Info
02.04.2024, 12:36 Uhr
Marc Johne
Text & Debatte

Rede auf Ursula Hass anlässlich der Feier ihres 80. Geburtstags von Marc Johne

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/instblog/2024/Klein/Haas-80-02_500.jpg
Jubilarin und Akademie-Vizepräsidentin Ursula Haas, Verleger und Laudator Marc Johne, Akademie-Präsident Prof. Dr. Günter J. Krejs. (C) Susanne Habel

Am 27.2.2024 begeht das Sudetendeutsche Haus in München den 80. Geburtstag der Schriftstellerin Ursula Haas. Haas ist 1943 im tschechoslowakischen Aussig an der Elbe (heute das tschechische Ústi nad Labem) geboren und Vizepräsidentin der Sudetendeutschen Akademie für Wissenschaft und Künste. Marc Johne betreibt den Verlag edition bodoni in Neuruppin und hat darin auch Werke der Münchner Autorin publiziert. Er hält die Preisrede auf Haas und singt für sie anschließend das „Kamper Trinklied“.

*

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Vizepräsidentin und Autorin,
liebe Ursula,

ich möchte mich sehr bedanken, dass ich gebeten wurde, Ursula Haas hier und heute die Ehre zu erweisen und über ihr reiches literarisches Schaffen zu sprechen. Dankend habe ich angenommen, wohlwissend, dass unser Verlag nur einen schmalen Anteil daran hat. Aber ich denke, wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, denn unser Verlag edition bodoni in Buskow, einem kleinen Dorf im Brandenburgischen bei Neuruppin, hat seit 1993 so manch gutem Buch Geburtshilfe geleistet. Er hat zudem mit einer über hundert Jahre alten, noch immer produzierenden Buchdruckerei, einen besonderen Schatz über die Zeiten gerettet, der auch den Büchern von Ursula zu Gute gekommen ist. Beginnen wir nun also von Anfang an.

 

Verleger Marc Johne (c) Marc Johne

Es war an einem kühlen Märzsonntag des Jahres 2016 auf der Leipziger Buchmesse. Unser Verlag edition bodoni und das Bodoni Museum sind seit vielen Jahren Gast auf der Bücherschau in Leipzig. Aus dem Gewusel der Messebesucher fand eine beeindruckende Dame den Weg an unseren Messestand, welcher sich neben Büchern durch eine historische Druckmaschine abhob. Schnell kamen wir über unsere umfangreiche im Blei gesetzte und gedruckte Sammlung von Einblattdrucken zu Texten von Heinrich Heine ins Gespräch, über das Leben und die schönen Künste im Allgemeinen, die Literatur in stürmischen Zeiten, das Büchermachen und die großen Fragen der Welt im Besonderen. Die sehr sympathische Dame offenbarte sich schnell als Schriftstellerin mit umfangreichem Oeuvre und lies mich wissen, dass sie auf der Suche nach einem neuen Verlag für ihr nächstes Buch sei.

Das Gespräch nahm bei Kaffee und Kuchen seinen Lauf und alsbald stellte sich heraus, dass wir auch gemeinsame familiäre Wurzeln im sudetendeutschen Land haben. Meine Familie väterlicherseits stammt ebenfalls aus Ústi nad Labem, wo die Urgroßeltern eine Gärtnerei und Großeltern ein grafisches Gewerbe hatten. Letztere hat es 1945 nach Halle an der Saale verschlagen.

Der Blick zurück prägt unseren Blick auf die Zukunft, das Schicksal der eigenen Vergangenheit lässt sich biografisch nicht wegredigieren.

Wir kamen also zusammen, Du, die Ältere, Gestandene aus München, westlich der Elbe, ich, der Idealistische, der Jüngere, östlich der Elbe. Der Widerstreit unserer Biografien vereinte sich im Erleben der Wichtigkeit von Menschlichkeit, Kunst und Kultur.

Ursula schickte uns also umgehend nach der Messe einige ihrer Bücher und brachte unser Verlagsteam zum Staunen. Welch umfangreiches Werk breitete sich aus. Also stiegen wir ein: 

Der politische Wandel des Jahres 1945, der Verlust der Heimat in Ústi nad Labem in der Tschechoslowakei brachte die Familie auf die Suche nach einem neuen Anfang in der Nachkriegswelt und führte sie im Sommer 1945 nach Düsseldorf. Ihr Weg führte sie mit 15 Jahren zum Abitur und anschließendem Germanistik- und Pädagogikstudium nach Bonn. Sie trat nicht in den Schuldienst ein, sondern gab Privatunterricht und begann zu schreiben.

