Der „Fünf-Punkte-Plan gegen Antisemitismus“. Ein Gespräch mit Professor Guy Katz
Vor zwei Jahren hatten die Schriftsteller Björn Kuhligk und Marcus Roloff in einem offenen Brief zur Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland und mit Israel sowie zum Engagement für die allerorts von antisemitischen Übergriffen bedrohten jüdischen Menschen aufgerufen. Wie sieht es mit der öffentlichen Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland heute, nochmals zwei Jahre später, aus?
Aktuell wirbt der Fünf-Punkte-Plan gegen Antisemitismus für tatkräftige Unterstützung. Eine konkrete „To-do-list“, die ganz praxisbezogen dort greifen soll, wo bislang reine Lippenbekenntnisse eines floskelhaften „Nie wieder!“ nach jeder neuen antisemitischen Attacke in diesem Land erfolgen. Viele Unterstützende haben den Aufruf bereits unterschrieben, darunter auch zahlreiche Organisationen, Kultureinrichtungen, Sportvereine, u.a. der FC Bayern, die Fraktionen von CSU, SPD und Die Grünen oder die Königlich Bayerische Antifa. Im Kulturbetrieb aber ist es auffallend still.
Das Literaturportal Bayern hat den Initiator der Initiative, Guy Katz, Professor für Internationales Management an der Hochschule München, um ein kurzes schriftliches Gespräch gebeten.
*
LITERATURPORTAL BAYERN: Lieber Herr Katz, was genau beinhaltet der Fünf-Punkte-Plan gegen Antisemitismus? Und was erhoffen Sie sich davon?
GUY KATZ: Der Fünf-Punkte-Plan ist keine wohlklingende Geste, sondern eine sehr konkrete Agenda: Bildung stärken, Antisemitismus an Hochschulen bekämpfen, rechtliche Grundlagen nutzen, zivilgesellschaftliche Verantwortung einfordern und internationale Partnerschaften ausbauen. Es geht darum, „Nie wieder!“ aus dem Bereich der Sonntagsreden in den Alltag zu holen. Meine Hoffnung: dass Politik, Institutionen und auch die Kultur den Mut finden, vom Wort zur Tat zu gehen.
LPB: Warum fällt es aber, jenseits von Mut, vielen Menschen in Deutschland generell so schwer, deutsche Jüdinnen und Juden von der gegenwärtigen Politik Israels, von Netanjahus Eroberungspolitik zu trennen?
KATZ: Weil es bequemer ist, „die Juden“ pauschal zu adressieren, als sich mit der komplexen Realität des Nahen Ostens auseinanderzusetzen. Antisemitismus funktioniert seit Jahrhunderten über Kollektivzuschreibungen. Wer Jüdinnen und Juden hier für die Politik Israels haftbar macht, verlagert ein geopolitisches Problem auf die Schultern einer kleinen Minderheit.
LPB: Wie geht diese kleine Minderheit, wie gehen Ihrer Erfahrung nach jüdische Menschen in Deutschland mit der Zumutung um, für Israels Politik „einstehen“ zu müssen?
KATZ: Viele ziehen sich zurück, andere passen sich an, manche wehren sich – aber fast alle empfinden es als ungerecht und belastend. Es ist eine Zumutung, sich permanent rechtfertigen zu müssen für etwas, worüber man gar keine Kontrolle hat. Das raubt Energie, die eigentlich ins gemeinsame Gestalten dieses Landes fließen sollte.
LPB: Nun könnte man ja meinen, dass Kulturschaffende für Empathie, Einfühlung und eine differenzierte Wahrnehmung gerade besonders affin sind. Wie erklären Sie sich gerade die Verhaltenheit im Kulturbetrieb?
KATZ: Vielleicht liegt es daran, dass das Thema unbequem ist. Antisemitismus fordert klare Haltung, und die ist riskant: Man verliert Publikum, Förderungen, Freundschaften. Aber gerade wer mit Sprache und Geschichten arbeitet, müsste doch wissen: Schweigen ist auch eine Sprache. Und gerade jetzt klingt dieses Schweigen ohrenbetäubend.
