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18.04.2013, 11:56 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [131]: Man muss sich den Blogger als glücklichen Kritiker vorstellen

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Aber er sieht gut aus auf seiner Säule, wie er auf die Ludwigstraße schaut.

Man muss kein Beckmesser sein, um die nicht wenigen Fehler anzukreiden, die die Autoren der Jean-Paul-Säule auf derselben vor der Bayerischen Staatsbibliothek hinterlassen haben. Der Quotient ist nicht ganz übel, nur die Fehler sind es, die vermuten lassen, dass hier der Verein „Jean Paul 2013“, der dafür verantwortlich ist, im letzten Korrekturgang keine Aufmerksamkeit mehr für das offensichtlich Falsche aufgebracht hat.

Erstens: Die Chronologie, die auf allen Säulen identisch ist, vermerkt als Herausgabedatum der Unsichtbaren Loge das Jahr 1790. Der Strich, der die Abbildung des Frontispizes mit der Linie verbindet, muss so gedeutet werden. Jean Paul hat den Roman bekanntlich im Jahre 1791 begonnen; er wurde 1793 zum ersten Mal gedruckt. Eine Petitesse? Gewiss – aber irgendwo muss die Genauigkeit anfangen.

Immerhin hat man die Loge abgelichtet

Zum Zweiten: „Bei Ausbruch der Französischen Revolution saß Jean Paul ohne Geld in Hof, dem nordöstlichsten Zipfel von Oberfranken.“ Das Wort vom „Ausbruch“ erinnert mich daran, dass Revolutionen nicht – gleichsam wie ein Naturereignis, wie ein Vulkan – „ausbrechen“, sondern von Menschen gemacht werden – dass also die Historie mit derart unreflektierten Begriffen regelrecht verblendet wird. Also: Jean Paul saß in Oberfranken? Mir fällt ein ironischer Satz Ernst Blochs ein: wenn er in seinen Leipziger Vorlesungen auf den in Königsberg geborenen Kant zu sprechen kam, pflegte er zu sagen: „Kant, der in Kaliningrad geboren wurde...“ – und jeder wusste, wie's in der von den Russen besetzten DDR gemeint war. 1789 gehörte Hof zum Fürstentum Brandenburg-Bayreuth – und dieses Fürstentum gehörte (immerhin) zum „Fränkischen Reichskreis“. 1810 wurden die ehemaligen Territorien des Hochstifts Bamberg und des Fürstentums Brandenburg-Bayreuth zum „Obermainkreis“, erst 1838 kreierte man „Oberfranken“ – als der Dichter schon 13 Jahre unter der Erde lag.

Zum Dritten: Es gab durchaus das Doppelfürstentum Ansbach-Bayreuth. Jean Paul kam, lesen wir, in diesem Fürstentum zur Welt – also, schließe ich, zwischen 1792 und 1806, denn nur in diesen Jahren hieß das Territorium so und nicht anders.

Tatsache ist, dass Jean Paul zwar, von heute aus gesehen, ein Franke war, also auf dem Boden aufwuchs, der heute zum Regierungsbezirk Oberfranken gehört, dass aber seine Geburt im brandenburgisch-bayreuthischen Fürstentum (des Fränkischen Reichskreises) vielleicht weniger wichtig war, als es seine Jahre in Joditz, Schwarzenbach und dann in Hof waren. Hof, wo er insgesamt acht Jahre lebte, gehörte und gehört allerdings zum Vogtland, das, zumindest geographisch, einen sächsisch-thüringisch-fränkischen Verbund bildet. Je länger ich darüber nachdenke, desto schwieriger wird es mir, Jean Paul als einen „fränkischen“ Dichter zu bezeichnen. Was ist „fränkisch“ an der Unsichtbaren Loge?[1]

Zum Vierten: Erst 1810 seien, lese ich weiter, die Franken zum Königreich Bayern gekommen. Halleluja! Jedes fränkische Kind lernt heute in der Schule, dass bedeutende Teile des heutigen Franken bereits 1806 zum Königreich kamen: das Fürstentum Ansbach, die Stadt Nürnberg. 1810 erfolgten weitere Erwerbungen; das Fürstentum Bayreuth wurde tatsächlich erst in diesem Jahr bayerisch. Offensichtlich hat der Autor des Säulentextes da „die Franken“ mit „den Bayreuthern“ verwechselt. Sie werden sich gewiss darüber freuen, falls sie nach München fahren sollten, um sich eine Jean-Paul-Säule in der Landeshauptstadt anzuschauen.

