Der neue „Spindler“: Band I des aktualisierten „Handbuchs der bayerischen Geschichte“
Spiegel bayerischer Literatur und Kultur, fundiert und unterhaltsam, Essays, Prosatexte und Gedichte von prominenten und unbekannten Autoren: Das ist die Zeitschrift Literatur in Bayern, die im Allitera Verlag erscheint. Seit über 30 Jahren informiert sie über das literarische Geschehen des Freistaats. Publizist Klaus Hübner hat sich für die 130. Ausgabe mit Bayerns Vergangenheit von der Vorgeschichte bis zum Hochmittelalter befasst, erläutert im ersten Band des nun erschienenen aktualisierten Handbuchs der bayerischen Geschichte.
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Vor fünfzig Jahren begann es zu erscheinen, das Handbuch der bayerischen Geschichte, der legendäre „Spindler“.1 Nun liegt der erste Band in einer auf dem aktuellen Stand der Forschung vollständig neu geschriebenen Fassung vor. Ein stattlicher Buchziegelstein! Es geht um Bayerisches von der älteren Steinzeit bis zum hohen Mittelalter. Bayerisches? Na ja, was man halt so nennen kann. Dass die Generation von Max Spindler und Karl Bosl da manches zu simpel und vor allem zu eindeutig dargestellt hat, wird bald klar. Die Agilolfinger? Schon recht, aber … Es wäre mehr als vermessen, wenn Literatur in Bayern hier ins Detail gehen würde – es darf höchstens festgestellt werden, dass die Migratio in der Tat die Mater Bavariae war und ist, wie das unser Schwerpunktthema von Heft 129 behauptet hat. Eine kritische Würdigung des studierenswerten neuen Handbuchs überlassen wir natürlich den Historikern und anderen Fachwissenschaftlern.
Kapitel VII führt das kulturelle Leben jener Zeit vor Augen: Wissenschaft und Bildung, Literatur, Kunst, Musik. Man wird gewiss nicht ernsthaft behaupten können, dass dieses fragile frühe Bayern hier an der Spitze des europäischen Fortschritts marschierte. Dennoch schreibt Ludwig Holzfurtner ganz zu Recht, und das ist doch schon mal was: „Bayern stand zwar nie am Anfang, oft aber eben doch schon früh auf Seiten der zukunftsweisenden Ideen und trieb diese in maßgeblicher Weise weiter voran, sie um eigene Aspekte erweiternd und mehr als einmal auch auf ein realistisches Maß korrigierend“.
Einen lehrreichen Überblick über die lateinische, alt- und frühmittelhochdeutsche Literatur in Bayern bis ins 13. Jahrhundert hinein geben Mechthild und Hans Pörnbacher. Da geht es ums Wessobrunner Gebet, um Heiligenviten, Geistliche Lieder, Chroniken und frühe weltliche Epen, um Geistliche Schauspiele oder den frühen Minnesang. Zuerst aber um ein Wörterbuch aus der Freisinger Schreibschule, das eher seltene lateinische Wörter nicht nur durch geläufigere lateinische Wörter erklärt, sondern auch volkssprachliche Erläuterungen anfügt. Das erste Wort, von dem das Buch seinen Namen hat, nämlich „abrogans“, wird mit dem lateinischen „humilis“ und den althochdeutschen „dheomodi“ (demütig) erklärt. Öha! Allen Autoren in Bayern und weit darüber hinaus sei gesagt, mit den Worten der Pörnbachers: „Das erste Wort im ersten Buch, das in Bayern entstanden ist, heißt also ‚demütig‘“! Bitte unbedingt merken, aufschreiben, über den Schreibtisch hängen! Demut und Klugheit gehören zusammen – ganz besonders in Bayern, wo es viele kluge Leute gibt und auch damals schon gab. In einem Gesprächsbüchlein aus dem frühen neunten Jahrhundert steht beim Eintrag „sapiens homo – spaher (= kluger) man“ die ganz klare Aussage: „Stulti sunt Romani, sapienti sunt Paioari“ – was man, mit Verlaub, so übersetzen kann: „Olle andern san bleed, mir Bayern san gscheid“. Frühes neuntes Jahrhundert? Ganz aktuell! Auch wenn es vielleicht doch lieber „sapientes“ heißen sollte.
