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16.11.2023, 15:00 Uhr
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© Francis Koenig

Otfried Preußler ist ein Vertriebener und Heimkehrer zugleich

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Tilmann Spreckelsen und Thomas Birnstiel im Jella-Lepman-Saal der Münchner Internationalen Jugendbibliothek. © LPB

In seiner im Herbst 2023 frisch erschienen Biografie über Otfried Preußler findet Tilman Spreckelsen einen roten Faden, der sich durch das Leben des berühmten Kinder- und Jugendbuchautors zieht. Bei der Präsentation des Buches in der Münchner Internationalen Jugendbibliothek rollt er diesen Faden für ein geneigtes Publikum aus. Thomas Lang hat die Buchpräsentation für uns verfolgt.

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Dunkler als an diesem 26. Oktober 2023 um die Münchner Blutenburg kann es selbst in Krabat kaum sein. Drinnen im gut gefüllten Jella-Lepman-Saal der Münchner Internationalen Jugendbibliothek ist es dagegen freundlich und hell. Tilmann Spreckelsen, Autor und Redakteur unter anderem der FAZ, sitzt mit dem Schauspieler Thomas Birnstiel auf der Bühne und liest einige Abschnitte aus seiner soeben erschienenen Biografie Otfried Preußler: Ein Leben in Geschichten. In erster Linie jedoch erzählt Spreckelsen, und Birnstiel liest mit Vollgas umfangreichere Teile aus Preußlers Werk. Das eigene Buch scheint Spreckelsen nicht allzu wichtig zu sein. Umso wichtiger ist ihm dagegen dessen Gegenstand, die Lebensgeschichte von Otfried Preußler, dem Erfinder des Räuber Hotzenplotz, der Kleinen Hexe und des Krabat. Dabei verwebt Spreckelsen den eigenen mit den fremden Texten und seiner mündlichen Erzählung zu einem schlüssigen Essay über Vertreibung und Heimkehr als Grundmotive der Biografie des böhmisch-bayerischen Schriftstellers.

Preußler ist 1923, vor einhundert Jahren, im tschechischen Reichenberg, heute Liberec, geboren; er durchlebt als Jugendlicher die Zeit des Nationalsozialismus und der vorübergehenden Integration seiner Heimat in das Dritte Reich. Der junge Mann schreibt einen begeisterten Hitlerjugend-Roman, Erntelager Geyer. Auch ein leicht rilkehaft klingendes Gedicht von dem 18-Jährigen erscheint in einer Tageszeitung. Er wird Soldat, gerät in russische Gefangenschaft, kann erst 1948 zurückkehren. Oder eben nicht zurückkehren, denn die deutschsprachige Bevölkerung ist inzwischen aus Böhmen vertrieben und die Familie Preußlers im bayerischen Rosenheim gelandet. Dort bleibt auch Preußler, versucht sich als Werbetexter und Journalist, macht in München-Pasing eine Ausbildung zum Schullehrer  – und beginnt Geschichten für Kinder und Jugendliche zu schreiben. Schnell hat er damit Erfolg. Die kleine Hexe, Der kleine Wassermann, Der Räuber Hotzenplotz und Krabat sind nur einige seiner von der böhmischen Heimat sowie den Erzählungen der Großmutter und des Vaters inspirierten, in zahlreiche Sprachen übersetzten Titel.

Spreckelsen versteht es, in diesen so gegenwartsfern daherkommenden, mit märchenhaften Elementen wie Feen und Zauberern angereicherten Werk die Wandlung eines Mannes nachzuzeichnen, der früh von einem totalitären Diskurs geprägt wurde und später zum scharfen Kritiker an unkontrolliertem Macht- und Herrschaftsdrang sowie kollektivem Gehorsam wurde. Dieser Weg Preußlers begann schon im Gefangenlager Kasan. Dort schrieb der ehemalige Soldat für seine Kameraden unter anderem ein Stück über eine Himalaya-Expedition. Darin trifft der Führer einer Seilschaft kurz vor dem Ziel die Anordnung zur Umkehr. Weiterzugehen würde das Leben der Gruppe gefährden. Der verantwortungsvolle Führer aber schützt das Leben der ihm Anvertrauten. So in etwa ließe die Moral des Stückes sich lesen. Die kleine Hexe bricht dagegen später aus dem Kollektiv völlig aus, indem sie die Besen der anderen Hexen in der Walpurgisnacht verbrennt. In Krabat schließlich siegt die Liebe über Manipulation und Chorgeist.

Auch in seinem Leben schreitet Otfried Preußlers innere Entwicklung voran. Er habe nie Verlorenes zurückhaben wollen, sagt Spreckelsen. Beim Besuch des elterlichen Hauses in Liberec sucht er den freundlichen Kontakt mit den neuen Besitzern und wird ein Förderer tschechischer Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland. In seinen späten Jahren jedoch beschäftigt Preußler sich viel mit der ihn prägenden Zeit des Krieges. Er fahndet nach den alten Kameraden und schreibt ausgedehnte biografischen Betrachtungen. Diese sind bis dato unveröffentlicht, Spreckelsen durfte sie für seine Biografie jedoch nutzen. In einem zweiten kurzen Abschnitt, den er vorliest, zitiert er aus diesen Seiten. Was hätte aus diesem oder jenem Mann werden können? Ein guter Autor vielleicht, wäre er nicht nach zwei Wochen an der Front auf eine Panzermiene gefahren … So geht es hin mit den verlorenen Menschen, so spürt das Publikum die dunkle Grundierung in Leben und Werk eines Mannes, der sich selbst nie der Dunkelheit verschreibt.

Vielleicht ist der Abend am Ende leicht zu anekdotisch geraten, vielleicht hat der Schauspieler etwas zu engagiert und laut für den kleinen Saal vorgetragen. Vielleicht erscheint Otfried Preußler doch eine Spur zu sehr als Autor ohne Fehl und Tadel – gemessen an einer allgemeinen Lebenserfahrung. Das Publikum ist jedenfalls dankbar, geht erinnerungsvoll mit bei den Passagen aus dem Räuber Hotzenplotz, lässt sich zuerst das Lachen und später, als es trauriger zugeht, die Begeisterung nicht nehmen. Tilman Spreckelsen nimmt das zurückhaltend auf. Vermutlich weiß er dennoch genau, welch gute Leistung er mit dieser Vorstellung erbracht hat.

Tilman Spreckelsen: Otfried Preußler. Ein Leben in Geschichten. Thienemann-Esslinger, 304 Seiten, € 29,00, ISBN: 978-3-522-20293-0.

 

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