Im Jahr 1983 erschien Ihr erster Prosaband Klabund, Klabund oder Möglichkeiten der Auflösung. 1984 folgte der Erzählband Abschiedsgeschichten, 1986 der Roman Freispruch für Medea, 1993 erschien der Band Wir schlafen auf dem Munde. Gedichte über die Liebe. 2007 dann der bibliophile Handdruck von Ghaselen Ititmad. Freuden und Klagen, 2009 Lyrik und Ghasele Ich kröne dich mit Schnee, für den sie den „Nikolaus-Lenau-Preis für Lyrik“ erhielt. 2009 der Roman Drei Frauen, der die Lebensgeschichten der Bildhauerin Camille Claudel, der Fotografin Tina Modotti und ihres Alter Egos, der Schriftstellerin Lenka miteinander verknüpft. Im Jahr 2014 erschien der Erzählband Busenfreundinnen. Geschichten zu Lust und Brust.

Etwas tiefer möchte ich auf den Roman Freispruch für Medea eingehen, der 1986 erschienen ist. Er wurde zu ihrem langjährigen thematischen Fokus. Sie versuchte den klassischen Medea-Mythos mit einer neuen weiblichen Perspektive zu versehen, der ein Aufbrechen des Patriarchalen hin zu einer weiblichen Rezeption bemühte.

Die Überbrückung oder die Verschärfung der Gegensätzlichkeiten der beiden Geschlechter standen ausdrücklich zur Disposition.

Medea setzt mit Ihrer Entscheidung, das gemeinsame Kind von Jason nicht zu bekommen, ein Zeichen, die schmutzige patriarchalische Welt von Intrigen und Krieg nicht fortzusetzen. In unserer heutigen Zeit haben sich die Paradigmen grundlegend geändert. Krieg wird zu Frieden, Lüge zur Wahrheit, Not zur Tugend und täglicher Kampf zum Elixier. Heutzutage sind Mord und Totschlag bei weitem keine männliche Domäne mehr. Die Hüllen sind gefallen. Zu viele feministische KriegerInnen eifern ihren männlichen Kollegen in apodiktischem Wahn nach, um sich beim Wettbewerb um größtmögliche Entfremdung vom Ursprünglichen und Vernünftigen zu überbieten. Dies, da das traditionelle duale Modell der Geschlechter heute in den westlichen Gesellschaften keine determinierende Relevanz mehr hat. Anders bei Ursula Haas. Sie entwickelt eine moderne Neuinterpretation des antiken Medea-Mythos, Abtreibung statt Kindermord, Verhinderung von Leid statt Tod. Der Versuch, die Welt in neue Bahnen zu bringen, durch Akzeptanz einer weiblichen Identität, Verbundenheit mit der Natur, Gleichgewicht von Macht und Liebe.

Als Verleger bin ich verlockt, Ursula Haas zu einer weiteren Medea-Interpretation von einem heutigen Standpunkt aus anzustiften.

Zu zwei Fassungen der Oper Medea von Rolf Liebermann, verfasste sie 1990 einen Medea-Monolog sowie die Libretti. Die Oper wurde 1995 an der Staatsoper Hamburg sowie 2001 an der Staatsoper Bern und 2002 an der Bastille Opéra Paris uraufgeführt.

Ursula Haas schuf außerdem lyrische Texte zu konzertanten Werken für die Komponisten Paul Engel, Adriana Hölszky, Karola Obermüller, Widmar Hader, Silvan Loher und Dietmar Graeff. Zu der Mozart-Oper Die Entführung aus dem Serail schrieb sie den Erzähltext, der 1999 im Münchner Prinzregententheater von Dietrich Fischer-Dieskau und 2002 im Concertgebouw Amsterdam und beim Festival Lucerne von Bruno Ganz gesprochen wurde. 1995 schrieb sie ihr erstes Theaterstück, Das Kind, die Toten und ein Hund. Es wurde 1995 in der Tonhallenfabrik in Schaffhausen, Schweiz, uraufgeführt. Ebenfalls in Schaffhausen, auf dem Ersten Rheinfall-Festival, war ihr Text Du bist nachts als Projektion zu erleben. Zum 100. Geburtstag von Katia Mann schrieb sie das Stück Von Prometheus bis Davos, das 2012 im Waldhotel in Davos aufgeführt wurde. 2013 folgte das Open-Air-Theaterstück mit Musik Tell trifft Wagner – Begegnungen am Vierwaldstätter See beim Seelisberg-Rütli-Festival.

Ursula Haas erhielt zahlreiche Stipendien und Preise und ist seit 2006 Mitglied der Sudetendeutschen Akademie für Wissenschaft und Künste München / Prag. 2018 wurde sie einstimmig zur Vize-Präsidentin der Akademie gewählt – als erste Frau in der Geschichte der Akademie.

