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Über Thomas Manns einziges vollendetes Theaterstück „Fiorenza“ (1905)

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Fra Bartolomeo: Porträt von Girolamo Savonarola (1452-1498), Öl auf Leinwand, ca. 1498.

Am 3. Februar 1905 beendet Thomas Mann sein Werk Fiorenza nach siebenjähriger Arbeit. Noch im selben Jahr wird es in der Neuen Rundschau veröffentlicht. Fiorenza gilt neben dem unvollständigen Fragment Luthers Hochzeit (1954) als das erste und einzige Drama in Thomas Manns Œuvre. Er selbst schreibt dazu, Fiorenza sei „[s]ein wichtigstes Werk der Jahre 1904-07“. Im literarischen Gedächtnis haben sich dagegen die Verrisse durchgesetzt. Ein Beitrag von Christopher Bertusch.

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Die Reaktionen auf Fiorenza fallen zuerst ernüchternd aus. 1905, kurz nach Erscheinen, bezeichnet Thomas Mann das Drama als „mein Jüngstes, ein Schmerzenskind, lebensunfähig und mit schönen Augen“. Er sieht es als ein sprachlich und geistig wundervolles Werk an, aber „als Ganzes, als Kunstwerk genommen, doch missgeboren“. Die meisten von Thomas Manns Kritikern folgen seiner Ansicht. Die Rezensenten zwischen 1905 und 1907 loben teilweise die Eleganz der Sprache und den Fokus auf die Zeitperiode der Renaissance, aber viele fragen sich, warum Mann gerade die Dramenform für diesen Stoff gewählt hat. Fiorenza sei zwar schön gefeilt, aber handlungsarm und fast schon langweilig. Arthur Kutscher schreibt beispielsweise, „von irgendeinem dramatischen, gar von irgendeinem tragischen Moment kann hier nicht die Rede sein“. Für die meisten Kritiker stellt Manns Drama somit eine fleißige, aber blasse Philologenarbeit dar.

Doch worum geht es? Titel und Thematik von Fiorenza basieren auf einer Predigt des Dominikanerbruders Girolamo Savonarola, der auch persönlich in der Geschichte auftritt. Savonarola wird 1452 in Ferrara, Italien, geboren. 1477 tritt er in den Dominikanerorden ein. Nachdem er von diesem 1481 zuerst ohne großen Erfolg nach Florenz entsendet worden ist und wenig beachtete Predigten gehalten hat, kehrt er noch einmal 1490 in die Stadt zurück. Dieses Mal verläuft seine Laufbahn besser. Seine Reden sind eloquenter und feuriger, er spricht von den Sünden der Politik, der Schandhaftigkeit der modernen, obszönen Kunst und prophezeit für beides göttliche Strafen. Unter die Sünder der Stadt zählt er vor allem Lorenzo de‘ Medici, den „Signore“ von Florenz. Lorenzo, welcher der einflussreichen Bankiersfamilie der Medici entstammt, ist ein anerkannter Herrscher, der für seine extensive Förderung von Kunst und Kultur bekannt ist. Noch in den politischen Intrigen Italiens zeigt er sich um Diplomatie bemüht, für Savonarola erscheint er aber als Dämon. 1491 hält der Prediger eine Rede in der Kathedrale von Florenz und bezeichnet die gesamte Familie der Medici als Diebe und Unterdrücker. Lorenzo lädt ihn daraufhin vor und droht ihm mit Verbannung. Dennoch scheint er bis zu seinem Tod 1492 Savonarola zu tolerieren. Am Ende seines Lebens schickt er sogar nach ihm, um das letzte Sakrament zu empfangen.

Diesen finalen Moment zwischen den beiden Widersachern sowie die Gründe für ihren Streit behandelt Thomas Mann in seinem Dreiakter Fiorenza. Das Drama spielt an einem einzigen Tag, dem 9. April 1492, dem Sterbetag des Lorenzo de‘ Medici. Die Einwohner von Florenz sind dem wortgewandten Prediger Savonarola bereits verfallen, Lorenzo selbst liegt mittlerweile sterbenskrank im Bett. Savonarola hetzt nun nicht nur gegen Lorenzo, sondern auch gegen die Künstler von Florenz. In seinen Augen versündigen diese sich gegen Gott, da sie beispielsweise die Madonna malen und dafür Prostituierte oder andere sündige Frauen zum Modell nehmen. Auch stört Savonarola die prunkvolle und mit endlicher Sinnlichkeit gekennzeichnete Darstellung von Florenz. Durch diese Umstände erzürnt ersucht nun eine Gruppe Künstler um eine Audienz bei Lorenzo und trifft am Hof auf dessen beide Söhne, die Diener und Fiore, Lorenzos Liebhaberin. Die ersten beiden Akte beschäftigen sich mit den Gesprächen dieser Figuren über Savonarolas Predigten. Als die Prozession schließlich bei Lorenzo ankommt, enthüllt Fiore, dass sie auch Savonarola eingeladen hat. Am Ende des 3. Akts treffen Savonarola und Lorenzo aufeinander. Entgegen dem wahren Treffen der beiden historischen Figuren, das Augenzeugenberichten nach friedlich verlaufen sein soll, geraten die beiden im Drama nur immer weiter auseinander.

