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29.03.2024, 09:31 Uhr
Redaktion
Gespräche

Interview mit dem Schreibzentrum der LMU München

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Daniel Graziadei (c) Martin Geier 2023

Das Schreibzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München unterstützt seit 2015 Studierende bei all ihren Fragen rund um das Schreiben – von Workshops über persönliche Schreibberatungen. Neben den akademischen Kursen erhalten 12 Studierende pro Semester in „Kreativ Schreiben!“ die Gelegenheit, sich vier Stunden in der Woche dem kreativen Schreiben zu widmen. Die Anmeldefrist läuft noch bis zum 1. April.

Das Literaturportal Bayern sprach mit Tabea Hawkins (aktuelle Co-Leiterin) und Daniel Graziadei (ehem. Leiter des Zentrums). Das Gespräch führte Christopher Bertusch.

*

LITERATURPORTAL: Das Schreibzentrum unterstützt Studierende bei ihren Schreibtätigkeiten. Was kann man sich darunter vorstellen?

TABEA HAWKINS: Wir bieten Angebote für Studierende, Promovierende und Lehrende an. Für Studierende besteht unser Hauptangebot aus individuellen Schreibberatungen, in die die Studierenden mit ihren Texten, sei es mit der ersten Hausarbeit, der Bachelorarbeit oder ihren Bewerbungsunterlagen, kommen können. Beraten werden sie von ausgebildeten Schreibtutoren und Tutorinnen, die selbst Studierende oder teilweise Promovierende sind. Sie sprechen mit ihnen die Texte durch und versuchen sie nach dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu unterstützen. Wir teilen Ressourcen und Techniken mit, die dabei helfen, dass die Studierenden bei ihren nächsten Textprojekten selbständig weiterarbeiten können und nicht mit demselben Problem wieder bei uns sitzen.

Daneben geben wir auch Workshops bezüglich punktueller Fragen, zum Beispiel Einführungen in das Zitieren oder einen Kurs zur ersten Hausarbeit. Wir organisieren auch Schreibevents, beispielsweise „Die Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“, die einmal im Jahr, am Ende des Wintersemesters, nach der Pomodoro-Technik, stattfindet. Also wir schreiben fünfundzwanzig Minuten und machen dann fünf Minuten Pause, wiederholen das dreimal und dann gibt es eine längere Pause. Dazu stellen wir Kaffee, Tee und Snacks bereit.

LPB: Auf Eurer Website äußert Ihr den Wunsch, dass der Schreibprozess mehr in die Lehre aufgenommen werden sollte. Man würde sich eigentlich vorstellen, dass in der Uni bereits viel geschrieben wird...

DANIEL GRAZIADEI: Man glaubt, man würde viel schreiben, aber schauen wir uns einmal ein prototypisches, literaturwissenschaftliches Seminar an: Da hat man das ganze Semester über Texte besprochen und Präsentationen gehalten, aber was hat man wirklich geschrieben?

Das Schreiben in die Lehre zu integrieren bedeutet, dass man am Ende mit einer Hausarbeit nicht etwas abprüft, was man vorher nie geübt hat. Ich selbst habe in meinen letzten Seminaren Thesenpapiere vor Semesterende schreiben lassen. Die Studierenden haben sie dann hochgeladen, untereinander gelesen und wir haben sie gemeinsam diskutiert. Wenn man zwei bis drei Thesenpapiere pro Seminar schreiben lässt, dann hat das den positiven Effekt, dass die Studierenden am Ende nicht komplett hilflos in die Hausarbeit gehen. Und auch die Lehrenden wissen dann, wie der schriftliche Stand der Studierenden ist.

HAWKINS: Wir arbeiten dafür mit ausgebildeten Writing-Fellows, die einen Kurs mitbetreuen und über ein Semester lang begleiten. Sie erstellen zusammen mit der Lehrkraft Schreibaufgaben, die während des Semesters umgesetzt werden. Die Studierenden geben diese immer zuerst an den Writing-Fellow ab, kriegen Feedback und können den Text noch einmal bearbeiten, bevor ihn die Lehrkraft erhält. Das senkt auch die Hemmschwelle der Studierenden.

