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11.04.2023, 12:31 Uhr
Ursula Wiest
Spektakula

Das Theaterprojekt „Licht“

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"Licht". Najlaa Matto, Tea Tupajić, Awaz Abdi. Foto: Sima Dehgani. (c) Münchner Kammerspiele

Das Festival „Female Peace Palace“ widmet sich Frauen in Krieg und Widerstand. Mit Theater und Gesprächen spannt es den Bogen vom Ersten Weltkrieg zu aktuellen Konflikten. Licht“ bringt die traumatischen Erlebnisse jesidischer Frauen unter der vorübergehenden Herrschaft der terroristischen Organisation „Islamischer Staat“ (IS) in ihrer Region des Iraks zum Ausdruck. Dr. Ursula Wiest, Literaturwissenschaftlerin und Mitarbeiterin des Thea Kulturklubs der Theatergemeinde München, war vor Ort.

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Im Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele ist seit dem Abend des 23. Februar 2023 mit dem Performance-Projekt „Licht“ der Beginn eines Theaterereignisses ganz besonderer Art mitzuerleben. Offen. Mutig. Unwägbar. Emotional herausfordernd. Und bei alldem genuin weiblich. Vorbereitet, getragen und verantwortet fast nur von Frauen.

Im Vorfeld von deren Bereitschaft, in einem Akt konspirativen handwerklichen Tuns die Wintersternbilder der Premierennacht mit silbrigen Fäden in das dunkle Gewebe eines voluminösen, halbtransparenten Requisitenvorhangs einzusticken sowie Symbole für individuell durchlebte Krisen in einzelne Sternkreise mit hineinzuwirken. Und so dem Geschehen die Aura des Schicksalhaften zu verleihen.

Auf der Bühne von deren sylphidenhaft losgelöst wirkenden Sprechstimmen, die sich, durch Mikro-Headsets akzentuiert, zu sphärischen Tonspuren, Sprachmelodien und Audioketten verweben. Und zusammen mit den Resonanzkörpern aus geschliffenem Glas, Holz und Metall eines von Soundkünstler Roel Meelkop geschaffenen Klangwindspiels im vorderen Bühnenbereich eine Klangkulisse eigener Qualität hervorbringen. Kristallin. Ephemer. Schwebend.

Vor allem aber natürlich von deren Geschichten. Denn, es sind weibliche Völkermord-Überlebende. Junge, mit knapper Not entronnene, mental hoch vulnerable Frauen, um deren Schicksal die Performance-Idee der aus Kroatien stammenden, für dramaturgische Grenzgänge bekannten Regisseurin Tea Tupajic kreist. Angehörende der im August 2014 von radikal-islamischen Schergen massakrierten Religionsgemeinschaft der Jesiden. Sie werden bis zum Winter 2024 an insgesamt zehn Abenden auf die Traditionsbühnen urbaner, von weiblichen Kulturschaffenden geleiteter Theaterhäuser treten und das Durchleben der an ihnen verübten genozidalen Gewalt schildern. Werden erzählen von ihrer Trauer, ihrem Schmerz, von der irakischen Stadt Shingal, vom dortigen Sindschar-Gebirge, von allem, was damit zusammenhängt. „Einmal und dann nie wieder“, „einmal, aber dann für immer“, wie es im Ankündigungstext der Programmhefte heißt. Um so dem Fatum ihres Volkes Stimme und Gesicht zu geben.

Das Grauen vor dem eigentlichen Grauen

Am Debüt-Abend war es mit der selbstbewusst wirkenden Studentin Awaz Abdi eine junge Frau im wüstensandfarbigen Jumpsuit und mit schwarzem, madonnenhaft über die Schultern fallendem Haar, die sich als Erste aus dem Schutzraum hinter dem Sternenvorhang löste und zu sprechen begann. Über den einen, schon morgens drückend heißen Tag im August 2014, an dem sie zu früher Stunde im Bett neben ihrer Großmutter erwachte und an dessen Abend ihre Kindheit unwiderruflich zu Ende war. Über die Angst, die Ratlosigkeit, die sie in den Gesichtern ihrer Eltern beim gemeinsamen Frühstück sah. Über das plötzliche Ausbrechen von Hektik und Stress im Miteinander ihres Clans. Das Klingeln von Telefonen, das Diskutieren. Das eilige Beladen des Familienautos mit Kleidung und Lebensmitteln, das Weinen ihres kleinen Bruders beim gemeinsamen Wegfahren aus ihrer Heimatstadt, die von den Sicherheitskräften der Peschmerga aufgegeben worden war. Über das Feststecken im Massenverkehrsstau auf dem Weg zum heiligen Berg der Jesiden, über das Schwitzen, das Angsthaben, das Durstigsein. Das Grauen unmittelbar vor dem eigentlichen Grauen an diesem dunkelsten Tag in der Geschichte ihrer Ethnie. Mit klarer Stimme. In beinahe akzentfreiem Deutsch. Und doch innerlich bebend. Zwei volle Stunden lang.

„Licht“. Najlaa Matto, Awaz Abdi. Foto: Sima Dehgani. (c) Münchner Kammerspiele

Während eine ihrer Schicksalsgenossinnen, die mehrfach zwangsverheiratete ehemalige IS-Sklavin Najila Matto, sich schattengleich hinter dem Vorhangschleier bewegte. Dunkel gekleidet, umhüllt von hennarotem Haar. Und als Inkarnation genozidal verletzter Weiblichkeit erst spät nach vorne kam, um mit ihrer eigenen Kriegsberichterstattung zu beginnen. In kognitiv nicht leicht verständlichen Worten, stockend, gebrochen, von Tränen erstickt, gestisch jedoch ausdrucksvoll, beschwor sie die Atmosphäre der Angst unmittelbar vor dem Überfall des IS auf ihr Heimatdorf Kocho und damit das Leid ihres Volkes, das Elend aller Vergewaltigungsopfer aller Kriege seit Troja. Zuletzt stand sie im Halbdunkel, umgeben vom Schimmer der silbrigen Ornamente, die Schmerz in sich trugen, und gebot der Lichtregie, alle Scheinwerfer abzuschalten.

„Licht 3“, mit weiteren Erzählbeiträgen von Awaz Abdi, Najila Matto und anderen jesidischen Frauen findet am 15. April 2023 in den Münchner Kammerspielen statt. Es ist Teil des in München stattfindenden Festivals Female Peace Palace“, einer frauenperspektivisch ausgerichteten Kooperation der Münchner Kammerspiele mit der Monacensia im Hildebrandhaus, die weibliches Erleben unter den Bedingungen des Krieges in den Blick nimmt und allem Raum bietet, was Frauen die Gestaltungshoheit über ihre eigene Geschichte wiedergibt.