1 Handbuch der bayerischen Geschichte. Band I,1: Das Alte Bayern. Von der Vorgeschichte bis zum Hochmittelalter. Begründet von Max Spindler. Neu herausgegeben von Alois Schmid. München: C.H. Beck Verlag 2017. 726 S.
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Klaus Hübner, Dr. phil., wurde 1953 in Landshut geboren und legte sein Abitur am dortigen Hans-Carossa-Gymnasium ab. Er studierte Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaft in Erlangen und München und wurde 1980 mit der Studie Alltag im literarischen Werk. Eine literatursoziologische Studie zu Goethes Werther promoviert. An der Universidad de Deusto in Bilbao (Spanien) war er von 1981 bis 1983 als DAAD-Lektor tätig. Später wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Institut für Deutsch als Fremdsprache und am Institut für Deutsche Philologie der Universität München. Von 1984 bis 2016 war Hübner Redakteur der monatlich erscheinenden Zeitschrift Fachdienst Germanistik. In den Jahren 1985 bis 1999 war er hauptsächlich für den Münchner iudicium-Verlag tätig. Von 2003 bis 2017 war er außerdem Ständiger Sekretär des Adelbert-von-Chamisso-Preises der Robert Bosch Stiftung und im Zusammenhang damit auch als Journalist und Moderator tätig. Seit 2012 ist Hübner Mitglied der Redaktion der Zeitschrift Literatur in Bayern, seit 2016 Redaktionsbeirat der Literaturzeitschrift Neue Sirene. Als Publizist veröffentlichte er zahlreiche Buchkritiken, Autorenporträts und andere Arbeiten in Zeitschriften, Zeitungen und Internetforen sowie mehr als 100 Lexikonartikel, z.B. für Kindlers Neues Literaturlexikon, das Metzler Literatur Lexikon und das von Walther Killy begründete Literaturlexikon. Hübner ist Mitarbeiter am Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) sowie am Internationalen Forschungszentrum Chamisso (IFC) am Institut für Deutsch als Fremdsprache, die beide zur Universität München gehören.
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Spiegel bayerischer Literatur und Kultur, fundiert und unterhaltsam, Essays, Prosatexte und Gedichte von prominenten und unbekannten Autoren: Das ist die Zeitschrift Literatur in Bayern, die im Allitera Verlag erscheint. Seit über 30 Jahren informiert sie über das literarische Geschehen des Freistaats. Publizist Klaus Hübner hat sich für die 130. Ausgabe mit Bayerns Vergangenheit von der Vorgeschichte bis zum Hochmittelalter befasst, erläutert im ersten Band des nun erschienenen aktualisierten Handbuchs der bayerischen Geschichte.
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Vor fünfzig Jahren begann es zu erscheinen, das Handbuch der bayerischen Geschichte, der legendäre „Spindler“.1 Nun liegt der erste Band in einer auf dem aktuellen Stand der Forschung vollständig neu geschriebenen Fassung vor. Ein stattlicher Buchziegelstein! Es geht um Bayerisches von der älteren Steinzeit bis zum hohen Mittelalter. Bayerisches? Na ja, was man halt so nennen kann. Dass die Generation von Max Spindler und Karl Bosl da manches zu simpel und vor allem zu eindeutig dargestellt hat, wird bald klar. Die Agilolfinger? Schon recht, aber … Es wäre mehr als vermessen, wenn Literatur in Bayern hier ins Detail gehen würde – es darf höchstens festgestellt werden, dass die Migratio in der Tat die Mater Bavariae war und ist, wie das unser Schwerpunktthema von Heft 129 behauptet hat. Eine kritische Würdigung des studierenswerten neuen Handbuchs überlassen wir natürlich den Historikern und anderen Fachwissenschaftlern.
