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10.11.2013, 11:15 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [276]: Rückkehr zu den Neuerlichen Bamberger Extempore Nr. 5

Hoffmann doesn't live here anymore? Hoffmann wohnt gleich gegenüber. Und Bamberg leuchtete. Bamberg leuchtete noch, als sie die Rose verlassen hatten.

Durch die Tür ging er nicht mehr. Der Kater aber sprang, ihn begrüßend, in einem gewaltigen Sprung auf Hoffmanns Schulter.

Reinhard Klesse hat die Hoffmann-Skulptur gemacht, Robert Bauer-Haderlein die Undine – die Titelfigur der ersten „romantischen Oper“ E. T. A. Hoffmanns. Oben sieht sie noch wie ein „Menschenweib“ aus –

 – unten fließt sie in Wellen dahin: so wie die Musik, die Hoffmann den sagenhaften Wesen, dem Wassermann Kühleborn und der Wassertochter, gewidmet hat. Von hier ist es nicht mehr weit zu Jean Paul: die Vorlage zur Oper – und das Libretto – hatte der Baron de la Motte-Fouqué geliefert. Man kannte sich, zumindest belletristisch, tauschte Briefe aus, versprach auch, sich einmal zu treffen, wozu es nie kommen sollte. Jean Paul schätzte, natürlich, die Undine, die Fouqué bis heute seinen legitimen Platz in der Literaturgeschichte garantiert hat.

Von hier ist es auch nicht mehr weit zu Goethe. Nämlich so: in der Sammlung des Bayreuther Jean-Paul-Museums befindet sich eine Kostbarkeit, die zu einem Bayreuther Brief Jean Pauls an Fouqué und zum in der Sammlung befindlichen Geburtstagsbriefchen Fouqués an Jean Paul hinübergrüßt. Goethe nun, der Jean Pauls Logenbrief niemals beantwortet hat – wie er keinen der heißblütigen Briefe des Dichters beantwortete – notierte, in Karlsbad kurend, am 5. September 1818 ein Gedicht an eine Gräfin Jaraczewska, in dem es um die Rücksendung eines Exemplars der Undine geht:

Da sieht man, wie die Menschen sind:
Nur Leidenschaft und kein Gewissen!
Wie haben sie dem schönen Kind
Das Röckchen halb vom Leib gerissen!
Doch mir begegnete das Glück in später Zeit,
Ein frommer Jüngling wird mich neiden:
Dir, Freundin, dank' ich die Gelegenheit,
Den holden Schatz von Kopf bis Fuß zu kleiden.

Eine mit der deutschen Literatur aufs innigste bekannte polnische Dame vereinigte sich mit mir im Lobe von Fouqués Undine und bemerkte zugleich, dass eine französische Übersetzung das Original keineswegs erreiche, und versprach sie mir zu eigner Überzeugung mitzuteilen. Als ich das Buch erhielt, fand ich es in einem Zustande, der dem Verfasser gewiss geschmeichelt hätte. Die vordere Decke fehlte ganz, die ersten Bogen konnten als gerollt und geknittert kaum gelesen werden; ich schaffte es zum Buchbinder, der es denn völlig wiederherstellte, und so erhielt es die Dame zurück mit jenen eingeschriebenen Zeilen.

Der auf Ordnung bedachte, um Ordnung kämpfende Goethe, auch hierin dem Dichter der Loge denkbar unähnlich, hat diese Zeilen später mit einem erklärenden Kommentar unter der Ordnungsnummer 24 in seinen Inschriften, Denk- und Sende-Blättern. Aufklärende Bemerkungen, Unterabteilung:

Festliche Lebensepochen und
Lichtblicke traulicher Verhältnisse,
vom Dichter gefeiert

noch zu Lebzeiten zum Druck befördert. Erstmals veröffentlicht wurde es 1828 bei Cotta, der seit den Flegeljahren auch Jean Paul im Programm hatte, in Goethe's Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. Im Museum kann man diese kalligraphische Kostbarkeit in unmittelbarer Nähe zu den Fouqué-Briefen und zu einem Exemplar der Unsichtbaren Loge, ja: bewundern.

Was Fouqué liefert, ist gut, meinte Jean Paul im Mai 1816. Der Bayreuther Brief an den unsterblichen Dichter aber lautet folgendermaßen:

Bayreuth, d. 30. Jun. 1810

Ihr treffliches Werk[1] hab' ich erhalten, aber gegen Ihre Vermuthung, wenn nicht gar besser, doch eben so schön als den ersten Theil gefunden, und darüber in der Heidelberger Rezension gesagt: dass hier nicht der jüngere Bruder desselben, sondern der erstgeborne Zwillingsbruder erscheine. Die Rezension sezt meinen Brief fort! Lange, lange hatt' ich eine solche poetische Erquickung nicht.

