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15.02.2024, 12:00 Uhr
Thomas Lang
Gespräche

Interview mit dem Lyriker und Religionswissenschaftler Nevfel Cumart anlässlich der Eröffnung des Bamberger Literaturfestivals 2024

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Nevfel Cumart (c) privat

Im Anschluss an die Veranstaltung Jüdisches Bamberg – Stimmen aus den Jahrhunderten, über die das Literaturportal berichtete, führte die Redaktion Gespräche mit den Beteiligten dieser Lesung. Nevfel Cumart spricht über die Notwendigkeit eines Austausches zwischen den Religionsgruppen, eigene Ausgrenzungserfahrungen sowie die politische Dimension seiner Gedichte. Nach einem Studium der Turkologie, Arabistik, Iranistik und Islamwissenschaft lebt Cumart seit 1992 freiberuflich als Schriftsteller, Referent, Übersetzer und Journalist in Bamberg. Er hat bis dato 20 Lyrikbände veröffentlicht.

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LITERATURPORTAL BAYERN: Nevfel, Du bist aufgewachsen im norddeutschen Stade in den 1970er-Jahren. Seit Jahrzehnten lebst Du nun in Bamberg. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

NEVFEL CUMART: Ich wollte gerne die orientalistischen Fächer studieren und habe mich erkundigt, an welchen Universitäten das sehr gut angeboten wird. Das waren damals sechs Unis, deren Angebote mir gefielen, darunter auch Bamberg. Und weil ich mich auf mein Studium konzentrieren wollte und es damals nicht so viel Ablenkung hier gab, habe ich mich 1986 gegen Köln oder Berlin und für Bamberg entschieden. Nach dem Studium bin ich hier als Freiberufler hängengeblieben …

LPB: Du schreibst vorwiegend Gedichte, bist aber auch als Essayist und als Journalist tätig. Reagiert deine Lyrik auf Tagespolitik, auf Tagesgeschehen?

CUMART: Ich habe mittlerweile 20 Gedichtbände veröffentlicht und ich bin der Auffassung, dass ein ordentlicher Dichter oder eine ordentliche Dichterin kein Thema aussparen sollte. Alles, was in der Welt geschieht, ist für mich ein Thema. Ich habe von Anfang an auch viele politische oder gesellschaftskritische Gedichte geschrieben, es waren aber niemals Schnellschüsse. Denn bei mir braucht es immer recht lange, bis ein Gedicht fertig ist. Diese Texte sollen aus meiner Sicht gut sein und Bestand haben. Man soll sie auch zehn Jahre später noch lesen können. Wenn ich etwa Gedichte über den Arabischen Frühling schreibe, dann kann man die zehn Jahre später auch noch lesen, weil ich darin grundsätzliche Mechanismen der Unterdrückung und des Aufbegehrens beschreibe, die in zehn Jahren noch die gleichen sind.

LPB: Du schätzt die Distanz und den weiten Blick …

CUMART: Ich lasse meine Texte reifen und gehe sehr bedächtig heran. Es drängt mich auch niemand. Ich war nie darauf erpicht, ein sehr erfolgreicher Dichter zu sein und möglichst viele Bücher zu veröffentlichen. Das alles hat sich von selbst so ergeben.

LPB: Kommen wir auf das gegenwärtige Leben in Bamberg zurück. Was beobachtest Du: Gibt es einen Austausch, eine Verbindung zwischen muslimischen und jüdischen Gruppen oder Menschen in Bamberg? Oder gibt es Spannungen?

CUMART: Bamberg ist recht klein und überschaubar. Hier spielen andere Mechanismen eine Rolle als in Berlin, Köln oder Dortmund, zumal wir in Relation zur Einwohnerzahl nicht so viele Menschen mit Migrationshintergrund haben wie in diesen Großstädten. Hier geht es eher ruhig und gemächlich zu. Spannungen zwischen der muslimischen Community und der jüdischen Community sind hier nicht evident. Aber ich erlebe diese Spannungen immer wieder außerhalb Bambergs als Islamwissenschaftler und Referent.

