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21.04.2022, 11:56 Uhr
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Interview mit Heike Geißler zu ihrem Roman „Die Woche“

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Der neue Roman Die Woche von Heike Geißler schildert eine ungewöhnliche Woche in Leipzig, in der alte Sicherheiten verloren gehen und neue Formen des Sprechens und Handelns erprobt werden – in Übertreibung, Abschweifung, Torheit und Spiel. Radikal subjektiv und hochpolitisch ist er ein luzider Kommentar auf unsere Gegenwart. Heike Geißler stellt ihren Roman, der für den Preis der Leipziger Buchmesse 2022 nominiert ist, morgen am 22. April im Literaturhaus München vor. Thomas Lang hat mit ihr über das Buch gesprochen.

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THOMAS LANG: Liebe Heike, Dein Roman Die Woche erzählt davon, dass etwas eigentlich ganz schön viel in Unordnung geraten ist. Die immer wiederkehrenden Montage sind dafür nur das deutlichste Beispiel. Deine Hauptfigur und ihr Alter Ego Constanze bewegen sich manchmal schmerz- und manchmal lustvoll durch ein Gewirr von Ereignissen und Diskursen. Wie trifft das unsere Gegenwart?

HEIKE GEISSLER: Der Versuch dieses Romas ist einerseits, in der Gegenwart stattzufinden und zugleich die nähere Gegenwart – es sind ja etwa sieben Jahre an sozusagen dringender Gegenwart, die in dieses Buch eingeflossen sind plus Episoden aus einer etwas ferneren Gegenwart oder schon Vergangenheit – wiederum in die textliche Gegenwart zu holen. Da sind zum Beispiel diese schrecklichen Pegida-Proteste, die schon vergangen und hoffentlich überwunden sind. Meine Sorge war, ob das noch wen juckt. Ich habe dann aber festgestellt, dass in dem Text viel Allgemeines steckt, wie das allgemein Kriegerische, das allgemein Hierarchische, das allgemein auch irgendwie Böse, also Mensch gegen Mensch. Nicht die richtigen Argumentationslinien zu suchen, sondern immer in Richtung der Schwächeren zu gehen, das ist leider ein Klassiker. Folglich besteht keine Gefahr, dass das Buch an der Gegenwart vorbeigeht. Der Krieg ist drin, meine alte Kriegsangst, die Kriegsangst meiner Mutter, die Angst vor einem Krieg in der näheren Zukunft. Es hat mich tatsächlich sehr verstört, als das Buch erschien und ich mitbekam, welche, ich will nicht sagen Deckungsgleichheit, aber Hyperaktualität das hat. Es berührte mich am Anfang fast unangenehm, es war mir sogar peinlich, und ich musste mein Gefühl dann näher anschauen. Ich stellte fest, es handelte sich eher um einen Schock oder um Trauer. Es war ein Gefühl des Abschieds auch von einer Form der Gegenwart, die eben noch dagewesen zu sein schien, die etwas weniger fragil war als die jetzige.

Du wolltest keine Prophetin sein?

Es wird ja oft gesagt, dass Künstler Propheten sind, so kassandramäßig. Das gab es beim Ersten Weltkrieg schon, dass man im Nachhinein in den davor gemalten Bildern die Kassandrarufe ausmachen konnte, die Vorzeichen des Krieges. Aber ich halte das für Quatsch. Möglicherweise haben wir Künstler etwas mehr Zeit oder ein anderes, spezifischeres Sensorium zur Betrachtung von Gesprächen. Aber jeder und jede kann sehen, was los ist. Kriege zu erahnen, erfordert keine besonders hohe Sensibilität oder so. Sie liegen in der Luft, oder wir Menschen sind, wie wir Menschen sind. Ich fände es schrecklich, prophetisch zu sein, lieber nicht. Es reicht, was irgendjemand mit dem kleinen Heimwerkerbaukasten der Zukunftsforschung herausfindet. Größere Zusammenhänge zu erahnen, ist dann den Historikern überlassen, die das Werkzeug haben, die wissen, wie man aus Schwierigkeiten auch wieder rauskommt, wie man etwa Friedensverträge schließt.

Du verzichtest darauf, einen herkömmlichen Erzählbogen zu spannen. Eigentlich findet die Geschichte gar nicht mehr in eine Fabel hinein. Deine Figuren sind als „proletarische Prinzessinnen“ fiktionalisiert, ich empfinde sie aber als authentisch in einem Maß, als wären sie direkt dem Alltag entnommen und in einen Roman versetzt. Auf der anderen Seite gibt es Figuren wie den personifizierten Tod, eine Allegorie, die an den Barock rührt. Wieso erzählst Du auf diese Weise?