GRAZIADEI: Und ist aus Sicht der Lehrenden positiv, weil es weniger eigene Korrekturarbeit erfordert...

LPB: Gerade im universitären Kontext wird eifrig über Chat-GPT diskutiert. Ihr habt vor Kurzem einen Leitfaden zum Umgang mit diesem Tool für Studierende und Lehrende herausgebracht. Wie geht Ihr damit um?

HAWKINS: Unser Anliegen war es, eine Handreichung zu erstellen: einerseits für Studierende – indem wir darüber reden, wie diese Large Language Models überhaupt funktionieren. ChatGPT ist eine Realität, die man nicht ausgrenzen oder verbieten kann. Wir müssen es als Werkzeug verstehen und lernen, wie man ordentlich damit arbeitet. Daher haben wir uns angeschaut, wie Lehrende damit umgehen und wie das abgeprüft werden könnte. Wir hatten in einem Kurs den Fall, dass die Studierenden mit ChatGPT arbeiten durften, ihren Umgang aber protokollieren und anschließend eine Reflektion schreiben mussten, wie hilfreich das war und auf welche Probleme sie stießen.

GRAZIADEI: Die zugrundeliegende Frage lautet: Was ist unser Wert in dem Moment, in dem Maschinen es besser oder anders können? Meine Aufgabe als Lehrender ist es eigentlich, die Forschungsfrage so zu stellen, dass eine KI sie gar nicht bearbeiten kann. Vielleicht ist das gerade das Positive, das Lehrende aus dieser Problematik ziehen können. Wie kann ich spannendere, individuellere Aufgabenstellungen entwickeln, die gar nicht KI-kompatibel sind? Wir können den Geist in der Geisteswissenschaft noch deutlicher herauskristallisieren.

LPB: Mit „Kreativ Schreiben!“ bietet das Schreibzentrum auch einen Kurs über Texte außerhalb von Hausarbeit und Seminarpräsentation an. Wie lässt sich das mit dem akademischen Schreiben verbinden und war diese Zweigleisigkeit von Anfang an geplant?

GRAZIADEI: Ich glaube nicht, dass man es eine Zweigleisigkeit nennen kann. Dafür ist das eine Gleis viel zu stark. Wir haben ein großes Problem im deutschen Universitätsbetrieb: Kreatives Schreiben wird oft als eine dem akademischen Duktus nicht entsprechende Tätigkeit behandelt. Das führt zu zwei Problemen. Zum einen gibt es viel zu wenig kreative Schreibangebote in deutschen Universitäten. Zum anderen sind die wenigen, die es gibt, eher Schreibschulen und -Schmieden, die versuchen Bestsellerautoren und Autorinnen oder zumindest gut vernetzte Schreibende auszubilden. Wie ich von einigen Teilnehmenden erfahren habe, ist das mit einem extremen Druck und vielen typischen Krankheiten des Kunst- und Kulturbetriebs behaftet. An all dem hatten wir kein Interesse.

LPB: Was ermöglicht Euer Schreibkurs im Gegensatz dazu?

GRAZIADEI: Unser Kurs ist 2018 aus einer guten Ressourcenlage am Schreibzentrum entstanden. Ich selbst hatte schon Erfahrungen durch die Offene Schreibwerkstatt der Komparatistik, die ich als Student geleitet hatte. Die reine Textbesprechung ist ein wunderbares Format, aber kein Format, das ich mir aus meinem mittlerweile erarbeiteten pädagogischen Hintergrund heraus sinnvoll erschien. Ich stellte mir die Frage: Wie kann man überhaupt wissen, was man schreiben will oder kann, ohne es ausprobiert zu haben? Unser Kurs geht daher gegen den Werkstattcharakter, aber zugleich ist unser Anspruch kein neoliberaler Gestus á la „Macht was Kreatives, damit ihr es dann einsetzen könnt“, sondern einfach „Macht was Kreatives“.