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Die Möglichkeit einer Aufführung von Fiorenza kann sich Thomas Mann bereits Ende 1905 vorstellen. Die erste Aufführung findet jedoch erst zwei Jahre später, am 11. Mai 1907, im Frankfurter Schauspielhaus statt. Mann zeigt sich teilweise kritisch bei den Proben, ist aber dennoch gespannt auf die finale Produktion. Mit der Aufführung will er sich seinen Traum erfüllen, ein Werk von ihm auf der Bühne zu sehen. In einem Brief an einen Freund schreibt er, dass das Experiment vollends gelungen sei. Der Konsens des Feuilletons folgt seiner Selbsteinschätzung allerdings nicht: Fiorenza wirke sprachlich bezaubernd, aber nicht besonders bühnentauglich.

Der Neue Verein inszeniert Fiorenza daraufhin am 17. Dezember 1907 in München. Thomas Mann macht sich im Vorfeld wieder negative Gedanken, dieses Mal über die Länge der Aufführung und ihren Gebrauch einer neuartigen Reliefbühne. Auch bei dieser Inszenierung hagelt es Kritik wie zuvor in Frankfurt. Als die dritte schließlich 1913 in Berlin stattfindet, zeigt sich selbst Mann kaum noch begeistert. Für ihn ist die Aufführung „grundfalsch, [...] schleppend, realistisch-langwierig, mit kümmerlicher Besetzung [...] und Strichen, die den Sinn so gut wie auslöschten.“ Mittlerweile mag auch niemand mehr die Schönheit der Sprache loben. 1913 erscheint auch eine Rezension des Starkritikers Alfred Kerr, welcher nicht nur Fiorenza, sondern auch Thomas Mann als Person angreift. Er nennt ihn ein „feines, etwas dünnes Seelchen, dessen Wurzeln ihre stille Wohnung im Sitzfleisch hat“, und schreibt, Mann sei „weniger im Blitzen als im Sitzen stark“.[1] Kerr soll zeit seines Lebens einen persönlichen Groll gegen Mann gehegt haben, da dieser mit Katharina Pringsheim liiert ist, um deren Hand auch Kerr angehalten hat. Das behauptet zumindest besagte Dame Jahre später.

Die negativen Kritiken mögen Thomas Mann dazu bewegt haben, 1908 den Essay Versuch über das Theater zu verfassen, in welchem er die Überlegenheit des Romans als Literaturform gegenüber dem Theaterstück herausarbeitet. Bis zu seinem Tod verfolgt Mann aber jegliche Aufführung von Fiorenza mit Spannung und Rührung. Man mag versucht sein, der Fiorenza rezeptionsgeschichtlich ein fast vollständiges Versagen nachzusagen. Es machen sich zu Manns Lebzeiten allerdings auch vereinzelt positive Stimmen bemerkbar.

Die prominenteste von ihnen stammt von Frank Wedekind, einem der bedeutendsten Münchner Theaterschaffenden seiner Zeit. 1910 veröffentlicht er seine Rezension in dem Buch Glossarium. Schauspielkunst. Interessant ist, dass Wedekind gerade den Bühnencharakter der Fiorenza hervorhebt und den letzten Konflikt in seiner Spannung lobt. Er plädiert für eine Aufnahme des Dramas in das Repertoire jedes ernstzunehmenden Regisseurs.

In einem Lande, in dem kein Tag vergeht, an dem man nicht durch die Presse von einer neuen unsterblichen Großtat irgendeines über alle Maßen genialen Regisseurs hört, muß die Tatsache etwas seltsam berühren, daß eine an plastischen Figuren, an Dramatik des Dialoges, an Bühnenwirkungen jeder Art so reiche Dichtung wie die Fiorenza von Thomas Mann vier Jahre alt werden, und in diesen vier Jahren an nicht mehr als zwei Bühnen zur Aufführung gelangen konnte.
Durch ihre dichterische Größe und Schönheit verdiente die Fiorenza längst Repertoirestück an jeder Bühne zu sein, die sich für eine Pflegestätte der Kunst ausgibt. Und jeder, der über Regie und Bühnentechnik überhaupt nur mitsprechen will, müßte in seinem Kopfe längst seine eigene Inszenierung der Fiorenza fix und fertig haben, so gut wie man als selbstverständlich dasselbe in bezug auf Goethes Faust und Schillers Räuber von ihm erwartet.
Und was geschieht statt dessen?
Die deutsche Bühne und Schauspielkunst schweigen das vornehme Stück seit vier Jahren tot, obschon es in seiner letzten Szene, dem Dialog zwischen Savonarola und dem sterbenden Lorenzo di Medici, das Erhabenste, Geistvollste und dramatisch Wirksamste enthält, was je in deutscher Sprache für die Bühne geschrieben wurde.
Oder fehlt es etwa den übrigen zwei Akten der Fiorenza an dramatischen Wirkungen? Der erste bietet als Höhepunkt die Erzählung dessen, was im Dom geschehen ist. Der zweite bringt die prächtige Künstlerschar, den Dialog zwischen den Brüdern, dann den Liebesdialog zwischen Fiore und Piero.
Trotzdem liegt das Drama seit vier Jahren so gut wie brach und unsere Regiekunst lässt sich derweile von der Kritik in alle Himmel erheben, und öffentlich das Elend und Sterben des deutschen Dramas proklamieren.