Kapitel VII führt das kulturelle Leben jener Zeit vor Augen: Wissenschaft und Bildung, Literatur, Kunst, Musik. Man wird gewiss nicht ernsthaft behaupten können, dass dieses fragile frühe Bayern hier an der Spitze des europäischen Fortschritts marschierte. Dennoch schreibt Ludwig Holzfurtner ganz zu Recht, und das ist doch schon mal was: „Bayern stand zwar nie am Anfang, oft aber eben doch schon früh auf Seiten der zukunftsweisenden Ideen und trieb diese in maßgeblicher Weise weiter voran, sie um eigene Aspekte erweiternd und mehr als einmal auch auf ein realistisches Maß korrigierend“.
Einen lehrreichen Überblick über die lateinische, alt- und frühmittelhochdeutsche Literatur in Bayern bis ins 13. Jahrhundert hinein geben Mechthild und Hans Pörnbacher. Da geht es ums Wessobrunner Gebet, um Heiligenviten, Geistliche Lieder, Chroniken und frühe weltliche Epen, um Geistliche Schauspiele oder den frühen Minnesang. Zuerst aber um ein Wörterbuch aus der Freisinger Schreibschule, das eher seltene lateinische Wörter nicht nur durch geläufigere lateinische Wörter erklärt, sondern auch volkssprachliche Erläuterungen anfügt. Das erste Wort, von dem das Buch seinen Namen hat, nämlich „abrogans“, wird mit dem lateinischen „humilis“ und den althochdeutschen „dheomodi“ (demütig) erklärt. Öha! Allen Autoren in Bayern und weit darüber hinaus sei gesagt, mit den Worten der Pörnbachers: „Das erste Wort im ersten Buch, das in Bayern entstanden ist, heißt also ‚demütig‘“! Bitte unbedingt merken, aufschreiben, über den Schreibtisch hängen! Demut und Klugheit gehören zusammen – ganz besonders in Bayern, wo es viele kluge Leute gibt und auch damals schon gab. In einem Gesprächsbüchlein aus dem frühen neunten Jahrhundert steht beim Eintrag „sapiens homo – spaher (= kluger) man“ die ganz klare Aussage: „Stulti sunt Romani, sapienti sunt Paioari“ – was man, mit Verlaub, so übersetzen kann: „Olle andern san bleed, mir Bayern san gscheid“. Frühes neuntes Jahrhundert? Ganz aktuell! Auch wenn es vielleicht doch lieber „sapientes“ heißen sollte.
1 Handbuch der bayerischen Geschichte. Band I,1: Das Alte Bayern. Von der Vorgeschichte bis zum Hochmittelalter. Begründet von Max Spindler. Neu herausgegeben von Alois Schmid. München: C.H. Beck Verlag 2017. 726 S.
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Klaus Hübner, Dr. phil., wurde 1953 in Landshut geboren und legte sein Abitur am dortigen Hans-Carossa-Gymnasium ab. Er studierte Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaft in Erlangen und München und wurde 1980 mit der Studie Alltag im literarischen Werk. Eine literatursoziologische Studie zu Goethes Werther promoviert. An der Universidad de Deusto in Bilbao (Spanien) war er von 1981 bis 1983 als DAAD-Lektor tätig. Später wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Institut für Deutsch als Fremdsprache und am Institut für Deutsche Philologie der Universität München. Von 1984 bis 2016 war Hübner Redakteur der monatlich erscheinenden Zeitschrift Fachdienst Germanistik. In den Jahren 1985 bis 1999 war er hauptsächlich für den Münchner iudicium-Verlag tätig. Von 2003 bis 2017 war er außerdem Ständiger Sekretär des Adelbert-von-Chamisso-Preises der Robert Bosch Stiftung und im Zusammenhang damit auch als Journalist und Moderator tätig. Seit 2012 ist Hübner Mitglied der Redaktion der Zeitschrift Literatur in Bayern, seit 2016 Redaktionsbeirat der Literaturzeitschrift Neue Sirene. Als Publizist veröffentlichte er zahlreiche Buchkritiken, Autorenporträts und andere Arbeiten in Zeitschriften, Zeitungen und Internetforen sowie mehr als 100 Lexikonartikel, z.B. für Kindlers Neues Literaturlexikon, das Metzler Literatur Lexikon und das von Walther Killy begründete Literaturlexikon. Hübner ist Mitarbeiter am Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) sowie am Internationalen Forschungszentrum Chamisso (IFC) am Institut für Deutsch als Fremdsprache, die beide zur Universität München gehören.