Mein Kunstverständnis ist davon geprägt, dass es gut läuft, wenn es nicht strategisch läuft, sondern wirklich aus dem Spiel und dem Herzen stammt. Wir zeigen den Studierenden unterschiedliche Facetten des Schreibens, beginnen damit ihre Kreativität zu wecken und beenden den Kurs mit einer gemeinsamen Lesung im Lyrik Kabinett München. Dabei wird versucht, möglichst viele literarische Gattungen abzubilden. Wer was dazu gibt und welches Format funktioniert, das haben wir konstant verändert und weiterentwickelt durch genaues Feedback. Wir haben einen Feedbackbogen, der dauert vermutlich eine halbe bis dreiviertel Stunde zum Ausfüllen und deckt jeden Aspekt des Kurses ab. Weil es uns wirklich interessiert, wie der Kurs ankommt.

Tabea Hawkins (c) Maximilian Stark 2022

LPB: Wie ist der Kurs derzeit aufgebaut?

GRAZIADEI: Zunächst werden aus den Bewerbungen zwölf Teilnehmende ausgewählt. Das ist auch der Charme des Kurses. Wir wählen die Studierenden in einer meist dreiköpfigen Jury aus. Jeder wählt hier seine Favoriten aus, die nicht unbedingt auf dem Blatt der anderen Juroren stehen werden. Das erzeugt eine recht heterogene Gruppe. Einen Teil der Inhalte gestalten wir selbst, für den Rest holen wir uns externe Lehrende. Zum Kursbeginn kommt zum Beispiel Tatijana Milovic mit einigen Aufgaben zum Autobiographischem Schreiben und mit Schreibaufgaben, die in den Alltag integrierbar sind. Wir haben ganz am Anfang auch eine Stunde dazu, wie man richtig Feedback gibt, und überlegen uns immer, wie wir die Studierenden dazu bringen können, ihre Texte immer wieder zu überarbeiten.

HAWKINS: Für die weiteren Stunden habe ich einen Werkzeugkasten aus verschiedenen Fähigkeiten und Aufgaben erstellt, die man in seinem Repertoire haben sollte, wenn man regelmäßig schreiben und sich verbessern möchte. Der Werkzeugkasten soll auch klarmachen, dass Schreiben ein Handwerk ist, das man lernen kann. Im deutschen Kulturkreis scheint der Geniegedanke noch fest verankert zu sein. Das versuchen wir immer aufzulösen, denn es ist eines unserer größten Probleme. Wir haben leider jedes Semester jemanden, der uns im Verlauf des Kurses verloren geht. Meist sind es Leute, die glauben nicht gut genug zu sein.

LPB: Was ist für Euch das Besondere an der Arbeit mit Studierenden?

GRAZIADEI: Die Sozialisation. Dass man gewisse Arbeitstechniken und Methoden anwenden und darüber reden kann – mit Ausnahmen natürlich. Versuch‘ einmal bei einem Volkshochschulkurs nachzufragen, wie die heutige Stunde war. Neulich haben wir einen Workshop mit vielen nicht-studentischen Teilnehmenden gehalten. Da merkt man, welche Schwierigkeiten es gibt, wenn Menschen nicht wissen, wann sie still und wann sie aufmerksam sein sollten.

HAWKINS: Die Herausforderung ist, dass wir manchmal Gruppen haben, die noch im Vorlesungsmodus feststecken und von denen kein Feedback kommt, mit denen kein Austausch entsteht. Eine andere Herausforderung sind Studierende der Literatur- und Theaterwissenschaft. Die kommen mit so vielen intertextuellen Referenzen an, steigen zu hoch ein und machen ihre Texte so kompliziert und literarisch wie möglich.

GRAZIADEI: Das ist ein generelles Problem, das durch diese romantische Vorstellung des Genies entsteht. Ich komme immer emotional an die Grenze, wenn Leute nicht in der Lage sind, ihre Texte zu überarbeiten, weil sie der Meinung sind, sie seien bereits perfekt. Man muss erstmal zu einem kritischen Verständnis und einem Abstand zum eigenen Text kommen, ihn mit fremden Augen noch einmal lesen. Das ist eine Herausforderung, die für manche sehr einfach und für andere sehr schwierig ist. Ansonsten habe ich gerne einige literaturwissenschaftliche Elemente im Kurs. Um sagen zu können: Ich muss kein Kritiker sein, ich kann Analytiker sein. Ich muss nicht sagen, dieser Text ist gut oder schlecht. Ich kann nur sagen: Okay, hier ändert sich die Erzählstimme, haben wir hier zwei Erzählinstanzen oder wie funktioniert das?