(zit. n. Der Sturm 19, 1910, S. 3)

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Die Rezeptionsgeschichte der Fiorenza ist also nicht komplett negativ. In der italienischen Presse der damaligen Zeit regen sich auch affirmative Stimmen. 1919 wird Fiorenza durch den Regisseur Friedrich Rosenthal in Wien aufgeführt, und das Stück kommt so gut an, dass Mann und Rosenthal teilweise sogar überlegen, eine gekürzte Bühnenversion in den Druck zu geben. 1925 inszeniert Rosenthal zum 50. Geburtstag Thomas Manns das Stück erneut mit der nahezu unveränderten Besetzung von 1919. Ebenso verzeichnet Fiorenza 1986 in Form einer veränderten Bühnenfassung volle Erfolge in Florenz und Rom.

Die wahre Tragödie Manns bildet jedoch die Tatsache, dass zwischen den beißenden Angriffen, der enttäuschenden Kritik und den seltenen Lobreden zwar viel über die Dramatik, aber nur wenig über den Gegenstand des Stücks befunden wird. Mann greift in der letzten Auseinandersetzung zwischen Savonarola und Lorenzo einen Kunstdiskurs auf, den er bereits drei Jahre zuvor mit der Kurzgeschichte Gladius Dei (1902) thematisiert. Der junge Ordensbruder in dieser Geschichte sowie Savonarola in Fiorenza stellen sich gegen die für sie obszön-sinnliche Natur der Kunst der Renaissance, in der nur mehr fehlerhafte Reproduktion statt genuiner Kunst produziert wird. Savonarola verfolgt nicht die Schönheit der Welt, sondern die Wahrheit Gottes, wie er selbst sagt.

Im letzten Dialog des Dramas taucht Florenz als Spiegel für München am Anfang des 20. Jahrhunderts auf als eine Stadt, die einem modernen Renaissance-Kult huldigt und krampfhaft versucht, sich als „Isar-Athen“ zu etablieren, damit aber nur zur Kopie einer wirklichen Kunststadt, einer bloßen Repräsentation des vergangenen Florenz mutiert. Mann kritisiert nicht zum ersten Mal die Kunst seiner Zeit, die sich bestimmt durch Nachahmung und mit einer neuen Erotik den falschen Motiven widmet. Savonarola droht einer solchen Kunst mit dem Feuer Gottes, und einige Jahre nach Fiorenza vollzieht sich auch historisch der Wandel in der Kunst der Prinzregentenzeit in München, die sich von nun an wieder mehr geistigen Motiven zuwendet.

Fernab der schwierigen realen Geschichte des Dramas Fiorenza kann die heutige Leserschaft darin immer noch einen wichtigen Diskurs finden über den wahren Charakter der Kunst, die Versuchung der Macht, die Rolle der Religion und die Renaissancekultur der damaligen Zeit.

 

[1] Zu finden ist diese Rezension wie viele der hier angeführten in Schröter, Klaus (Hg.) (1969): Thomas Mann im Urteil seiner Zeit. Dokumente 1891-1955. Christian Wegner Verlag, Hamburg. 

Sekundärliteratur:

Amoia, Alba (1990): Thomas Mann's Fiorenza. Peter Lang Verlag, New York u.a.

Galvan, Elisabeth (2008): Fiorenza. Auf dem Theater und hinter den Kulissen. In: Sprecher, Thomas; Wimmer, Ruprecht (Hg.): Thomas Mann Jahrbuch, Bd. 21. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main, S. 57-69.

Heißerer, Dirk (2009): Die wiedergefundene Pracht. Franz von Lenbach, die Familie Pringsheim und Thomas Mann. Wallstein Verlag, Göttingen.

Koopmann, Helmut (20053): Thomas Mann Handbuch. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main.

Schlutt, Meike (2002): Der repräsentative Außenseiter. Thomas Mann und sein Werk im Spiegel der deutschen Presse 1898 bis 1933. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main u.a.

Schröter, Klaus (Hg.) (1969): Thomas Mann im Urteil seiner Zeit. Dokumente 1891-1955. Christian Wegner Verlag, Hamburg.

Quellen:

Thomas Mann: Fiorenza. Fischer Verlag, Berlin 1913.

Ders.: Versuch über das Theater. In: Hermann Kurzke, Stephan Stachorski (Hg.): Thomas Mann. Essays. Bd. 1. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1993, S. 53-93.