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08.03.2022, 15:00 Uhr
Christopher Bertusch
Spektakula
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Eine Kurzfilmreihe des Brechtfestivals aus Beijing, China

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Filmstill aus "Fuck Brecht" (c) Brechtfestival Augsburg

Die Kurzfilmreihe des diesjährigen Brechtfestivals Augsburg vermittelte prägnant die Relevanz des vor über 60 Jahren verstorbenen deutschen Theaterschaffenden und Lyrikers Bertolt Brecht für ein gegenwärtiges, internationales Publikum. Seine Schriften über die Arbeiterbewegung, die Erfahrungen des Krieges, die Unterdrückung der Stadt und anderer dienen auch heute noch zum Diskurs und bleiben aktuell. In den Kurzfilmen, die unter dem Namen „Worldwide Brecht – Beiträge aus Beijing, China“ beim Festival in Augsburg am 25. Februar 2022 Premiere feierten, beschäftigten sich verschiedene chinesische Theatermacher*innen mit der Beziehung Brechts zu ihren Leben. Ein besonderer Fokus lag auf Brechts Schriften zu den Arbeitern und den unteren Bevölkerungsschichten seiner Zeit. Alle Kurzfilme wurden entweder mit deutschen oder englischen Untertiteln gezeigt.

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Siting Yang: „V.A.B.E.L (Vom Armen Bb Et aL)“

„V.A.B.E.L“ thematisiert die Leben dreier Personen, die alle aus ihrem Heimatstädten nach Shanghai kommen, um ihre Familien und sich selbst zu ernähren. Inszeniert werden ihre Geschichten in Form von Dialogen in ihren jeweiligen Dialekten, Interviewsequenzen, dem Puppenspiel, der Collage und anderen Mitteln. Als Grundlage für die Darstellung der harschen Verhältnisse der Arbeiter dient Brechts frühes Stadtgedicht Vom Armen B. B. (1926/27), in dem das nachrevolutionäre Berlin in all seiner Gnadenlosigkeit und Herausforderung dargestellt wird. Brecht beschreibt hier, wie er 1922 als junger Mann aus den „schwarzen Wäldern“ seiner Heimatstadt Augsburg in die Asphaltstadt Berlin kommt. Die Szenen, die die Figuren in „V.A.B.E.L“ im Interview oder Gespräch zeigen, verdecken bewusst ihre Gesichter, um sie als Platzhalter für alle unterversorgten, chinesischen Wanderarbeiter zu präsentieren. Präsentiert werden ihre Geschichten von einer eine Brecht-Maske tragenden Person, die ihre Erfahrungen durch verschiedene Objekt-Collagen illustriert. Der Kurzfilm kumuliert schließlich in einer fast schon wie ein Thriller wirkenden Sequenz, einer Mischung aus Objektcollage, Narration und Filmszenen, in der die Verstrickungen der Leben der drei Figuren thematisiert werden. Einer von ihnen sieht seine einzige Chance zum Überleben im Diebstahl, während die anderen Figuren nur ohnmächtig zuschauen und zurückbleiben. Mit einem letzten erinnerungsvollen Bild kontrastiert der Kurzfilm Shanghai mit den Heimatorten der Figuren. Schließlich packt der die Brecht-Maske tragende Präsentator seine Objekte zurück in seinen Koffer und geht durch die Stadt in Richtung seines unbekannten Ziels.

Filmstill aus „V.A.B.E.L“ (c) Brechtfestival Augsburg 

 