Den Roman Ihrer Gattin[2], auf welchen mich Varnhagen und meine frohe Erinnerung eines verlebten Abends mit ihr so begierig machen, hab' ich noch nicht bekommen. Cotta hat – wie er schreibt – schon zu viel für seine Kräfte (nämlich der Gesundheit) übernommen, bittet Sie aber, ihm ins Morgenblatt so viel Sie wollen, zu senden. Aber in Nürnberg ist ein neu angehender Buchhändler, Schrag, zugleich reich und brav, welchem Sie mit einem Manuskripte Freude machen würden. Sie können sich, wenn Sie es der Mühe werth finden, auf meinen Wunsch berufen. Ihre Freude über die meinige an Ihrem Sigurd hat mir zugleich wol- und weh-gethan; denn beim Himmel, das Publikum hat Sie noch nicht genug erkannt. Ihre Werke halten – was sonst sogar sehr gute bei mir nicht vermögen – das zweimalige Lesen hinter einander zum Rezensieren, bei mir aus. Gebe der Himmel und Sie, dass mein Wunsch in der Rezension, dass Sie mit dem Zauberstabe Ihres Pinsels aus den hohen Hühnen-Gräbern des nordischen Heroums noch mehrere große Schatten vorrufen und herausnöthigen in unser kleines Tage Licht, von Ihnen erfüllet werde. Vor der Hand weiß ich den zweiten nicht, der den Wunsch erfüllen kann.

Ihr und Ihrer Gattin Freund

Jean Paul Fr. Richter

1.) N.S. Sie sollen nicht übersetzen, sondern übersetzt werden; denken Sie an meinen öffentlichen Wunsch, dass Sie das nordische Heroum[3] emporheben wollen möchten.

2.) N.S. Ich möchte Sie wol gesehen haben; mein Inneres hätte Ihres gefunden und wir wären beide froh gewesen.

Friedrich de la Motte-Fouqué war ein Dichter, der es mit vielen Dichtern aushielt. Mit Hoffmann hat er hervorragend und freundschaftlich zusammengearbeitet, Jean Paul hat er geschätzt. 1815 – vier Jahre nach Erscheinen der Undine, fünf Jahre, nachdem Jean Paul den Bayreuther Brief nach Nennhausen geschickt hatte – malte ein unbekannter Künstler den 38jährigen Baron und Dichter in seiner Husarenuniform.

Es muss auch Jean Paul fasziniert haben: dieses traumhafte Ende der Undine:

--- Da man sich aber wieder erhob, war die weiße Fremde verschwunden; an der Stelle, wo sie gekniet hatte, quoll ein silberhelles Brünnlein aus dem Rasen, das rieselte und rieselte fort, bis es den Grabhügel des Ritters fast ganz umzogen hatte; dann rannte es fürder und ergoß sich in einen stillen Weiher, der zur Seite des Gottesackers lag. Noch in späten Zeiten sollen die Bewohner des Dorfes die Quelle gezeigt und fest die Meinung gehegt haben, dies sei die arme, verstoßene Undine, die auf diese Art noch immer mit freundlichen Armen ihren Liebling umfasse.

Der Komponist Hoffmann hat es in seiner „Zauber-Oper“ in zauberhafte Töne getaucht. Er lebt auch in seiner Musik – so wie Fouqué in Hoffmanns Oper überlebt hat, die Jean Paul nie gesehen hat, weil er nach seiner Berliner Zeit nie mehr an die Spree zurückkehrte, wo der Kammergerichtsrat Hoffmann inzwischen lebte, und wo sie ungeheuren Erfolg hatte.

Fotos: Frank Piontek, 26./27.10. 2013

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[1] Fouqué hatte Jean Paul seine Trilogie Der Held des Nordens übersandt und die Befürchtung geäußert, dass der zweite Teil (Sigurds Rache) Jean Paul zu hart erscheinen würde.

[2] Fouqué hatte angekündigt, dass der Verleger Hitzig dem Dichter einen Roman von Caroline Fouqué (vielleicht Frau des Falkensteins) zuschicken würde.

[3] Ein Altar, der einem oder mehreren Helden geweiht ist.