Die gesellschaftlichen Umwälzungen nach Ende des Ersten Weltkriegs betreffen alle: das großbürgerliche Milieu ebenso wie das Kleinbürgertum und die Arbeiterschicht. Während die einen während der Weimarer Republik vermehrt zu reisen beginnen, entdecken die anderen Volksbelustigungen für sich. Dabei zieht es immer mehr Menschen in die Städte. Ihnen will Karl Valentin Unterhaltung bieten, indem er sie und ihre Themen aufgreift.
… nicht Fürstlichkeiten, sondern Leute aus dem Volke mimisch darstellen.
Karl Valentin, um 1915.
Zusammen mit seiner Partnerin Liesl Karlstadt erobert er die Jahrmärkte und Brettlbühnen in München sowie weit darüber hinaus in Deutschland und ganz Europa. Das zeigen Bilder und ein Programm aus dem „Kabarett der Komiker“ von 1929 in Berlin. Das Volksvergnügen entdecken auch junge Autor*innen wie Bertolt Brecht, der das Duo Valentin/Karlstadt bei Auftritten unter anderem musikalisch begleitet, oder Ödön von Horváth. Beide orientieren sich an der Tradition der Münchner Volkssänger*innnen und reformieren so das Theater.
Ödön von Horváth, der von 1909 bis 1934 in Murnau am Staffelsee lebt, liebt Volksbelustigungen und lässt sein Theaterstück Kasimir und Karoline (1932) auf dem Oktoberfest spielen.
Als ich heute bei meiner
Ankunft gefragt wurde, ob ich
in die Oper gehen will oder
aufs Oktoberfest, da habe ich gesagt:
„Natürlich auf das Oktoberfest!“ –
Ich schätze doch die bayerische Kunst
sehr hoch, aber ich wollte mal das
bayerische Volk sehen!
Ödön von Horváth: Notizbuch Nr. 7, 1932. Österreichisches Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien.
Wie populär das Volkstümliche in der Literatur gewesen ist, hat Oskar Maria Graf mit seinem Bayrisches Lesebücherl (1924), ebenfalls ausgestellt, erfahren. Seine zuvor im Simplicissimus erschienenen Bauernsatiren und Schnurren machten ihn, sehr zu seinem Unmut, zu einem bayerischen Autor.
Und frecherweise bedeutet ja für Nichteinheimische ,bayrisch‘ fast immer so etwas wie ein herzerfrischendes Hinterwäldlertum auf Bauernart, eine mit dem dicken Zuckerguß sentimentaler Verlogenheit reizend garnierte Gebirgsjodler-Idylle, ein schlicht-inniges bierkatholisches Analphabetentum als Volkscharakter und im besten Falle eine bäuerlich-pfiffige Gaudi-Angelegenheit.
Oskar Maria Graf, Gelächter von außen, 1966
Das Büchlein befindet sich neben der Visitenkarte von Oskar Maria Graf, mit der er für seine Bücher wirbt.
Auch Erika Mann ist mit Münchens Volksbelustigungen vertraut. Zusammen mit Therese Giehse bringt sie am 1. Januar 1933 in der Bonbonniere zum ersten Mal das antifaschistische Kabarett Die Pfeffermühle auf die Bühne. Eines ihrer Typoskripte aus der Produktion zusammen mit einem Bühnenfoto befindet sich in der Monacensia. Zu sehen ist Die Pfeffermühle in der Tradition des politischen Kabaretts der Elf Scharfrichter, das von 1901 bis 1904 existierte und im Umfeld des Simplicissimus entstanden ist.