LPB: Was würden Sie sich denn von der Literatur wünschen? Den Büchern, Menschen, dem Betrieb?
KATZ: Wortmeldungen. Sichtbarkeit. Solidarität. Literatur darf nicht nur Erinnerungskultur sein – sie muss Gegenwartskultur sein. Ich wünsche mir, dass Autorinnen und Autoren ihre Stimmen erheben, nicht als Ersatz für Politik, sondern als moralische Resonanzräume unserer Gesellschaft.
LPB: Warum, glauben Sie, fällt es den Menschen denn so schwer genau hinzuhören und zu differenzieren?
KATZ: Weil Differenzierung anstrengend ist. Schwarz-Weiß-Bilder sind schneller konsumierbar. Aber gerade hier trennt sich das Humane vom Unmenschlichen: die Bereitschaft, hinzuhören, auch wenn es kompliziert wird.
LPB: Hören wir denn überhaupt noch hin? Was hat sich Ihrer Meinung nach im öffentlichen Umgang mit dem Antisemitismus verändert?
KATZ: Es gibt mehr Achtsamkeit, mehr Programme, mehr Statements – und gleichzeitig ein Mehr an Aggression, besonders in sozialen Medien und auf der Straße. Der Gegensatz zwischen offizieller Rhetorik und erlebter Realität ist größer geworden.
LPB: Ja... dieser Gegensatz scheint eine Realität im öffentlichen Umgang mit dem Antisemitismus zu sein. Wie sind denn Ihre eigenen Erfahrungen? Was haben Sie als besonders ermutigend oder bestärkend wahrgenommen? Was wiederum finden Sie schwierig oder bedenklich?
KATZ: Ermutigend sind die vielen Menschen, die aufstehen, unterschreiben, mitgehen, auch wenn sie keinen persönlichen Bezug haben. Bedrückend ist, wie einsam man sich als Jude oft trotzdem fühlt – besonders im Kulturbetrieb, wo man sich eine klare Haltung wünschen würde.
LPB: Apropos klare Haltung: Einiges ist ja zutiefst widersprüchlich. Wie zum Beispiel lassen sich steigende Achtsamkeit, Wokeness und Rassismuskritik in der öffentlichen Rede einerseits und antisemitische Tendenzen andererseits zusammendenken? Widerspricht sich das nicht eigentlich?
KATZ: Ja, es ist ein Widerspruch – und dennoch Realität. Viele, die sensibel für Diskriminierung sind, haben beim Thema Antisemitismus blinde Flecken. Vielleicht, weil sie Israel als „Macht“ sehen und Juden damit nicht mehr als Opfer, sondern als Täter. Aber Diskriminierung bleibt Diskriminierung – egal, in welche Schublade man die Betroffenen steckt.
LPB: Was würden Sie sich, jenseits des Schubladendenkens, für einen gelingenden deutsch-jüdischen Gesprächsraum wünschen?
KATZ: Ehrlichkeit. Neugier. Den Mut, nicht nur über Juden zu sprechen, sondern mit ihnen. Einen Raum, in dem nicht die Politik Israels verhandelt wird, sondern das Miteinander hier, in Deutschland, im Jahr 2025.
LPB: Genau dazu möchten wir im Literaturportal mit unserer Reihe der deutsch-jüdischen Gespräche beitragen. Ein Tropfen, zumindest, auf den heißen Stein. Abschließend noch ein Blick in die nahe Zukunft: Was wäre Ihre Botschaft für die Entscheidungstragenden von morgen, sprich, für die jungen Leute in diesem Land?
KATZ: Habt den Mut, selbst zu denken. Glaubt nicht den einfachen Erzählungen, egal von welcher Seite sie kommen. Und vor allem: Bleibt laut, wenn andere schweigen. Denn das Schweigen ist es, das den Hass groß macht.
LPB: Vielen Dank für das Gespräch!
