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Rezension zu Anna Jobs „Muschmamm“. Ein Bilderbuch für Erwachsene

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© Kunstanstifter Verlag

Das zweite Bilderbuch für Erwachsene der Münchner Autorin Anna Job ist wieder in Zusammenarbeit mit der Illustratorin Corinna Schmelter-Pourian und unter Mitwirkung von Theresa Schwietzer, die die Buchgestaltung übernommen hat, entstanden und im März 2025 beim Kunstanstifter Verlag erschienen. Die Autorin Christina Madenach hat es für das Literaturportal gelesen.  

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Das Buch trägt den Titel Muschmamm und bezieht sich in Gestaltung und Inhalt auf seinen 2024 veröffentlichten Vorgänger Salzige Milch, funktioniert aber auch für sich. Beschäftigt sich Salzige Milch mit der Entwicklung der Protagonistin vom Single zur Partnerin bis zur Mutter, geht es in Muschmamm um den Alltag mit Kleinkind und die Frage nach dem Selbstverständnis der Ich-Erzählerin jenseits der Mutterrolle. Passend dazu das Titelbild: Darauf zu sehen ist die Ich-Erzählerin mit einem Hut, auf dem ein Bärengesicht abgebildet ist. Während die Mutter in Salzige Milch auf sprachlicher und bildlicher Ebene selbst zur Bärin mutiert, die ihr Kind beschützt, ist die Bärin als Inbegriff der Mutter nun zum Hut geworden. Der Hut der Mutterschaft kann inzwischen – wenn auch nur vorübergehend – abgesetzt werden.

Von Liebes- zu Klagegesängen

Auch wenn die Lektüre von Anna Jobs erstem Buch nicht notwendig ist, um das zweite zu verstehen, hängen sie zusammen. Deshalb finde ich es spannend, sie im Vergleich zu betrachten. Die Entwicklung der inhaltlichen Ebene spiegelt in der Form wider. Beide Bücher tragen Untertitel. Bei Salzige Milch heißt es: „Eine Erzählung. In Schnipseln.“ Diese kurzen, lyrischen Schnipsel dominieren dann auch das Buch, während erzählerische Passagen nur vereinzelt eingestreut sind. Der Untertitel von Muschmamm lautet: „Musik an Widerworten“. Der Bezug zur Musik findet sich in einigen der Kapitelüberschriften. Da heißt es beispielsweise: „Duett vom Cup“, „Klang und Staub. Intermezzo“, „Raubkatzensonate“, „Ode ans Fieber“ oder „Arie vom schlimmen Gefühl“.

In diesen – und anderen – Kapiteln finden sich auch immer wieder besagte Schnipsel, die mich bereits im Vorgänger sowohl inhaltlich als auch von der Form an Lieder erinnerten. Dem gegenüber stehen in Muschmamm jedoch sehr viel mehr Prosapassagen, die ich im Vorgänger inhaltlich als nüchterner eingeordnet habe. Ähnlich verhält es sich in diesem Buch. Bereits in den ersten beiden längeren Erzählungen spielt das literarisch selten verhandelte Thema der Toilette eine Rolle. Da heißt es dann auch ganz lakonisch: „Mittlerweile geht es schon gar nicht mehr um Kaffeeluxus. Nur noch um Pipi.“

Diese erste Erzählung handelt von dem Versuch der Protagonistin, in Ruhe auf die Toilette zu gehen und sich daraufhin wieder ins Bett zu legen, während das Kind noch schläft – was misslingt. In der zweiten längeren Erzählung geht es um einen Toilettenbesuch der Mutter mit dem Kind, bei dem sie ihre Menstruationstasse wechselt – was blutig endet. Auch wenn beide Texte vom ernüchternden Alltag mit Kleinkind erzählen, schwingt Humor mit, wenn Anna Job beispielsweise schreibt: „Der horrorfilmartige Anblick des blutigen Klos ist die perfekte Vorlage für Gespräche in der Bahn. Auch für alle, die nach uns kommen, falls das Klopapier zum Putzen nicht reicht. Doch du sagst schon jetzt: ‚Mama, warum hast du heute rotes Piesel?‘ Ich sage: ‚Erklär ich dir später‘, oder lieber nie.“