(c) Literaturportal Bayern

Seit 2017 dürfen wir mit der edition bodoni mit Freude Ursulas schriftstellerischen Weg begleiten: Das erste Buch von Ursula Haas, das wir gemeinsam produzierten, war der Gedicht- und Poesieband Wortfisch im grünen Aquarium. Unter dem kryptischen Titel findet sich ein Strauß von Gedichten, sehr persönlichen Lebenszeichen; Lebenszeiten, aber auch Tao-Gedichte, Gedichte zum Zeitgeschehen, Gedichte für Freunde und im Gedenken an Künstler. Wir schmückten das Buch mit schönen Reproduktionen von Bildern des Künstler Beat Toniolos. Und der Umschlag wurde in unserer historischen Druckerei im traditionellen Bleisatz gestaltet und auf einer riesigen 100 Jahre alten MAN Stop-Zylinder-Druckmaschine gedruckt – ein ästhetischer Genuss, der nicht jedem Buch zuteilwird.

Das zweite Buch erschien 2020 unter dem Titel Zerzauste Tage. Ein Jahr der Wirklichkeiten, Das Buch bringt die ganz persönlichen Erlebnisse und Gedanken von Ursula Haas über den Zeitraum eines Jahres zu Gehör. Es enthält tagesaktuelle Eindrücke, Reflexionen über das Schreiben und den Mut, der dazu gehört. Es gibt gefühlvolle Einblicke in das Weben und Streben von Ursula Haas als Poetessa und Librettistin. Wir haben es mit aufwendigen Holzschnitten des Güstrower Künstlers Manfried Scheithauer ausgestattet. Auch für ihn ist seine Kunst eine Möglichkeit, seinem Fühlen und Denken Ausdruck zu geben. Mit Manfried Scheithauer entstand zum 200. Geburtstag von Theoder Fontane in unserem Hause eine umfangreiche Mappe mit zwölf großformatigen Original-Holzschnitten.

Das dritte Buch, Ich bin mein Werk. Geschichten zu Kunst und Künstlern ist erst unlängst 2023 erschienen. Es bringt in 17 Geschichten dem Leser Leben und Werk von Künstlern nahe. Diesem Buch standen wir anfangs etwas ratlos gegenüber – ein Buch über Maler, jedoch ohne Bilder? Ursula Haas, der das Buch sehr am Herzen lag, fand mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit die perfekte Lösung: Sie inspirierte den Schweizer Maler Bruno Ritter zu Künstlerportraits ganz eigener Art. Nun reiht es sich ein in die Galerie ästhetisch gestalteter Bücher der edition bodoni. Und es findet seine Leser.

Gemessen an dem reichen Werk von Ursula Haas leistet unser Verlag einen kleinen Beitrag, aber ich denke, er kann sich sehen lassen, hat Bestand. Unsere Zusammenarbeit ist sehr freundschaftlich und vertrauensvoll. Ich denke, hier treffen sich aufs Wunderbarste die Ansprüche einer Autorin und gestalterische Intentionen ihres Verlages.

Verlag und Druckerei der edition bodoni auf einem ehemaligen Vierseit-Bauernhof sind über das Büchermachen eine kulturelle Begegnungsstätte geworden. Auf dem Bodoni-Vielseithof finden Konzerte und Kulturveranstaltungen statt.

Ich danke Dir, liebe Ursula, für das Vertrauen, das Du uns im fernen Brandenburg entgegenbringst. Für Deine Zukunft wünscht Dir das gesamte Bodoni-Team weiterhin Feinsinnigkeit, die Zwischentöne zu erspüren, Lebenseindrücke in Lust am Schaffen umzuwandeln und trotz aller Wirren frohgemut in die Zukunft zu blicken und die Gunst der Stunde zu ergreifen. Wir wünschen Dir, und uns allen eine Zukunft in Frieden und Völkerfreundschaft für unsere Menschheitsfamilie, dass die Vernunft den Wahn auf allen Seiten niederringen möge. Setzen wir uns aktiv dafür ein, ohne uns Bürger wird es nicht gehen.

Erich Kästner prägte den klugen wie banalen Vers: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Du, verehrte Jubilarin, hast wiederholt den Wunsch geäußert, ein weiteres Mal einmal ein Open-Air-Konzert mit dem Musiker Hans-Eckardt Wenzel bei uns in Buskow mitzuerleben. Es hat in letzter Zeit nicht sollen sein. So habe ich Dir heute ein Lied von ihm mitgebracht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.