Ich bin zwar zum einen Lyriker und mache Lesungen oder leite kreative Schreibwerkstätten, oft auch an Schulen. Zum anderen führe ich aber noch ein Leben als Referent und als Vortragsreisender. Ich leite außerdem Seminare zu verschiedenen Themenbereichen, darunter die Türkei, die Migration und der Islam. Mittlerweile habe ich über 20 islamkundliche Themen im Repertoire, die sich im Laufe von 35 Jahren Referententätigkeit angesammelt haben. Zurzeit ist das Thema Islam wieder sehr aktuell wegen des Gaza-Krieges. Leider! Für mich ist diese Nachfrage – so traurig es auch klingen mag – nichts Neues. Und auch nicht die derzeitige aufgebrachte Stimmung. Ich erlebe solche „schlimmen Phasen“ immer wieder, ob nun nach den schrecklichen Flugzeuganschlägen in New York war, den Mohammed-Karikaturen oder den Koran-Verbrennungen oder was nicht alles. Es kommt leider immer etwas Neues, das schlimm ist und tragisch.

Manchmal macht mich das sehr traurig. Ich fühle mich erschöpft und mutlos. Und ich habe das Gefühl, dass mit einem einzigen Anschlag oder mit einem einzigen Ereignis 20 Jahre interreligiöse Arbeit, also 20 Jahre christlich-islamischer Dialog, kaputtgemacht werden kann. Wenn man sieht, wie schnell die ganzen Ressentiments und Vorurteile wieder hochkommen und lautstark artikuliert werden, das frustriert mich manchmal immens.

LPB: Gibt es auch Austausch zwischen den drei Religionen, der islamischen, der jüdischen und der christlichen?

CUMART: Hier in Bamberg haben wir das nicht explizit. Aber ich habe schon oft an Veranstaltungen in ganz Deutschland mitgewirkt in solchen Zusammenhängen, wo man um die abrahamitischen Religionen herum Veranstaltungsreihen aufgebaut hatte. Ich habe auch oft an Schulen Veranstaltungen durchgeführt, bei denen es um den Trialog der monotheistischen Religionen ging. Aber hier in Bamberg haben wir solche Veranstaltungen eher selten. Ich war vor drei, vier Monaten in der jüdischen Gemeinde und habe einen Vortrag über islamische Mystik gehalten. Privat habe ich einen engen Kontakt zur jüdischen Gemeinde, nicht nur als Referent, sondern ich bin manchmal dort zu Veranstaltungen oder anderen Anlässen. Auf offizieller Ebene gibt es dagegen keinen Dialog, etwa der islamischen DITIB-Gemeinde und der jüdischen Gemeinde in Bamberg.

(c) Literaturportal Bayern. Von links: Nevfel Cumart, Antje Yael Deusel und Tanja Kinkel

LPB: Bei dem schweren Erdbeben in der Türkei und in Syrien vom Februar 2023 hast Du Familie und Freunde verloren. Insgesamt sind sehr viele Menschen ums Leben gekommen oder obdachlos geworden. Für sie sammelst du Spenden. Hast Du das Gefühl, dass die mediale Aufmerksamkeit dafür zu schnell nachgelassen hat?

CUMART: Das ist wirklich ein Trauerspiel. Ich habe sogar einmal ein zeitloses Gedicht geschrieben über das Kurzzeitgedächtnis in den Medien. Um das mal klipp und klar zu sagen: Nach knapp drei Wochen wurde nichts mehr über die ganze Tragödie im Südosten der Türkei berichtet. Aber das Leid der Menschen ist natürlich nach drei Wochen nicht weg. Im Gegenteil. Ich habe insgesamt 14 Verwandte verloren bei diesem schrecklichen Erdbeben. Auch aus dieser eigenen Betroffenheit heraus habe ich eine private Nothilfe ins Leben gerufen. Bis heute bekommt meine Nothilfe gelegentlich von Freunden und Bekannten etwas Geld. Vor vier Wochen haben wir einen Wohncontainer gekauft, in dem zwei Familien unterkommen können. Die Medien galoppieren dahin und widmen sich ständig neuen Themen. Es ist sehr schwierig, Katastrophen wie dieses Erdbeben und das Leid der Menschen wieder ins Gedächtnis zu rufen.

