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03.04.2023, 18:41 Uhr
Thomas Lang
Spektakula
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Ausstellungsflyer (c) Landesbibliothek Coburg

„Verꓘehrte Welt“ in Coburg ausgestellt

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Vor 400 Jahren wurde der Barockdichter Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen geboren. Dem Verfasser des Abenteuerlichen Simplicissimus Teutsch, des großen deutschen Romans über den leidvollen Dreißigjährigen Krieg, widmet die Landesbibliothek Coburg eine reichhaltige Ausstellung (25. Januar – 6. April 2023).

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Stiche von Festungsanlagen, von Reitern, die im Sattel sitzend schießen, von Infanteristen, die im Sturm ihr Gewehr abfeuern. Die Grimmelshausen-Ausstellung „Verꓘehrte Welt“ in der Landesbibliothek Coburg zeigt uns eine düstere Welt. Vieles was dort aus der barocken Text- und Bildwelt anzusehen oder zu lesen ist, erinnert auf makabre Weise an die Gegenwart. Auch heute, im späten Winter 2023, sind die Nachrichtenseiten voll mit Bildern von Soldaten und feuernden Waffen, lesen wir vom Leid und den Verheerungen des Krieges.

1623, vielleicht auch 1622, wurde Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen in den Dreißigjährigen Krieg hineingeboren, 1634 erreichte dieser Krieg seine Geburtsstadt Gelnhausen im heutigen Hessen, und der Knabe wurde fortgetrieben, war von da ab Teil von Trossen und Regimentern, diente als Kämpfer und als Schreiber – ein Kindersoldat, würde man heute sagen, auch wenn er erst ab dem 18. Lebensjahr etwa einem kämpfenden Verband angehört haben soll. In Bayern hielt er sich während des Krieges nachweislich in Hippoltstein, Wasserburg und Vilshofen auf, wo er im Sommer 1649 endlich den Kriegsdienst quittieren konnte. Im selben Jahr heiratete Grimmelshausen und ließ sich in Gaisbach im heutigen Baden-Württemberg nieder, zeugte mit seiner Frau Catharina zehn Kinder, versuchte sich als Gastwirt, Gutsverwalter und Schultheiß. Gegen Ende seines Lebens musste er noch einmal Militärdienst leisten. Er starb 1683 im Alter von etwa 60 Jahren.

Neben seinen diversen Broterwerben schrieb er. Grimmelshausen war ein Moralist, nur keiner von der akademischen Sorte. Als sein Genre wählte er den Schelmenroman. Diese Prosagattung eroberte von Spanien (Don Quixote) und Frankreich (Francion) kommend Europa; sie wurde der „niederen Literatur“ zugerechnet. Ein Kennzeichen war die Art ihres Erzählens: Mal derb, mal komisch, von Episode zu Episode springend, konnte der Schelmenroman dem disruptiven Kriegsgeschehen seinen adäquaten Ausdruck verleihen. Andere Dichter des Barock, Andreas Gryphius etwa oder Martin Opitz, wussten ergreifende Gedichte über das Grauen des Krieges zu schreiben. Grimmelshausen kannte die schmutzigen Details. Er wurde zur deutschen Stimme dieses Tiefpunkts europäischer Geschichte. Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch wurde ein Bestseller, und er verschwand bis heute nicht mehr aus dem literarischen Gedächtnis der Deutschen.

Wertvolle Bände ausgestellt

In den prachtvollen, barocken und so, von den nüchternen Schaukästen mit ihrer Ästhetik der 1960er abgesehen, recht passenden Umgebung zeigt die „Verꓘehrte Welt“-Ausstellung der Landesbibliothek Coburg von den 20 Werken, die Grimmelshausen verfasst hat, neun Stück in der Erst- oder Zweitauflage aus dem 17. Jahrhundert. Die Bücher sind oft im Oktavformat, in Länge und Breite nah an heutigen Taschenbüchern, teilweise jedoch absurd dick. Wer ein Faible für alte Bücher hat, den kann es hier leicht jucken, die dicken Einbände zu berühren und mit den Fingerspitzen über das alte, unregelmäßige Papier zu fahren, die Seiten umzublättern und den in schöner Fraktur fortlaufenden Zeilen immer weiter zu folgen. Im Vergleich zu heutigen Büchern mit ihrer perfekten Regelmäßigkeit nicht nur im Schriftbild, sondern auch in Bindung und Papier, haben diese alten Werke durchaus etwas Auratisches.