Ein großer Teil der Vitrine ist der Karriere von Liesl Karlstadt gewidmet. Die spätere Kabarettistin begann als Soubrette unter dem Namen Elise Wellano, bis sie 1911 Karl Valentin trifft. Sie wird zu seiner Partnerin, die in verschiedene Rollen schlüpft, zudem die Auftritte organisiert und ihre gemeinsame Arbeit dokumentiert. Das Scheitern von Valentins Kuriositätenkabinett Panoptikum, in das sie ebenfalls viel Geld investiert hat, stürzt sie in eine tiefe Krise, die zu einer emotionalen und physischen Distanzierung zu Valentin führt. Während des Zweiten Weltkriegs hält sie sich ab 1941 für zwei Jahre bei den Gebirgsjägern auf. Dort betreut sie als „Gefreiter Gustav“ die Mulis auf der Ehrwalder Alm, denn Frauen waren in dieser Einheit nicht vorgesehen.
Flucht ins Ungewisse – Münchner Schriftsteller*innen im Exil
Und als Hitler an die Macht gekommen war, wußten wir, daß wir gehen mußten.
Erika Mann, 1943.
Mit Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 beginnt eine große Bedrohung für Intellektuelle, Jüdinnen und Juden sowie Schriftsteller*innen: Sie werden im NS-Staat mit Berufsverboten belegt, verfolgt, mit dem Tod bedroht und auch ermordet. Viele von ihnen versuchen zu flüchten – zunächst in die europäischen Nachbarstaaten, dann oft weiter in die USA. Der Erwerb einer Aufenthaltsgenehmigung ist meist schwierig. Die Antragsteller*innen benötigen Kontakte und Beziehungen, um Pässe, Transite und weitere Genehmigungen zu erhalten. Für viele Schriftsteller*innen bedeutet das Exil neben dem Verlust der Heimat auch den der Sprache. Diese diffizile Situation zeigt die Ausstellung exemplarisch an den Einzelschicksalen von Monika, Erika und Klaus Mann sowie von Annette Kolb, Max Mohr, Grete Weil.
Grete Weil und ihr Mann Edgar Weil (1908-1941) stammen beide aus großbürgerlichen jüdischen Familien. Edgar Weil arbeitet als Dramaturg an den Münchner Kammerspielen. 1935 emigrierte das Paar angesichts zunehmender Repressalien durch das NS-Regime nach Amsterdam. Dort wird Edgar Weil 1941, nach der Besetzung der Stadt durch die Deutschen, festgenommen und im selben Jahr im KZ Mauthausen ermordet. Grete Will schloss sich dem niederländischen Widerstand an, arbeitete als Porträtfotografin für den Jüdischen Rat. Ab 1943 lebte sie mit ihrer Mutter versteckt in Amsterdam und entging dadurch der Deportation. Die Monacensia ist im Besitz der letzten Korrespondenz des Ehepaares. Besonders lesenswert ist in diesem Zusammenhang der Beitrag von Irmela von der Lühe:
„Erzählen gegen das Vergessen: Grete Weil“.
Der erfolgreiche Schriftsteller und Arzt Max Mohr stammt aus einer jüdischen Fabrikantenfamilie und ist zum Studium nach München gekommen. Er lebt mit Frau und Kind am Tegernsee, bis er 1934 allein nach Shanghai geht, um dort als Arzt zu arbeiten. Bevor seine Frau Käthe und Tochter Eva nachkommen können, stirbt Max Mohr dort an Herzversagen. Seine Schreibmaschine und kleine Puppen, die er seiner Tochter Eva aus Shanghai an den Tegernsee geschickt hat, sind in der Ausstellung
#LiterarischesMünchen der Monacensia ausgestellt (bis 6.1.26).
Die 71-jährige Annette Kolb macht sich 1941 abermals auf den Weg ins Exil. Sie flieht über Spanien nach New York. Auf dem Weg dorthin plagen sie finanzielle Sorgen, wie sie im (präsentierten) Brief an den befreundeten Schriftsteller Hermann Kesten schreibt. Der inzwischen ebenfalls in den USA lebende befreundete Schriftsteller unterstützt verfolgte Künstler*innen und Autor*innen.