LPB: Wenn Du Dir unsere Gesellschaft heute anschaust, sagen wir: die Bamberger Gesellschaft, die deutsche, die europäische Gesellschaft – was wäre dein Wunsch in Anbetracht der aktuellen Lage?

CUMART: Ich glaube, dass ein Dialog mehr denn je vonnöten ist, nicht nur auf der großen politischen Bühne, im europäischen oder weltpolitischen Rahmen. Ich meine das auch im kleinen Rahmen. Ich selbst bin Zeit meines Lebens mehr oder weniger diskriminiert und marginalisiert, im privaten Bereich auch ziemlich schikaniert worden, weil ich Ausländer bin. Das hat mein Leben und meine Haltung gegenüber Menschen sehr stark geprägt. Ich wollte nie so sein wie die Menschen, unter denen ich gelitten habe. Sondern wollte genau das Gegenteil dieser Erfahrung leben. Ich wollte nie irgendeinen Menschen ausgrenzen, ich war immer offen für andere Menschen und habe immer dafür plädiert, aufeinander zuzugehen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Jemanden von vornherein zurückzuweisen, das kommt für mich nicht in Frage, eben weil ich selber sehr darunter gelitten habe, pauschal abgelehnt zu werden, nur weil ich ein Türke bin.

Seit 14 Jahren bin ich alleinerziehender Vater, und meine Tochter durfte und darf jeden und jede mit nach Hause bringen. Wir haben immer eine offene Wohnung gehabt. An manchen Tagen „belagerten“ sechs, sieben ausländische Jugendliche unser Wohnzimmer und waren froh, dass sie als gemischte Gruppe von Mädchen und Jungs ein Rückzugsort hatten. Ich mochte nicht unbedingt alle Kids, die meine Tochter mitgebracht hat, aber das gehört eben dazu.

So wie im familiären und privaten Umfeld ist mein Credo im großen gesellschaftlichen Rahmen: Lass uns ins Gespräch kommen, lass uns aufeinander zugehen. Dann wird man merken, dass das, was einem fremd erscheint, im Grunde genommen gar nicht so fremd ist.

Wir wissen viel zu wenig voneinander. In Deutschland herrscht leider nach wie vor wenig Wissen und Kenntnis über den Islam. Aber jeder hat eine Meinung zum Thema; es gibt viele Vorurteile. Ich sage es mal ganz deutlich: Es ist nicht einfach, hier in Deutschland als Islamreferent unterwegs zu sein. Und wenn man sich wie um Sachlichkeit und Informationsvermittlung, um Ausgewogenheit bemüht, hat man erst recht Schwierigkeiten.

Ich bin gewohnt, von beiden Seiten „Schläge“ zu kriegen – von den Muslimen, denen ich den Islam nicht positiv genug darstelle, von den Katholiken, die ihre Ängste bei mir loswerden wollen und ihre Vorurteile. Gelegentlich habe ich das Gefühl, am Pranger zu stehen. Um es mal drastisch zu formulieren: An manchen Abenden reicht mein Honorar angesichts der persönlichen Angriffe auf mich als Schmerzensgeld nicht aus. Ich tröste mich innerlich auf ironische Weise damit, dass man bei den Verspätungen der Bahn auch nicht beim Vorstandsvorsitzenden nörgelt, sondern beim anwesenden Schaffner. Aber diese Ressentiments und Klischees halten mich nicht davon ab, mit meinen Veranstaltungen weiterhin für Dialog und Toleranz zu werben.

LPB: Vielen Dank für das Gespräch!