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Kultur trotz Corona: „Reis für 2 Euro 60“. Von Beate Klepper

Beate Klepper (* 1965 in Coburg) lebt in München und beschäftigt sich als Autorin intensiv mit der Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. 1998 veröffentlichte sie die Romanbiografie Tumult der Seele – Lichtenberg und Maria Dorothea Stechard, außerdem eine Reihe von Erzählungen in Zeitschriften und Anthologien. 2009 erschien ihr historischer Roman Spiel hinter Masken. Die Romanbiografie über Georg Büchner und seine Verlobte Minna Jaeglé, Büchners Braut, publizierte sie 2013. Beate Klepper ist Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller (VS), im Freien deutschen Autorenverband (FDA), im Münchner Literaturbüro und beim Montségur-Autorenforum.

Mit dem folgenden unveröffentlichten Text beteiligt sich Beate Klepper an der Fortsetzung von Kultur trotz Corona“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung bayerischer Literaturschaffender. Alle bisherigen Beiträge der Reihe finden Sie HIER.

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Reis für 2 Euro 60

Als die Regale fast leergefegt waren, kaufte ich Reis für 2 Euro 60. Ein Pfund wohlgemerkt. Es war sonst kein anderer mehr zu bekommen. Die Billigen waren weggehamstert. Italienischer, Langkorn, nobles Zeug. Der musste mit, denn wer wusste, ob es nicht wirklich schlimm wird.

Ich glaubte nicht daran, aber wenn alle andern – na ja, man wird mitgezogen. So kannte ich mich gar nicht. Und hungern, nun, das wäre unangenehm. Das Sterben an sich, der Moment des Sterbens, vor dem grauste es mich nicht. Dem Anschein nach hatten wir in diesen Wochen die Wahl, entweder zu verhungern oder zu ersticken.

Nudeln wurden bevorzugt, waren oft ganz aus. Machen wohl anhaltender satt, was den pragmatischen, sparsamen Deutschen entgegenkommt.

Mein Einkaufswagen blieb oft halb leer, meist nur der Boden bedeckt. Zur Ansammlung von Vorräten bin ich zu unschlüssig, und ich hatte ja zuhause etwas in den Schränken und Kühlfächern. Das musste erst weg, und ich konnte mich nicht entscheiden, was ich zu dem italienischen Luxusreis kochen sollte. Tomatensauce wäre für den zu simpel.

Ich nahm noch Meeresfrüchte, im Glas eingelegt und Artischocken. Das fällt mir jetzt ein, nach sechs Monaten, da ich die halbe Packung Nobelreis koche. So lange hatte ich ihn zur Seite geschoben. Heute ist kein anderer da. Dazu mache ich Tomatensauce mit Feta. Ich habe keinen Appetit. Es wird bald Winter. Die Hallenbäder bleiben geschlossen, die Theater auch.

Ich reihe mich ein in die Alten, die am frühen Abend in die Supermärkte gehen, um Menschen neben sich zu fühlen. Keiner hält uns auf, wenn sie mir zu nahe kommen, die Schwerhörigen oder Alterssichtigen, die mir ihr Zutrauen schenken, ihren Kopf neigen, mir ganz dicht eine Packung sonstwas zeigen, mich am Ellenbogen halten, mich fragen, durch ihre Maske schreien, sie runterziehen, ob ich das lesen könne. Ich verlaufe mich leicht hier, und es dauert, wenn ich jemanden geduldig durch die Gänge zur Kühltheke oder zum Frischobst führe. Es ist schön, mit jemandem einen Weg gemeinsam zu gehen, manche den Arm untergehakt bei mir.

In meinem Auto finde ich Schutz vor dem Regen, nicht vor dem Alleinsein. Wenn der Kofferraum leidlich gefüllt ist mit einer Tüte Lebensmittel, einer Kiste Bier und einer mit feinen Saft, hat die Einsamkeit weniger Platz darin.