Liu Chengzhen: „Fuck Brecht“

Dieser Kurzfilm unter dem etwas obszönen Titel beschäftigt sich mit den Fragen und titulierenden Frustrationen von fünf Studenten, die sie zu dem westlichen Theaterschaffenden haben. Was bedeutet dieser aus einer anderen kulturellen Dimension stammende Künstler für ihr eigenes Leben und wie lässt er sich mit chinesischer Ideologie verbinden? Um diesen Fragen nachzugehen, stellen die Filmemacher das Wirken Brechts in China anhand von historischem Archivmaterial dar. Präsentiert wird das Ganze leicht ironisch in Form eines trockenen, akademischen Referats, das aber immer wieder durch Einwände der Studenten unterbrochen wird. In diesen meist in Zoom gehaltenen Unterbrechungen fokussieren sie auf die Sinnhaftigkeit und Vollständigkeit ihrer Darstellung und hinterfragen mehr als einmal die Intention ihres Projekts. Immer wieder bringen sie auch die politische Ebene der Kunst hervor und beschäftigen sich mit der politischen Unterdrückung, Zensur und Überwachung ihres Heimatlands. Mit Humor und Chaos werden viele dieser spontan wirkenden Szenen inszeniert, die aus dem Rahmen der akademischen Präsentation hervorbrechen. So wie die Praxis von Brechtinszenierungen nicht immer mit der Theorie übereinzustimmen scheint, so brechen diese Ebenen zwischen Theorie und Praxis auch in „Fuck Brecht“ zusammen.

1951 wurde Brecht zum ersten Mal in China durch den Regisseur Huang Zuolin eingeführt. Das epische Theater Brechts stieß beim Publikum allerdings vor allem auf Ablehnung. Mit den ersten Inszenierungen beginnt ein Rezeptionsprozess von Brecht in China, der als ein Interpretieren und oft Fehl-Interpretieren im Kurzfilm charakterisiert wird. Auslegungen zu Brecht in China scheinen sich alle paar Jahre radikal zu verändern. 1956 sollte Huang Zuolin dann Mutter Courage und ihre Kinder (1938/39) von Brecht inszenieren, ein Stück, das den Dreißigjährigen Krieg zwischen 1624 und 1636 thematisiert. Diese Inszenierung stieß auf so wenig Begeisterung, dass am Ende des Stücks nur noch ein alter Freund Zuolins im Publikum blieb. Die chinesische Bevölkerung, die große Heldenepen und hoffnungsvolle Propaganda gewöhnt war, konnte mit Mutter Courage und Brechts Darstellung der normalen Bevölkerung inmitten eines nie endenwollenden, hoffnungslosen Krieges nur wenig anfangen. Ganz im Rahmen des Fehl-Interpretierens von Brecht in China endet der Kurzfilm „Fuck Brecht“ mit dem Bild der Studenten, die nunmehr eine eigene Formel entwickeln, um den westlichen Dramaturgen zu verstehen. Ihre Lösung lautet: „Es gibt keinen wahren Brecht.“

Filmstill aus „Fuck Brecht“ (c) Brechtfestival Augsburg 

 

Yi Dian et al.: „B. Solo B.“

Der Kurzfilm „B. Solo B.“ spinnt aus Brechts Aufenthalten an seinem Rückzugsort Buckow eine magische Fabel in Form eines Schatten- und Puppenspiels. Brecht ist hier ein einsamer Auswanderer in Buckow, der sich nach einem Freund sehnt. Um sein Ziel zu erreichen, verwandelt er sich eines stürmenden Abends in einen Vogel und fliegt durch die Welt, bis er schließlich im antiken China landet. Hier trifft er auf den Volksdichter Bai Juyi (772-846), der vor allem für seine Auseinandersetzung mit der harten Lebensrealität des chinesischen Volkes der Zeit bekannt wurde. Brecht übersetzte mehrere Gedichte von Juyi ins Deutsche und veröffentlichte diese 1952 in seinen Versuchen. Während Brecht als Vogel mit Juyi auf seinem Rücken durch die Himmel von „B. Solo B.“ fliegt, lesen die Filmemacher die Poesie des chinesischen Dichters vor. Seine Texte befassen sich beispielsweise mit dem Exil und der Frage, wie schnell man damals aus seiner Heimat verbannt werden konnte, nur weil man sich gegen die Regierung aussprach. In einem anderen Gedicht kritisiert Juyi, wie die Oberschicht exorbitante Summen beim Blumenkauf ausgibt, anstatt der armen Bevölkerung zu helfen. Der Film endet, nachdem Juyi plötzlich von Brechts Vogelrücken verschwindet und Letzterer sich in einen Menschen bzw. eine Puppe zurückverwandelt. „B. Solo B.“ stellt zum Schluss die Frage, wie nun den Armen geholfen werden kann, ob im antiken China oder dem modernen Deutschland. Der Kurzfilm positioniert keine Antwort, lässt die Frage offen und schließt nur mit einem alten, chinesischen Witz: Was man tun kann, um den Armen zu helfen, ist eine kilometerlange Decke zu stricken, die einfach alle Vorstädte zudeckt.

