Acht Mal Ankommen – Texte zum internationalen Meet your neighbours-Kulturfestival: Suli Kurban
Auf Betreiben einer Reihe von Münchner Kulturschaffenden werden unter dem Motto Meet your neighbours seit April 2016 einmal im Monat Menschen vorgestellt, die auf der Flucht nach München gekommen sind. Die Reihe ist unter dem Dach des Aktionsbündnisses Wir machen das entstanden. Nun veranstaltet Meet your neighbours ein großes internationales Lese- und Kulturfestival in der Monacensia im Hildebrandhaus – mit Neuankömmlingen in Bayern aus 25 Jahren. Suli Kurban wurde 1988 in Ürümqi, China, geboren. Mit elf Jahren kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland, da diese als Teil der muslimischen Minderheit der Uiguren in ihrer Heimat verfolgt wurden. Bekannt wurde die Autorin und Regisseurin mit Filmen wie Bruchstücke einer deutschen Geschichte (2017) and Draussen bleiben (2007), die während ihres Studiums an Hochschule für Fernsehen und Film in München entstanden. In ihrem Text und im Gespräch mit Denijen Pauljević schilderte sie die Momente, in denen sie kein Angekommensein empfindet.
*
Wann darf ich endlich ankommen?
Ich muss ehrlich sagen, dass ich eigentlich nie von einem Leben in Europa geträumt habe. Vielleicht war ich einfach zu jung. Meine Eltern waren gezwungen und mussten mit uns weg. Zuerst meine Mutter, mein Bruder und ich. Später mein Vater.
Manchen gelingt das Ankommen ganz einfach. Die packen ihren Koffer oder die Taschen aus und sind da. Gehen raus, fallen nicht auf, tauchen unter, in der Masse, manchmal zeigen die sich, wenn sie statt der Muttersprache bisschen Englisch sprechen, damit man als guter Ausländer durchgeht.
Wir? Ja, wir sind aufgefallen. Dunkle Haare, dunkle Augen, asiatische Augen und Gesichtszüge. Eine komplett anders klingende Sprache, undefinierbar. Wenn man uns gefragt hat, waren wir nicht mal in der Lage zu erklären, woher wir kamen. Kaum haben die China gehört, wurden wir als Chinesen bezeichnet. Deswegen habe ich mich irgendwann als Türkin ausgegeben, aber damals wusste ich noch nicht, dass man sich als Türkin auch nicht besonders beliebt macht.
Wenn man mich von außen betrachtet, sagt man mir nach, dass ich ja sehr gut ankomme und „fast“ eine Deutsche geworden bin. Zumindest besitze ich jetzt den deutschen Pass. Im Ausland wurde ich bisher als „Deutsche“ nie hinterfragt. Vielleicht hatte ich einfach Glück. In Deutschland? Je nachdem, ob ich nur Ausländer treffe oder „richtige“ Deutsche und wie stressig eine Woche bei mir ist, werde ich mindestens zwei bis drei Mal die Woche gefragt, woher ich komme. Warum ich so gut Deutsch spreche? Wie ich hier Geld verdiene? Und wie lange ich schon hier lebe? Ob ich einen Schulabschluss habe? Wenn ja, welchen? Warum ich ohne Abitur studieren darf? Ob es ein Ausländerbonus ist? Je nach Situation antworte ich verschieden, manchmal bin ich besonders gut drauf, fühle mich politisch dazu berufen, Aufklärungsarbeit zu betreiben, und erzähle die Geschichte. Flucht, Ankunft, Widrigkeiten und das Leid der Uiguren und meine Rettung in Deutschland. Was gut gelungen ist und wo ich Schwierigkeiten hatte. Man tauscht sich aus. Kriegt viele Komplimente. Bewunderung, wie gut man mittlerweile nach fast 19 Jahren Deutsch spricht.
Und manchmal bin ich trotzig, weil es mich nervt, immer wieder die fast formatierte Ankunftsgeschichte zu erzählen: „1999 sind wir nach Deutschland. Die Uiguren gehören zu einer der Volksminderheiten im Nordwesten von China. Wir dürfen die eigene Sprache nicht sprechen, Religion nicht ausüben, wir Moslems werden als Terroristen gesehen, unterdrückt, deshalb sind meine Eltern mit uns nach Deutschland geflohen. München, weil meine Tante hier lebt. In München lebt die weltweit größte uigurische Minderheit außerhalb bla bla bla bla bla …„
Locationwechsel: Ich bin auf einer Dinnerparty und langweile mich, weil alle nur sitzen und schon stundenlang reden. Nicht mal Musik läuft. Sobald das Tischgespräch noch langweiliger wird, wird der einzige Exot aus der Gruppe angesprochen und präsentiert. Ich? Besonders schlecht drauf, vollgefressen und müde. Vom Tischende stellt jemand eine Frage ganz laut in meine Richtung: „Sag mal, ist Suli dein voller Name? – Ja!“ Wo kommst du her? – aus München. Wie aus München? Hier geboren? – Ja klar, hier geboren, siehst du doch, ein echtes Münchner Kindl. So was gibt es heutzutage nicht mehr so oft.