Der „Fünf-Punkte-Plan gegen Antisemitismus“. Ein Gespräch mit Professor Guy Katz>
Vor zwei Jahren hatten die Schriftsteller Björn Kuhligk und Marcus Roloff in einem offenen Brief zur Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland und mit Israel sowie zum Engagement für die allerorts von antisemitischen Übergriffen bedrohten jüdischen Menschen aufgerufen. Wie sieht es mit der öffentlichen Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland heute, nochmals zwei Jahre später, aus?
Aktuell wirbt der Fünf-Punkte-Plan gegen Antisemitismus für tatkräftige Unterstützung. Eine konkrete „To-do-list“, die ganz praxisbezogen dort greifen soll, wo bislang reine Lippenbekenntnisse eines floskelhaften „Nie wieder!“ nach jeder neuen antisemitischen Attacke in diesem Land erfolgen. Viele Unterstützende haben den Aufruf bereits unterschrieben, darunter auch zahlreiche Organisationen, Kultureinrichtungen, Sportvereine, u.a. der FC Bayern, die Fraktionen von CSU, SPD und Die Grünen oder die Königlich Bayerische Antifa. Im Kulturbetrieb aber ist es auffallend still.
Das Literaturportal Bayern hat den Initiator der Initiative, Guy Katz, Professor für Internationales Management an der Hochschule München, um ein kurzes schriftliches Gespräch gebeten.
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LITERATURPORTAL BAYERN: Lieber Herr Katz, was genau beinhaltet der Fünf-Punkte-Plan gegen Antisemitismus? Und was erhoffen Sie sich davon?
GUY KATZ: Der Fünf-Punkte-Plan ist keine wohlklingende Geste, sondern eine sehr konkrete Agenda: Bildung stärken, Antisemitismus an Hochschulen bekämpfen, rechtliche Grundlagen nutzen, zivilgesellschaftliche Verantwortung einfordern und internationale Partnerschaften ausbauen. Es geht darum, „Nie wieder!“ aus dem Bereich der Sonntagsreden in den Alltag zu holen. Meine Hoffnung: dass Politik, Institutionen und auch die Kultur den Mut finden, vom Wort zur Tat zu gehen.
LPB: Warum fällt es aber, jenseits von Mut, vielen Menschen in Deutschland generell so schwer, deutsche Jüdinnen und Juden von der gegenwärtigen Politik Israels, von Netanjahus Eroberungspolitik zu trennen?
KATZ: Weil es bequemer ist, „die Juden“ pauschal zu adressieren, als sich mit der komplexen Realität des Nahen Ostens auseinanderzusetzen. Antisemitismus funktioniert seit Jahrhunderten über Kollektivzuschreibungen. Wer Jüdinnen und Juden hier für die Politik Israels haftbar macht, verlagert ein geopolitisches Problem auf die Schultern einer kleinen Minderheit.
LPB: Wie geht diese kleine Minderheit, wie gehen Ihrer Erfahrung nach jüdische Menschen in Deutschland mit der Zumutung um, für Israels Politik „einstehen“ zu müssen?
KATZ: Viele ziehen sich zurück, andere passen sich an, manche wehren sich – aber fast alle empfinden es als ungerecht und belastend. Es ist eine Zumutung, sich permanent rechtfertigen zu müssen für etwas, worüber man gar keine Kontrolle hat. Das raubt Energie, die eigentlich ins gemeinsame Gestalten dieses Landes fließen sollte.
LPB: Nun könnte man ja meinen, dass Kulturschaffende für Empathie, Einfühlung und eine differenzierte Wahrnehmung gerade besonders affin sind. Wie erklären Sie sich gerade die Verhaltenheit im Kulturbetrieb?
KATZ: Vielleicht liegt es daran, dass das Thema unbequem ist. Antisemitismus fordert klare Haltung, und die ist riskant: Man verliert Publikum, Förderungen, Freundschaften. Aber gerade wer mit Sprache und Geschichten arbeitet, müsste doch wissen: Schweigen ist auch eine Sprache. Und gerade jetzt klingt dieses Schweigen ohrenbetäubend.