 

Lai Haifeng et al.: „Something about Workers“

Auch dieser Kurzfilm beschäftigt sich mit Brechts Fragen zur Arbeiterbewegung und Weltwirtschaft. „Something about Workers“ kontrastiert Brechts Schriften mit denen des chinesischen Poeten Xu Lizhi. Dieser war ein Fließbandarbeiter, der in seiner Freizeit Gedichte schrieb. Als er sich 2014 das Leben nahm, stellte jemand seine fast 200 Gedichte in einer Sammlung zusammen und veröffentlichte sie online. Zwischen Brecht und Lizhi treffen die modernen und postmodernen Bedingungen der Arbeiter, der Westen und der Osten, sowie die Theorie Brechts und die harsche Realität der Fließbandarbeiter in China aufeinander. Der Kurzfilm spielt an der zentralen Akademie für Drama in Peking. Während die Schauspieler sich im pantomimischen Spiel in der Bücherei der Akademie oder der Brechtstatue davor mit dem Lernen und Lesen von Brecht auseinandersetzen, werden Texte von Brecht, wie Fragen eines lesenden Arbeiters (1935), und Gedichte von Lizhi, wie Ich schluckte einen eisernen Mond (2013) oder Eine Schraube fiel auf den Boden (2014), vorgelesen. Ein Kontrast wird zwischen diesen auch in der Inszenierung gesetzt: Brechts Texte werden durch die akademisch gebildeten Studenten vorgetragen, wohingegen Lizhis Texte durch einen Postzusteller in dessen Pause gelesen werden. Der chinesische Dichter Lizhi präsentiert den Zuschauern in seinen Texten seine Lebensrealität als ein Fließbandarbeiter, dessen Körper langsam, aber sicher durch die Arbeit zerstört wird. Ein Mensch, der sich seine Freiheit als Poet herbeisehnt, aber immer wieder durch die Wirklichkeit enttäuscht werden muss. Eine Wirklichkeit, in der eine auf den Boden der Fabrik fallende Schraube genauso wenig beachtet wird, wie ein Mitarbeiter, der nach stundenlanger ermüdender Arbeit kollabiert.

 

Zhao Yingru et al.: „Orges Blick“

„Von den Freuden, die nicht abgewogenen. Von den Häuten, die nicht abgezogenen.“ Mit diesen Worten beginnt der 19-jährige Brecht 1917 sein Gedicht Orges Wunschliste. Ähnlich idealisiert und träumerisch wie der junge Brecht finden sich die fünf Macher des Kurzfilmes „Orges Blick“ am Anfang ihrer akademischen Karriere. Dieser Idealismus wird für sie durch ihre Realität inmitten von geschlechtsspezifischer Gewalt, politischer Unterdrückung und ökonomischen Engpässen (fast) besiegt. Ihr Kurzfilm untersucht daher die Wunschliste des Gedichts nach den realpolitischen Kontexten der hier verwendeten Wörter und problematisiert sie anhand von rassistischen und sexistischen Diskursen. Wie es in der Kurzbeschreibung des Filmes selbst heißt: Die „unbeschädigte weiße Haut“ im Originaltext spiegelt nicht nur die Objektivierung von Frauen in der patriarchalischen Gesellschaft wider, sondern auch das Problem des Rassismus. Mit nur wenigen Mitteln inszeniert „Orges Blick“ mithilfe von Stop-Motion und Puppen ein bedrückendes Bild von häuslicher, sexueller Gewalt. Die Zuschauer folgen der Geschichte eines jungen Mädchens, dessen Auseinandersetzung mit ihrem betrunkenen, gewalttätigen Vater schließlich in ihren Tod mündet. In einer letzten, stark überbelichteten Szene wird aus Brechts Gedicht gelesen, während eine Bildcollage aus den Körperteilen verschiedener Magazinmodels, den Augen Brechts und der Überschrift „Beauty“ entsteht. „Orges Blick“ endet abrupt in einem Freeze Frame, fokussiert auf diese Collage und lässt damit den Raum offen für weitere Diskurse.

Externe Links:

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