Aber im Verlauf des Buchs wird der Ton ernster: wenn das Kind nicht ins Bett will und mehrmals der Begriff „hoffnungslos“ fällt, wenn es um den ständigen Hunger der Protagonistin aus Langweile und ihre überflüssigen Kilos geht, die sich wie ein schützender Panzer um sie legen, oder wenn sich der Partner immer mehr vom Liebhaber zum Mitbewohner wandelt. Selbst die lyrischen Schnipsel sind bei Muschmamm von dieser Stimmung geprägt. Erschienen sie mir in Salzige Milch noch wie Liebesgesänge, erinnern sie mich im Nachfolger eher an Klagegesänge: „Ausgesaugt. Leergehört. Abgeredet. / Lippen reduziert auf ‚Halt‘, ‚Nein‘, / ‚Stopp‘, ‚Seins‘. / Kaum noch ‚Gleich‘. / Ohren penetriert von ‚Manno‘, ‚Aua‘, / ‚Wäh‘, ‚Meins‘, / …“

Symbiotische versus auseinanderstrebende Nabelschnüre

Dass die Beziehung zum Kind im zweiten Buch von Anna Job nicht nur einfach ist, liegt unter anderem sicherlich an dem natürlichen Prozess der Abnabelung. Das findet sich auch auf sprachlicher Ebene wieder. Das Kind in Salzige Milch hat noch keine eigene Stimme, sodass ich bis auf wenige Ausnahmen, in denen die Perspektive des Partners oder die der Freundinnen der Protagonistin durch wörtliche Rede aufscheinen, nur die Sicht der Ich-Erzählerin präsentiert bekomme. Bei Muschmamm kann das Kind bereits sprechen und seine Stimme fließt in viele Passagen in Form von wörtlicher Rede ein. Sogar der Titel des Buches ist einer solchen Passage entnommen: „‚Sei nicht so muschmamm‘, sagst du. / Ich sage: ‚Was ist denn muschmamm?‘ / Du sagst: ‚Na, wenn eine Mama so nervig ärgert, / aber auch ein bisschen lustig ist.‘“ Die Macht der Benennung und der Definition liegt nun nicht mehr bei der Mutter allein.

Diese Auseinandersetzung mit der Abgrenzung von Mutter und Kind spiegelt sich auch auf der bildlichen Ebene. An mehreren Stellen finden sich an Nabelschnüre erinnernde Zeichnungen von sich verheddernden oder in verschiedene Richtungen auseinanderstrebenden Objekten – seien es die Haare der Ich-Erzählerin, das Klopapier bei den Toilettenszenen, die mit dem Seil spielende Katze oder schließlich die Arme und Beine von Mutter und Kind, als sie sich streiten und schließlich mit einer Umarmung wieder versöhnen. Ein weiteres Bildelement ist ein Kuchenkarton, der mehrmals auftaucht. Zu Beginn liegen darin zwei Stücke eng nebeneinander, und er ist mit dem Personalpronomen „wir“ beschriftet. An späterer Stelle taucht er nur mit einem Stück Kuchen auf und ist mit dem Pronomen „ich“ beschriftet, womit auf das heimliche Kuchenessen der Mutter verwiesen wird. Dieses wiederum nimmt Bezug auf ein weiteres Bild, auf dem die Geburtstagsgeschenke des Kindes zu sehen sind –ebenfalls alle mit „ich“ beschriftet.

Wie bei Salzige Milch wird das Kind den ganzen Text über mit einem „Du“ angesprochen. Während im Vorgängerbuch zunächst das „Du“ auch für die Ansprache des Meeres verwendet wurde – die große Leidenschaft der Protagonistin vor der Geburt ihres Kindes –, gibt es bei Muschmamm kein zweites „Du“ mehr. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass die absolute Symbiose zwischen dem „Du“ und dem „Ich“, dem Kind und der Mutter, hier aufgebrochen wird: einerseits durch die Einführung des Kinder-Ichs auf der Bildebene und in seiner wörtlichen Rede, andererseits aber auch durch die Hinweise auf die Mutter als Schreibende. Definiert sich die Ich-Erzählerin im ersten Buch vor allem über das Surfen und die Mutterschaft, taucht sie im jetzigen Buch als diejenige auf, die das Geschehen in Worte fasst: „Nachts. Am Tisch. Auf Papier. / Sogar mehr Seiten als vorher. Jetzt mit Unterschrift.“ Sie ist neben der Mutter auch Schriftstellerin und damit in der Lage, den Bärinnenhut zumindest momentweise abzulegen und sich nicht nur in Bezug auf ihre Rolle für das Kind zu definieren.