Die Ausstellung beginnt mit enzyklopädischen Werken, von denen eines, der Thesaurus philopoliticus oder Politisches Schatzkästlein eine Ansicht des noch unzerstörten Gelnhausen mit seinen Befestigungen bietet, eine Seltenheit bei kleinen Städten. Ein weiteres Werk, ein Band der Historischen Chroniken Continuation (später Theatrum Europaeum, in 21 Bänden von 1633 bis 1738 erschienen), zeigt einen Kupferstich der Festung Hanau, in die der junge Grimmelshausen sich wahrscheinlich flüchtete, als Gelnhausen fiel, und die von den kaiserlichen Truppen nicht eingenommen werden konnte. Der Stich in dem vorliegenden Band selbst wurde allerdings herausgetrennt, leider keine Seltenheit bei alten Büchern. Er wurde hier durch eine Reproduktion ersetzt, die in der Vitrine extra zu sehen ist. Auch die Eroberung Magdeburgs, eines der grausamsten und an Kriegsverbrechen reichen Kapitel des Dreißigjährigen Kriegs, ist im Bild zu sehen.

Mehrere Bände illustrieren den Hintergrund der Narren- und Schelmenliteratur, auf denen der Simplicissimus fußt, darunter eine spanische Ausgabe des Don Quixote sowie eine Inkunabel von Sebastian Brants Roman Das nuw schiff vo[n] narragonia (Das Narrenschiff) aus dem Jahr 1497 oder eine Ausgabe des sehr erfolgreichen Werks des Erasmus von Rotterdam, Lob der Narrheit. Es folgen Ausgaben der eigenen Bücher Grimmelshausens. Ausgerechnet das Glanzlicht der Ausstellung, eine Erstausgabe des Simplicissimus von 1669, wird als Leihgabe der Bayerischen Staatsbibliothek ausgestellt. Das Titelkupfer mit dem Kompositwesen, aus Fisch, Hahn, Wasservogel und Satyr, schaut einen mit einem wahrhaft schelmischen Ausdruck an. Und weil es häufig fehlt, gebe ich hier noch mal das von mir minimal modernisierte programmatische Gedicht wieder, welches das Anliegen des Autors ausdrückt:

Ich wurde durchs Feuer wie Phoenix geborn.
Ich flog durch die Lüffte! wurd doch nit verlorn,
Ich wandert durchs Wasser, Ich reißt über Landt,
in solchem Umbschwärmen macht ich mir bekandt
was mich offt betrüebet und selten ergötzt
was war das? Ich habs in diß Buche gesetzt,
damit sich der Leser gleich wie ich jetzt thue,
entferne der Thorheit und lebe in Ruhe.

Der Leiter der Landesbibliothek, Sascha Salatowsky, und Mitkuratorin Isolde Kalter sprechen nicht umsonst von einer „Tiefenbohrung“, welche die Ausstellung vornehme. Man bekommt darin eine gute Vorstellung vom historischen und literarischen Umfeld, in dem die Werke des vor 400 Jahren geborenen Dichters entstanden sind. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen zeigt sich mit seiner Poetik des einerseits episodenhaften, andererseits Figuren über Bände vernetzenden Schreibens als ein Vorbote des modernen Erzählens. Er scheute sich auch nicht, eine Frau, die „Landstörzerin“ Courasche, zur Heldin eines seiner Romane zu machen. Geschaffen hat er das meiste in einem kurzen Zeitraum zwischen 1666 und 1674. Die Familie kam übrigens aus der Nähe Coburgs; das Dorf Grimmelshausen liegt allerdings in Thüringen.

Der satirische Ansatz des Dichters gründet sich auf einem Leben, in dem viel Bosheit und Gewalt vorkamen. Ironie und Spott sind dabei kein Selbstzweck. Vielmehr war das zentrale Anliegen des Barockdichters, wie es in der die Ausstellung begleitenden Schrift heißt, die „Erkenntnis, wie ein christlich-tugendhaftes und ehrbares Leben zu führen sei“.

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