Und Fünftens: ich weiß, dass der Zwang zur Kürze natürlich für eine verkürzte Darstellung sorgt – aber wer den Text genau liest[2], stolpert über den Übergang von der Französischen Revolution zu Napoleon. Markgraf Alexander verkaufte sein Fürstentum 1791 an die Preußen, nachdem die Französische Revolution losgegangen war: weil „er es mit der Angst zu tun bekam“. Man kann das so sehen – aber nicht, weil er so große Angst vor den revolutionären Franzosen hatte, sondern weil er spürte, dass in den Verwerfungen der Revolutionszeit sein kleines Fürstentum politisch unter starken Druck – von welcher Seite auch immer – geraten könnte. Außerdem gab es einen privaten Grund: die Liebe zu Lady Craven, mit der er dann nach England ging. Die Preußen, heißt es weiter, „konnten es gegen Napoleon natürlich nicht halten“. Abgesehen von der Formel „natürlich“ – denn wieso: „natürlich“?[3] – Geschichte vollzieht sich nicht in den Kategorien irgendeiner „Natürlichkeit“ –, fällt auf, dass es von hier zu Napoleon scheinbar nicht weit ist. Markgraf Alexander habe, so suggeriert der Text – wenn man ihn so kurz, wie's geschrieben steht, nachliest –, Alexander also habe schon 1791 Napoleons Expansionsdrang vorausgeahnt (als der noch Regimentsleutnant war). Man muss diese beiden Sätze nicht so lesen – aber die Deutung drängt sich auf, wenn man sich nicht mit dem Markgrafentum und der Zeit zwischen 1789 und 1810 auskennt.

So, genug gemeckert. Gibt's auch was Gutes zu vermelden? Natürlich war die Beziehung Jean Pauls zu Max I. Joseph, König von Bayern (hier kurz und zugleich länger – um nicht zu sagen: nonchalanter – „König Maximilian von Bayern“ genannt), eine hübsche Geschichte, und dass man des Dichters Werke nicht gelesen hatte, ist auch in diesem Fall eine gute Pointe. Nur sollte man vielleicht wissen, dass Königs immerhin schon 1816 eine Büste des Dichters bestellt hatten. Und dass die Pension nicht erst in diesem Jahr (wie´s geschrieben steht), sondern bereits im Dezember 1815 bewilligt wurde.

Jean Paul im Alten Hof (alle Fotos: Frank Piontek, 16.4.2013)

Es ist nicht das letzte Mal, dass mir Jean Paul in München begegnet. Im schönen, reich bestückten Museumsinformationscenter, das sich im Alten Hof befindet – dort, wo einst Kaiser Ludwig der Bayer und die Wittelsbacher residierten, und wo man heute im gotischen Kellergewölbe auf schöne Weise die Geschichte dieser interessanten Veste erkunden kann –, entdecke ich, neben vielen alphabetisch geordneten Museumsfaltblättern Bayerns, auch unser Produkt, das wir zur Neueröffnung des Bayreuther Jean-Paul-Museums hergestellt haben. Der alte Dichter, gemalt von Lorenz Kreul, schaut olympisch drein; selbstverständlich ist es schön, dem „Franken“ auch dort zu begegnen, wo er 1820 seinen König besuchte. Ahnt er, dass man ihm einmal unterstellen wird, dass er in Oberfranken aufwuchs und lebte? Er sieht nicht so aus – und so soll es auch uns egal sein.

Aber der historisch einigermaßen Informierte wundert sich schon über die Säulentextwirrnis.

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[1] Ich weiß, dass ich mich mit derart ketzerischen Bemerkungen bei den radikalen Berufsfranken unbeliebt mache – aber sie sollten vielleicht ein paar Augenblicke lang dem Gedanken widmen, wie das Fränkische in Verbund mit dem Nachbarlichen definiert werden kann. NB: Als König Ludwig I. von Bayern das Bayreuther Denkmal für Jean Paul in Auftrag gab, legte er Wert darauf, auf der Rückseite auch als Herzog von Franken tituliert zu werden.

[2] Vorsicht! Hier spricht Beckmesser.

[3] Der superkluge Robert Musil, dem nichts vorzumachen war, reagierte zurecht gereizt, wenn man ihm mit irgendeiner angeblichen „Natürlichkeit“ kam.