LPB: Ihr schreibt beide selbst. Verändert der Kurs die Sicht auf Eure eigene Literatur?

HAWKINS: Ich finde es schön, die unterschiedlichen Stile und Texte hören zu dürfen. Egal wie sehr ich einen Workshop vorbereite, in den Texten der Teilnehmenden kommen so viele neue Beispiele vor, die ich für mich selbst, oder das nächste Semester übernehmen kann. Es ist auch schön zu sehen, wie sich unter den Teilnehmenden eine Community aufbaut. Man trifft sich auf Events oder geht zu Open Mic Nights. Letztes Jahr gab es die Anthologie Fantastische LMU, die von Alumni unseres Kurses geschrieben wurde.

GRAZIADEI: Was ich bereits in der Schreibwerkstatt toll fand, ist dieser Moment, in dem man merkt, wie zehn bis zwölf Leute zu einem Thema, einem Begriff und einer Technik etwas schreiben, und es kommen so unterschiedliche Dinge dabei heraus. Diese Diversität, die in jeder Kreativität steckt, ist etwas, das mich unglaublich befeuert. Es gibt mir den Freifahrtschein für mein eigenes Schreiben zu sagen: Ne, mach das ruhig!

LPB: Welche Herausforderungen erlebt Ihr bei Eurer Arbeit?

GRAZIADEI: Die Vertretungsprofessuren haben „Vertretung“, das Wissenschaftszeitarbeitsgesetz hat „Zeit“ im Namen stehen. Beides läuft aus. Der akademische Betrieb ist im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen Betrieben so gebaut, dass man Kräfte, die fünfzehn Jahre lang gute Arbeit gemacht haben, auf einmal nicht mehr weiter anstellen kann. Das ist nicht nur ein persönliches, sondern auch ein institutionelles Problem, weil das Schreibzentrum sich ständig erhalten muss. Schreibtechniken für Akademiker sind aber vom ersten Semester bis zur Habilitation oder dem Forschungsantrag wichtig. Ein Schreibzentrum sollte zu einer Grundstruktur einer Universität gehören und nicht ein „Nice to have“ sein. Ganz einfach gesagt müsste ein Schreibzentrum verstetigt sein und nicht zwischenfinanziert werden.

HAWKINS: Eine große Hürde ist die „Nach mir die Sinflut“-Haltung: Wenn ich durch die Uni gekommen bin, ohne dass mir explizit Schreibkompetenzen vermittelt wurden, dann müssen die das heute auch irgendwie hinbekommen. Oder es wird als ein Teil des Aussortierungsprozesses angesehen. Entweder Du lernst es oder nicht. Und wenn nicht, dann gehörst Du eben nicht an die Universität. Wir sehen uns da in gewisser Weise auch als eine Instanz, die versucht, sozioökonomische Hintergründe auszugleichen. Nicht jeder hat Akademiker-Eltern oder ein Umfeld, das einem bei gewissen Problemen helfen kann.

LPB: Wie sieht die Zukunft für das Schreibzentrum aus?

HAWKINS: Ich freue mich darüber, den Kreativschreibkurs von Daniel weiterzuführen. Wir entwickeln gerade einen Lesetreff, um Lesestrategien zu lehren, weil diese Kompetenzen im akademischen Rahmen ebenfalls oft zu kurz kommen. Wir hatten einmal auch einen Kurs zum journalistischen Schreiben, das fände ich wieder spannend. Ich habe unlängst mit dem Rachel-Carson-Zentrum ein Zweisemestermodul zu dieser Frage erstellt: Was machen wir mit dem akademischen Wissen, das wir produziert haben, und wie tragen wir das hinaus? Dabei haben wir uns mit Blogs, Social Media und Podcasts beschäftigt – auch über das reine Schreiben hinaus. Es ist wichtig für die Wissenschaft hier weiterzugehen.

LPB: Vielen Dank für das Gespräch!

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