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08.05.2025, 09:30 Uhr
Thomas Kraft
Text & Debatte

Krafts Schattenkanon. Eine Ergänzung. Teil 14: Hermann Essig, Der Taifun (1919)

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Hermann Essig (Fotograf unbekannt)

300 Jahre Literaturgeschichte hat sich der Münchner Schriftsteller und Publizist Thomas Kraft vorgenommen, um für das Literaturportal Bayern einige Schätze zu heben. Rund 40 unentdeckte Romane und Erzählungen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren –  darunter bekannte wie weniger bekannte – finden in dieser kurzweiligen Reihe (neu) ans Licht.

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Essigs größter Erfolg ist sein Schlüsselroman Der Taifun (1919), in dem er sich über das kunstverrückte Berliner Publikum am Anfang des 20. Jahrhunderts und die modernen Tendenzen des Kreises um die zeitgeistige Kunstzeitschrift Der Sturm mokiert. Er schreibt über den Kunstbetrieb so scharf und amüsant wie selten jemand. Viele Facetten und Mechanismen sind heute noch ähnlich. Angebliche Sensationen werden gehypt und sind morgen bereits wieder vergessen, mit hohlem Pathos im wörtlichen Sinne leere Werke wie die weiße Leinwand mit dem vielsagenden Titel Expressionismus der Eskimos hochgejuchzt und ahnungslosen, aber vermögenden Käufern das Geld aus der Tasche gezogen, indem man ihnen zu guter Letzt blanke Bilderrahmen als wertvolle Kunst andreht: „Mit Riesensummen waren die Kunstwerke in den Katalogen angegeben. Im Jahre des Heils 04 mit 3 000 Mark gezeichnete Bilder waren im Jahre des Heils 11 schon auf 40 000 gestiegen.“

Besonders der Galerist und Verleger Herwarth Walden steht kaum kaschiert im Zentrum der Kritik, wenn er als „Osso Ganzwind“ mit aller Macht und Raffinesse versucht, die neue Avantgarde durchzusetzen, indem er seine Räume zum Treff- und Mittelpunkt eines glänzenden gesellschaftlichen Lebens in Berlin macht. Daneben tauchen Künstler und Literaten wie Marc Chagall, Franz Marc, Alfred Döblin und Paul Scheerbart auf. Auf komische Weise schildert Essig, wie plötzlich der Kommerz den Markt überschwemmt, überall Auktionshäuser entstehen und Kunstwerke zum Spekulationsobjekt werden. Auch wenn Ganzwind alias Walden jedes Jahr seine Räume der größeren Nachfrage anpasst, hat er den eines Tages sicher kommenden Crash bereits fest im Blick: „In gewissem Sinne ist alles ebenso Schwindel, wie auch alles gleichzeitig höchstes Ideal sein kann.“

Essigs Zeitgenosse und Autorenkollege Kasimir Edschmid kommentierte den Taifun wie folgt: „So ist Essig zweifellos nicht sprach- oder formschöpferisch im großen und letzten Sinn und hat doch ein Buch geschrieben, das an Kompaktheit, Originalität und Fülle des Geschauten niemals seither vorhanden ist. Dennoch wäre es letzten Endes ohne Sternheim und Heinrich Mann undenkbar. Der Roman satirisiert den Sturm-Kreis in einer in Deutschland kaum gekannten Kühnheit der Form. Manns geißelnde Romane sind (mit Ausnahme des leider schlecht ausklingenden Professor Unrat) nicht ins Dichterische, nicht ins Ewige hinein stilisiert, sondern nur ins Zeithaft-Glossierende. Sie bleiben Politik. Essig baut von da erst auf, denn der Sturm-Kreis ist ihm am Ende Wurst, und es sensationiert ihn keineswegs zu sehr, daß schließlich selbst unsichtbare Bilder als letzte Abstraktionshöhe, d.h. also leere Rahmen verkauft werden. Sondern er zuckt nach dem menschlichen Jammer dahinter, nach den Verbogenheiten der Seele, nach den unmöglichsten Äußerungen des Verdrehten, Barocken im Dasein. Und er vollbringt die Zusammenschweißung anstößigster, schrecklichster und gewagtester Dinge mit ungewöhnlicher Konzentration. Ohne Zweifel einer der besten satirischen Romane unserer Zeit und infolgedessen, d.h. infolge seines kühn über die Zeit hinausgehenden Gehalts, schwer verkannt.“

Kaum ein deutscher Autor ist so gründlich in Vergessenheit geraten wie Hermann Essig. Das war einmal anders. Als Hermann Essig 1918 starb, trauerten viele Kollegen und Wegbegleiter wie der Kritiker-Papst Alfred Kerr, der Maler und Dramatiker Oskar Kokoschka, der Architekt Bruno Taut, der expressionistische Dichter August Stramm, der Verleger Kurt Wolff und der Herausgeber der Kunstzeitschrift Der Sturm Herwarth Walden. Heute findet man nur noch wenige Stimmen, die sich zu Essigs Leben und Wirken äußern wie Volker Weidermann in seinem Band über die verbrannten Bücher oder sein schwäbischer Landsmann Martin Walser, der 1978 nach einer Aufführung eines Essig-Stückes meinte: „Ich würde wahnsinnig gern weitere Stücke lesen, weil mich dieser Sprachrhythmus verhext hat. Ich bin ununterbrochen in Versuchung, solche Essig-Sätze zu sagen. Ich kann mich schlecht wehren. Dass Essig nicht mehr verschwinden darf, ist klar …“

Hermann Essig ist ein 1878 in Truchtelfingen geborener Pfarrerssohn, ein Querkopf von der Schwäbischen Alb, der Ingenieur werden will und in Stuttgart an der Technischen Hochschule studiert. Eine lebensgefährliche Lungenkrankheit wirft ihn aus der Bahn und bringt ihn zum Schreiben. Auf Anraten eines Freundes zieht der angehende Schriftsteller 1904 nach Berlin, heiratet und gründet eine vielköpfige Familie. Im Herzen und in seinen nun zahlreich entstehenden Theaterstücken zeigt er sich der schwäbischen Provinz weiterhin eng verbunden. Nach anfänglichen Misserfolgen bleibt Essig trotzdem bei seiner Linie. Auch als Walden sein Agent wird, passiert erstmal kaum etwas. Aber durch immer häufige Zensurmaßnahmen rückt Essig verstärkt in den Blick der literarisch interessierten Öffentlichkeit. Der zweimalige Gewinn des Kleist-Preises belegt dies, ohne dass sich Essig mit seinen Werken bereits in sicherem Fahrwasser bewegt.

Als Essig begeistert in den 1. Weltkrieg zieht, werden seine Stücke von Zensur und Publikum äußerst kritisch rezipiert. Schon 1918 stirbt er an einer Lungenentzündung in Berlin. Kurioserweise rechnen die Nationalsozialisten ihn dem Sturm-Kreis zu, verbieten seine Stücke und verbrennen seine Bücher, sodass er wie viele andere Autoren dieser Jahre völlig aus dem literarischen Fokus verschwindet.

Hermann Essig: Der Taifun. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 1997

Lesen Sie nächste Woche über den schillernden Autor Arnolt Bronnen und seinem novellistischen Pendant zu Der Tod in Venedig.