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10.03.2013, 14:18 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [100]: Jean Paul und Frank Piontek in Dresden

„Sein Lieblingsspaziergang in Dresden war die Brühlsche Terrasse, wo er besonders gern den Untergang der Sonne beobachtete“. Auch Sachsen leuchtet: bisweilen am Abend, manchmal am Tage. Immer noch betörend ist der Blick von der Elbstrasse auf die Silhouetten der Prachtbauten in der Dresdner Altstadt. Immer noch schön ist der Leipziger Hauptbahnhof, an dem der Dichter weniger oft ankam als der Blogger – aber insgesamt hat Jean Paul wesentlich länger in Leipzig verbracht als sein Interpret, zumal in diesen Tagen, da es der Blogger – zusammengerechnet – auf ca. 16 Minuten brachte, weshalb er auch nur zu schreiben hat, dass er demnächst, kurz vor Jean Pauls Geburtstag, etwas länger hier verweilen wird: auch in Sachen Jean Paul (Fotos: Frank Piontek, 2. und 3.3. 2013).

Zwei Jahre, nachdem Jean Paul München besucht hatte, verschlug es ihn nach Dresden, wo er – nach einem ersten Besuch im Mai 1798 – vom 5. Mai bis 12. Juni 1822 fünf glückliche Wochen verbrachte. Ein Jahr zuvor hatte er die Vorrede zur zweiten Auflage des Romans geschrieben, dreieinhalb Jahre später sollte er sterben. In Dresden kam es zu unangenehmen Szenen mit dem Schwager August Mahlmann, Richard Spazier berichtet von einer Begegnung auf einer „Elbgondel“ bei einer Wasserpartie zum schönen, ostwärts gelegenen Pillnitz, wo man vom Wasser aus das Schloss am Ufer sehen kann. In diesen Monat fällt das schöne Altersporträt des Dichters, das Vogel von Vogelstein vom moralisch sicheren Dichter gezeichnet hatte: Jean Paul mit der Rose[1]. Spazier hat ganz richtig die Ähnlichkeit des Mannes mit König Max Joseph entdeckt; man könnte sich im huldigenden Monarchen, den ich am Tag vor Dresden noch vor dem Münchner Nationaltheater thronen sah, auch den Dichter vorstellen, der einer huldigenden Lesermenge zuwinkt.

Ich stelle mir Jean Paul in der Hofkirche vor, die er nur einmal besuchte: wegen der Kirchenmusik, nicht der Messe, die er nicht mochte. Ich sehe ihn in der Königstrasse der Neustadt flanieren; auch sie hat im Krieg entsetzlich gelitten. Ich sehe ihn im Großen Garten, dann am Japanischen Palais, auch im damaligen Garten des Palais an der Elbe, wo er „sein frugales Frühstück“ einnimmt[2]. Er ging zum Linkeschen Bad, das E.T.A. Hoffmann im unvergleichlichen Goldnen Topf erwähnte, er traf Ludwig Tieck und den eigentümlichen Dichter Otto Graf von Loeben, einen Freund Kleists. Er erhielt auch Besuch von einem anonym gebliebenen Elsässer, der auf dem Weg zu einer Gesandtschaft nach St. Petersburg war, mit dem er sich über französische Jean-Paul-Übersetzungen unterhielt[3]. Er begegnete auch Carl Maria von Weber, dem Einzigen: natürlich in Hosterwitz, wo Weber ein Häuschen besaß. Jean Paul mochte besonders Webers Lieder, er selbst „war Weber nicht sympathisch, obwohl er ihn als Poeten ungemein hoch hielt“, schreibt Webers Sohn Max Maria (auch er ein Sohn Max...). Hier der Komponist des im Jahr zuvor uraufgeführten Freischütz, dort der Schöpfer des Komet: ein Gipfeltreffen zweier Moderner.

Sein Lieblingsspaziergang war, wen wundert's, die Brühlsche Terrasse, wo er, wie Karl August Engelhardt berichtete, „besonders gern den Untergang der Sonne beobachtete“. Von seinem Haus, das sich zwischen dem Platz des Japanischen Palais und der heutigen Robert-Blum-Straße, also westlich der Königsstraße befand, konnte er auf die Elbe und die Hoflößnitzer Weinberge schauen – eine Aussicht, die ihn so begeisterte, dass er hier geblieben wäre, wäre das Dresdner Bier nicht so „spottschlecht“ gewesen. Heute sitzt man an der Elbe, um das gute Bier zu trinken, das nicht mehr in Dresdner Brauereien produziert wird, und wünscht sich nicht fort - nicht einmal nach Leipzig. Dresden – eine Stadt zwischen Gestern und Heute, geprägt vom sächsischen Glanzbarock, den Zerstörungen des Weltkriegs (ich denke an Jean Pauls Vision der Atombombe), dem „sozialistischen“ Wiederaufbau und den Rekonstruktionen und Neubauten der Nachwendezeit. Jean Paul, würde er heute über die Terrasse flanieren und auf die wiederaufgebaute Frauenkirche schauen, hätte allen Grund, trotz – oder gerade: wegen – des Wiederneuaufbaus über die Bruchstückhaftigkeit der Geschichte nachzudenken, wie er sie in der Entschuldigung seiner Loge bedacht hatte. Ja, man kann hier sehr glücklich sein, Dresden blieb eine Stadt mit gleichsam menschlichen Ausmaßen, was zuallererst an den Dresdnern liegt, die Jean Paul, so fremdartig er auch zuweilen erscheinen mochte, freundlich entgegen kamen. Dass er den Gedanken denken konnte, sich hier anzusiedeln: es wundert mich nicht, mag auch zwischen 1822 und der Gegenwart eine Epoche vergangen sein.

„Du konntest freilich, kleiner Maria, in keinen Antikentempel zu Sanssouci oder zu Dresden eintreten und darin vor dem Weltgeiste der schönen Natur der Kunst niederfallen“, lese ich schließlich im Anhang zur Loge, dem Wutz. Als der Dichter dies schrieb, hatte er weder Berlin noch Dresden jemals gesehen. Er selbst, heißt es bei Spazier, habe „die Galerie“ – die nachmals Sempergalerie genannte, weltberühmte Gemäldesammlung – 1822 nicht besucht. Er brauchte es nicht: er war sich Schöpfer genug.



[1] Man kann's demnächst wieder in Original im neu zu eröffnenden Bayreuther Jean-Paul-Museum neben wichtigen anderen Porträts des Dichters bewundern: ein Mann im besten Alter, korpulent und doch gestrafft, sachlich und doch durch eine – die Blume macht's - „Romantik“ ausgezeichnet, die der Dichter im schönen Dresden entdeckt hatte (freilich auch „Adelslakaien“, die seinen Pudel quälten).

[2] So der Dichter und Übersetzer Karl Förster

[3] In Frankreich sei er noch nicht übersetzt worden. Es stimmt nicht ganz: die Rede des toten Christus konnte man als Franzose auch an der Seine lesen, weil Madame de Staël sie in ihrem Deutschland-Buch bereits 1813 gebracht hatte.

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