LPB: Was würden Sie sich denn von der Literatur wünschen? Den Büchern, Menschen, dem Betrieb?
KATZ: Wortmeldungen. Sichtbarkeit. Solidarität. Literatur darf nicht nur Erinnerungskultur sein – sie muss Gegenwartskultur sein. Ich wünsche mir, dass Autorinnen und Autoren ihre Stimmen erheben, nicht als Ersatz für Politik, sondern als moralische Resonanzräume unserer Gesellschaft.
LPB: Warum, glauben Sie, fällt es den Menschen denn so schwer genau hinzuhören und zu differenzieren?
KATZ: Weil Differenzierung anstrengend ist. Schwarz-Weiß-Bilder sind schneller konsumierbar. Aber gerade hier trennt sich das Humane vom Unmenschlichen: die Bereitschaft, hinzuhören, auch wenn es kompliziert wird.
LPB: Hören wir denn überhaupt noch hin? Was hat sich Ihrer Meinung nach im öffentlichen Umgang mit dem Antisemitismus verändert?
KATZ: Es gibt mehr Achtsamkeit, mehr Programme, mehr Statements – und gleichzeitig ein Mehr an Aggression, besonders in sozialen Medien und auf der Straße. Der Gegensatz zwischen offizieller Rhetorik und erlebter Realität ist größer geworden.
LPB: Ja... dieser Gegensatz scheint eine Realität im öffentlichen Umgang mit dem Antisemitismus zu sein. Wie sind denn Ihre eigenen Erfahrungen? Was haben Sie als besonders ermutigend oder bestärkend wahrgenommen? Was wiederum finden Sie schwierig oder bedenklich?
KATZ: Ermutigend sind die vielen Menschen, die aufstehen, unterschreiben, mitgehen, auch wenn sie keinen persönlichen Bezug haben. Bedrückend ist, wie einsam man sich als Jude oft trotzdem fühlt – besonders im Kulturbetrieb, wo man sich eine klare Haltung wünschen würde.
LPB: Apropos klare Haltung: Einiges ist ja zutiefst widersprüchlich. Wie zum Beispiel lassen sich steigende Achtsamkeit, Wokeness und Rassismuskritik in der öffentlichen Rede einerseits und antisemitische Tendenzen andererseits zusammendenken? Widerspricht sich das nicht eigentlich?
KATZ: Ja, es ist ein Widerspruch – und dennoch Realität. Viele, die sensibel für Diskriminierung sind, haben beim Thema Antisemitismus blinde Flecken. Vielleicht, weil sie Israel als „Macht“ sehen und Juden damit nicht mehr als Opfer, sondern als Täter. Aber Diskriminierung bleibt Diskriminierung – egal, in welche Schublade man die Betroffenen steckt.
LPB: Was würden Sie sich, jenseits des Schubladendenkens, für einen gelingenden deutsch-jüdischen Gesprächsraum wünschen?
KATZ: Ehrlichkeit. Neugier. Den Mut, nicht nur über Juden zu sprechen, sondern mit ihnen. Einen Raum, in dem nicht die Politik Israels verhandelt wird, sondern das Miteinander hier, in Deutschland, im Jahr 2025.
LPB: Genau dazu möchten wir im Literaturportal mit unserer Reihe der deutsch-jüdischen Gespräche beitragen. Ein Tropfen, zumindest, auf den heißen Stein. Abschließend noch ein Blick in die nahe Zukunft: Was wäre Ihre Botschaft für die Entscheidungstragenden von morgen, sprich, für die jungen Leute in diesem Land?
KATZ: Habt den Mut, selbst zu denken. Glaubt nicht den einfachen Erzählungen, egal von welcher Seite sie kommen. Und vor allem: Bleibt laut, wenn andere schweigen. Denn das Schweigen ist es, das den Hass groß macht.
LPB: Vielen Dank für das Gespräch!