Blick der anderen

Noch mehr als im Vorgängerbuch tritt die Figur des Vaters in den Hintergrund. Abgesehen von dem Kapitel Couch macht Paare, in dem es um die Beziehung der Eltern geht, skizziert Anna Job den Vater nur in wenigen weiteren Passagen als die zweite Bezugsperson des Kindes. An einer Stelle will sich das Kind nicht von der Mutter ins Bett bringen lassen, sondern wartet auf den Vater, der ausnahmsweise zum Skaten gegangen ist. An einer anderen Stelle befindet sich das Paar mit weiteren Paaren im Park und die Väter spielen mit den Kindern, während die Mütter Kaffee trinken. Aber nicht nur der Vater, sondern auch Freundinnen treten – abgesehen von der Stelle im Park und in ein, zwei weiteren Szenen – selten auf, was daran liegen mag, dass Anna Job zumindest Teile ihres Buchs während der Covid-Pandemie spielen lässt.

Auffällig dagegen empfinde ich die mehrmalige Erwähnung des Blicks von außen: ob es nun in einer – ziemlich lustigen – Szene um die Belästigung der Mitfahrenden durch den Geruch von Salamibroten geht, die das Kind im Bus essen will, oder um einen so lautstarken Streit zwischen Mutter und Kind im Park, dass die Leute zu schauen beginnen. Und auch bei einem anderen Thema geht es um den – vielleicht nur in sie hineinprojizierten – Blick der anderen: Die bereits in Salzige Milch aufgeworfene Frage nach einem zweiten Kind reflektiert die Erzählerin in Muschmamm unter anderem in Bezug darauf, wie es von außen wirkt, wenn man nur ein Kind hat. Trotzdem entscheidet sie sich zunächst gegen ein zweites und schafft es, sich von der Meinung der anderen freizumachen: „Aber wer sind schon die.“ Erst im letzten Kapitel wechselt die Erzählerin dann die Perspektive, betrachtet sich selbst von außen und sagt über sich: „… und sie will noch mal, und spürt jetzt: Noch eins. Zwei? Drei?“

Die Treppen hinunter und wieder hinauf

Die Wendung der Protagonistin im Epilog hinsichtlich der Frage nach einem zweiten Kind spiegelt die Haltung des Texts am Ende des Buchs wider. Das vorletzte Kapitel heißt dementsprechend: Im Auge des Tornados. Der die Erzählerin metaphorisch umtosende Sturm der Erziehungsaufgabe und des Abnabelungsprozesses mündet in einen wirklichen Sturm, dem sie in die Kita entkommt. Hier im wirklichen und metaphorischen Auge des Sturms finden Mutter und das sie bereits sehnsüchtig erwartende Kind – zumindest einen Moment lang – liebend zusammen. Die Mutter beugt sich zum Kind hinunter und denkt: „und ich nehme dich hoch, / um nicht hinabgerissen zu werden.“

Diese Bewegung von unten nach oben findet sich auch in dem Spiel des Texts mit den Treppenbildern. Verweisen die Treppen in Salzige Milch noch auf den Übergang vom Singledasein zur Paarbeziehung – ein Kapitel zu Beginn heißt „Hoch zu mir“, ein späteres, sich darauf beziehendes „Hoch zu dir“ –, spielt in Muschmamm vor allem die Richtung, in der Treppen beschritten werden, eine Rolle. Zu Beginn gehen Mutter und Kind die Treppen hinunter. Das wird im letzten Bild wieder aufgegriffen: Mutter und Kind gehen die Treppen hinauf. Vielleicht könnte die auf der Bildebene vorgenommene Nummerierung der Treppenstufen als Hinweis auf die im Text aufgeworfene Frage nach der Anzahl weiterer Kinder gelesen werden und / oder die Anzahl der noch folgenden Bücher in dieser Reihe von Anna Job?

 

Anna Job: Muschmamm. Mit Illustrationen von Corinna Schmelter-Pourian, Kunstanstifter Verlag 2025, 220 S., ISBN: 978-3-948743-42-0. 

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