„Sind Sie in München geboren?“, frage ich zurück. Ein peinliches Nein. Danach kommen noch weitere peinliche stille Minuten, dann folgt meistens ein Kompliment. Bei so einem hübschen „Mädchen“ darf man doch mal fragen, woher die schönen Gene kommen. Ich antworte nochmal trotzig: „Ja, aus Deutschland.“
Acht Mal Ankommen – Texte zum internationalen Meet your neighbours-Kulturfestival: Suli Kurban>
Auf Betreiben einer Reihe von Münchner Kulturschaffenden werden unter dem Motto Meet your neighbours seit April 2016 einmal im Monat Menschen vorgestellt, die auf der Flucht nach München gekommen sind. Die Reihe ist unter dem Dach des Aktionsbündnisses Wir machen das entstanden. Nun veranstaltet Meet your neighbours ein großes internationales Lese- und Kulturfestival in der Monacensia im Hildebrandhaus – mit Neuankömmlingen in Bayern aus 25 Jahren. Suli Kurban wurde 1988 in Ürümqi, China, geboren. Mit elf Jahren kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland, da diese als Teil der muslimischen Minderheit der Uiguren in ihrer Heimat verfolgt wurden. Bekannt wurde die Autorin und Regisseurin mit Filmen wie Bruchstücke einer deutschen Geschichte (2017) and Draussen bleiben (2007), die während ihres Studiums an Hochschule für Fernsehen und Film in München entstanden. In ihrem Text und im Gespräch mit Denijen Pauljević schilderte sie die Momente, in denen sie kein Angekommensein empfindet.
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Wann darf ich endlich ankommen?
Ich muss ehrlich sagen, dass ich eigentlich nie von einem Leben in Europa geträumt habe. Vielleicht war ich einfach zu jung. Meine Eltern waren gezwungen und mussten mit uns weg. Zuerst meine Mutter, mein Bruder und ich. Später mein Vater.
Manchen gelingt das Ankommen ganz einfach. Die packen ihren Koffer oder die Taschen aus und sind da. Gehen raus, fallen nicht auf, tauchen unter, in der Masse, manchmal zeigen die sich, wenn sie statt der Muttersprache bisschen Englisch sprechen, damit man als guter Ausländer durchgeht.
Wir? Ja, wir sind aufgefallen. Dunkle Haare, dunkle Augen, asiatische Augen und Gesichtszüge. Eine komplett anders klingende Sprache, undefinierbar. Wenn man uns gefragt hat, waren wir nicht mal in der Lage zu erklären, woher wir kamen. Kaum haben die China gehört, wurden wir als Chinesen bezeichnet. Deswegen habe ich mich irgendwann als Türkin ausgegeben, aber damals wusste ich noch nicht, dass man sich als Türkin auch nicht besonders beliebt macht.
Wenn man mich von außen betrachtet, sagt man mir nach, dass ich ja sehr gut ankomme und „fast“ eine Deutsche geworden bin. Zumindest besitze ich jetzt den deutschen Pass. Im Ausland wurde ich bisher als „Deutsche“ nie hinterfragt. Vielleicht hatte ich einfach Glück. In Deutschland? Je nachdem, ob ich nur Ausländer treffe oder „richtige“ Deutsche und wie stressig eine Woche bei mir ist, werde ich mindestens zwei bis drei Mal die Woche gefragt, woher ich komme. Warum ich so gut Deutsch spreche? Wie ich hier Geld verdiene? Und wie lange ich schon hier lebe? Ob ich einen Schulabschluss habe? Wenn ja, welchen? Warum ich ohne Abitur studieren darf? Ob es ein Ausländerbonus ist? Je nach Situation antworte ich verschieden, manchmal bin ich besonders gut drauf, fühle mich politisch dazu berufen, Aufklärungsarbeit zu betreiben, und erzähle die Geschichte. Flucht, Ankunft, Widrigkeiten und das Leid der Uiguren und meine Rettung in Deutschland. Was gut gelungen ist und wo ich Schwierigkeiten hatte. Man tauscht sich aus. Kriegt viele Komplimente. Bewunderung, wie gut man mittlerweile nach fast 19 Jahren Deutsch spricht.
Und manchmal bin ich trotzig, weil es mich nervt, immer wieder die fast formatierte Ankunftsgeschichte zu erzählen: „1999 sind wir nach Deutschland. Die Uiguren gehören zu einer der Volksminderheiten im Nordwesten von China. Wir dürfen die eigene Sprache nicht sprechen, Religion nicht ausüben, wir Moslems werden als Terroristen gesehen, unterdrückt, deshalb sind meine Eltern mit uns nach Deutschland geflohen. München, weil meine Tante hier lebt. In München lebt die weltweit größte uigurische Minderheit außerhalb bla bla bla bla bla …„
Locationwechsel: Ich bin auf einer Dinnerparty und langweile mich, weil alle nur sitzen und schon stundenlang reden. Nicht mal Musik läuft. Sobald das Tischgespräch noch langweiliger wird, wird der einzige Exot aus der Gruppe angesprochen und präsentiert. Ich? Besonders schlecht drauf, vollgefressen und müde. Vom Tischende stellt jemand eine Frage ganz laut in meine Richtung: „Sag mal, ist Suli dein voller Name? – Ja!“ Wo kommst du her? – aus München. Wie aus München? Hier geboren? – Ja klar, hier geboren, siehst du doch, ein echtes Münchner Kindl. So was gibt es heutzutage nicht mehr so oft.
„Sind Sie in München geboren?“, frage ich zurück. Ein peinliches Nein. Danach kommen noch weitere peinliche stille Minuten, dann folgt meistens ein Kompliment. Bei so einem hübschen „Mädchen“ darf man doch mal fragen, woher die schönen Gene kommen. Ich antworte nochmal trotzig: „Ja, aus Deutschland.“