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25.08.2022, 15:45 Uhr
Friedrich Ulf Röhrer-Ertl
Text & Debatte
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Mori Ōgai (Oktober 1916)

Zum 100. Todestag: Mori Ôgais Aufenthalt in München (5)

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Stiglmaierplatz um 1885 mit Dampfstraßenbahn

Am 9. Juli 1922, vor genau 100 Jahren, starb in Tôkyô in seinem Anwesen mit dem Namen Meerblick der Schriftsteller, Übersetzer, Arzt, Militär, Herausgeber, Generaldirektor der Kaiserlichen Museen und der Bibliothek sowie Vorsitzender der Japanischen Akademie der Künste Mori Rintarô. Rintarô (im Japanischen folgt der Vorname dem Nachnamen) ist besser bekannt unter seinem Dichternamen Ôgai, zu Deutsch „Möwenfern“. 

In München hielt sich Mori Ôgai in den Jahren 1886 bis 1887 auf, während dieser Zeit konnte er sich der Oberaufsicht und Kontrolle der japanischen Botschaft entziehen. Er führte ein recht freies Studentenleben und kam zugleich in Kontakt mit Malern und Studenten der hiesigen Akademie der Künste. „Möwenfern in München“ – unter diesem Titel soll in den nächsten Wochen Ôgais Aufenthalt in der bayerischen Landeshauptstadt näher beleuchtet werden: Was hat er unternommen, und wo genau war er? Eine Reihe von Friedrich Ulf Röhrer-Ertl. 

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Versailles Numero Zwei

 

Herr Möwenferns vierte Woche in München war wohl von Arbeit oder Unlust angefüllt, nur zwei Einträge sind im Tagebuchdruck überliefert. Am Montag erreichte ihn Post von zuhause; am Samstag geht es mit seinem Spezl Iwasa, wie, nun ja, für so ziemlich jeden Touristen und Einwohner in München nach Nymphenburg. „Auf dem Hinweg haben wir die /Dampftrambahn/ benutzt. Sie ähnelt in ihrem Bau der Pferdebahn, wird aber mit Dampf angetrieben. Sehr schnell fährt sie allerdings nicht.“

Diese Dampfstraßenbahn war erst 1883 eröffnet worden und folgte bis zu ihrer Einstellung 1900 zwischen Hauptbahnhof und Schloss Nymphenburg in etwa der Strecke, die heute (wieder) die Trambahnlinie 17 verfolgt. Sie war als Ausflugslinie konzipiert; aber es lässt mich schmunzeln, dass Ôgai bereits 1886 die ca. 8-12 km/h, die die Züge fuhren, zu langsam vorkamen. Man kann das im Selbsttest leicht überprüfen. In Prien fährt seit 1887 bis heute mit der Chiemseebahn eine Dampftrambahn, die in Ausstattung und Gestalt der Dampftram, die Ôgai benutzte, ziemlich ähnlich ist. Kommt sie einem langsam vor? Dabei fährt sie am Chiemsee mit rund 14 km/h schneller als damals ihr Pendant in München.

München, Dampftrambahn vor dem Volksgarten Nymphenburg, ca. 1890

Vielleicht ist die Bemerkung ein kleiner Hinweis darauf, wie sehr es der Vielschreiber und Vielmacher Ôgai vermieden haben muss, Zeit einfach „nur so“ zu vertrödeln. Der Hinweis auf die Pferdebahn, die damals noch das Rückgrat im Münchener ÖPNV war, ist dagegen verständlich: Der einen Dampftrambahn standen sieben Pferdetrambahnlinien gegenüber.

In Nymphenburg konnte man 1886 zwar schon an etlichen Tagen im Jahr einige Räume im Schloss besichtigen, aber im Tagebuch findet sich kein Hinweis darauf, so werden die jungen Herren Möwenfern und Iwasa wohl nur im Park spazieren gewesen sein. Das Tagebuch notiert, dass die Münchener das Schloss wegen seines französischen Parks „/Versailles/ Nr. 2“ nennen. Und weiter: „Überall stehen Marmorstatuen. Es gibt auch kleine Seen und Teiche. Das Wasser ist sauber und klar. Viele Fische tummeln sich darin“. Ende des Eintrags.

Schloss Nymphenburg, zwischen 1915 und 1920

Als Leser möchte man ja hier fast schreien: Herr Möwenfern, Du wirst dereinst einen großen Ruf als Dichter haben, kannst Du nicht wenigstens ein gutes, ach was, auch nur ein /mittelmäßiges/ Gedicht, und sei es nur ein Haiku, hier reinschreiben? Irgendetwas, was unserem Innenbild und Klischee eines naturempfindenden Japaners entspräche? Vielleicht auch noch ein Wort zu den Blumen, Pomeranzen und Gewächsen verlieren, wo doch 1886 noch viel mehr Gärtner in Nymphenburg den Park pflegten als heute?

Also, irgendwas? So hat er es natürlich auch nicht in die Nymphenburg-App der Bayerischen Schlösserverwaltung geschafft...