Auch die Familie Mann emigriert nach Exilaufenthalten in Frankreich und der Schweiz 1938 in die Vereinigten Staaten. Zunächst in Princeton ansässig, wo Thomas Mann eine Gastprofessur innehatte, übersiedelt die Familie 1941 nach Pacific Palisades/Kalifornien. Nicht alle Familienmitglieder erhalten die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Erika Mann besitzt einen britischen Pass, der es ihr erlaubt, als Kriegsreporterin zu arbeiten, und ihr Onkel Heinrich Mann wird 1936 tschechoslowakischer Staatsbürger.
Besonders tragisch ist das Schicksal von Monika Mann. Sie heiratet 1939 den ungarischen Kunsthistoriker Jenő Lányi und geht mit ihm 1940 auf ein Schiff nach Nova Scotia. Dieses sinkt nach einem U-Boot-Angriff, und Jenő Lányi kommt dabei ums Leben.
In den USA widmet sich auch Klaus Mann wieder dem Schreiben. Während viele andere Schriftsteller*innen weiterhin auf Deutsch schreiben, wechselt Klaus nach seiner Ankunft 1938 in den USA ins Englische. Er gibt in New York die literarische Zeitschrift Decision heraus. Auch für seine privaten Aufzeichnungen verwendet er ab 19. März 1942 Englisch, wie sein ausgestelltes Tagebuch zeigt. 1942 tritt er als Soldat der US-Armee bei und hilft bei der psychologischen Kriegsführung. Seine Schwester Erika
arbeitet indes als Kriegsberichterstatterin; in der Ausstellung ist unter anderem ihre Militärjacke zu sehen.
Der Exilschreibtisch von Oskar Maria Graf
Oskar Maria Graf kommt 1938 nach New York. Seine Zeit im Exil ist produktiv. Er schreibt weiterhin auf Deutsch – darunter sein Hauptwerk Das Leben meiner Mutter – und gründet im Restaurant Alt-Heidelberg einen deutschen Stammtisch. In seiner Zweizimmerwohnung in der Hillside Avenue, die er zusammen mit seiner jüdischen Frau Mirjam Sachs bewohnt, finden sich zahlreiche Erinnerungsstücke.
Was ich im Lauf der Zeiten liebgewann,
das hängt verstreut an meinen Zimmerwänden:
Tolstoi und Goethe, Lincoln und Lenin,
Ein Bild von Marx, von Masaryk und Thomas Mann,
drei Aquarelle (Wiesen, Berge, Wolken drüberhin)
dazwischen, werktäglich und ohne Drum und Dran
und dennoch wie das Krönende schlechthin,
hängt meine alte Mutter, und mir vollenden
sich gleichsam nach geheimnisvollem Sinn
Zusammenhänge, die mir erst nach schweren Jahren
und wie durch einen Zufall offenbar geworden sind.
Oskar Maria Graf, Mein Zimmer, 1962
Sein Arbeitsplatz mit all den Erinnerungen, gebaut von dem befreundeten Schreiner Heinrich Kirchmeier, wird zu seiner neuen
„Schreibheimat“. So endet die Ausstellung „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“, wie sie begonnen hat: mit einem Schreibtisch.
**
Neugierig geworden? Die Ausstellung „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ ist noch bis zum 6. Januar 2026 in der Monacensia im Hildebrandhaus zu besuchen. Parallel dazu wird sie im MON-Mag-Dossier „Thomas Mann und das literarische München“ digital fortgeführt – mit weiterführenden Beiträgen, Hintergründen und Materialien.
***
Schon während ihrer Ausbildung zur Diplom-Bibliothekarin entdeckte Monika Schreiner ihre Leidenschaft für Fotografie und Film. Ihr Studium der Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Psychologie an der LMU München nutzte sie, um ihre Interessen zu vertiefen. Heute arbeitet sie freiberuflich als Content Creatorin, Fotografin und Bildredakteurin für verschiedene Medien im Digital- und Printbereich sowie als Bibliothekarin. Einer ihrer Schwerpunkte ist München. Sie schreibt für den
Isarblog und postet auf Instagram unter @supermunich.