Weil es anders nicht ging. Ich glaube, jeder Text hat seine Bedürfnisse oder das, was du eben „Fabel“ nennst, das, was sich in diesem Fall mit inneren Prozessen des Lernens oder auch konstruktiven Verlernens beschäftigt. Jede Fabel braucht ihre eigene Methode, und in dem Fall war es dann diese. Ich musste sehr vorsichtig sein, um nicht meinem eigenen Schreiben in die Falle zu gehen. Bestimmte Narrative laufen automatisch ab oder haben logische Konsequenzen, die haben wir alle eingeübt. Das Schreiben ist eine gute Gelegenheit, dies zu überprüfen. Ich merkte, ich brauche Figuren auch als Widersacher, um dem starken inneren Sog oder dem Bedürfnis, nicht so genau zu sein, etwas entgegenzusetzen. Das Buch geht partiell auch mir an die Wäsche. Es ist mir als Autorin gegenüber durchaus vorwurfsvoll; ich sehe mich da nicht in dem besten Licht. Es gibt Vorwürfe wie großer Opportunismus, zu viel Scham, zu viel Unsicherheit, die vollkommen unreflektiert vorhanden ist. Gut, das Recht der Unsicherheit. Aber in so einem Buch kann man das alles auch feststellen. Außerdem brauchte ich immer wieder Momente, die konstruktiver sind und mit denen ich leicht den Schauplatz wechseln kann, mit denen ich zuletzt auch durch die Inkonsequenz einiger Jahre springen kann. Das sorgt zum Teil für fragmentarische Elemente in dem Text, es sorgt für chorische Elemente, es sorgt vor allem für unterschiedliche Figuren, die dann noch mal auf meiner Seite als Schreibende unterschiedliche Bedürfnisse an den Text zum Ausdruck bringen. Wobei die Figuren einfach so gekommen sind, also die habe ich nicht gemacht, sondern die waren da. Ich wollte sie teilweise gar nicht so dahaben, sondern lieber andere, aber das waren dann die, die gekommen sind.

Es gibt unglaublich schöne Beschreibungen von Situationen, Gedanken, Gefühlen in Deinem Buch. Wir „spannen ... die Herzen weit wie Tiefgaragen“, schreibst Du etwa an einer Stelle. Dann wieder hat man den Eindruck, Deine Erzählerin ist überwältigt von der Realität und weiß sich mit Worten kaum zu erwehren. Oft spielst Du mit Redewendungen, überprüfst die Wirklichkeit, die diese erzeugen wollen. Was kann Sprache heute ausrichten, ist sie in der Lage, die Welt zu beeinflussen?

Ja, natürlich. Wir sehen es an Wörtern wie vielleicht den aktuellsten – einmal die „Spezialoperation“ oder in Deutschland das Wort „Sondervermögen“, was ja Schulden meint. Was für ein verrücktes und auch faszinierendes Wort. Also ich glaube sehr daran, dass Sprache etwas verändern kann, und in der Regel nicht unbedingt zum Positiven. Wir alle sind doch überwältigt von schlechter Sprache, von Sprache, die nur Geld von uns möchte, Produkte verkaufen zum Beispiel. Beim Schreiben stelle ich dann fest, ich weiß ganz viel über Sprache nicht. Ich habe eine große Vergesslichkeit, und ich glaube, sie ist ganz in Ordnung. Sie hilft mir zudem, denn sie verunsichert mich, und das bedeutet, eigentlich traue ich keinem Satz, den ich schreibe. Ich weiß nicht, ist der richtig, also ist der in jedweder Hinsicht richtig, stimmt die Syntax, stimmt irgendwas an den Ideen, stimmt überhaupt das, was da steht. Also das ist total wacklig. Und ich habe im Kontext des Buches auch geübt, mit dieser Wackligkeit voranzukommen. Es ist für mich eine grundsätzliche Wackligkeit, die mich auch als Mensch betrifft, und jetzt kann ich wacklig gehen. Ich kann aus dem Misstrauen der Sprache gegenüber etwas machen, das beispielsweise, im Fall des Buches, eine Zirkusnummer ist oder ein Kurs. Ich versuchte herauszufinden, was ist denn da, was trägt, was hält, und was ist aber wirklich auch gefährlich kaputt, nur wir merken es nicht. Denn man kann es so leicht sagen und kann es deshalb auch so leicht machen. Das war der Prozess, den ich beim Schreiben durchlaufen bin: aus der großen Wackelei eine irgendwie interessante Tanzeinlage zu machen.

Die Tanzeinlage klingt so nach lustvoller Unterhaltung, aber ich glaube, das Anliegen geht doch ein bisschen weiter oder?

Ich finde, dass Spaß total wichtig ist. Albernheit, oder, das gehört ja genau zusammen, dass man unter größter Anspannung eben auch die absurdesten Ideen entwickelt und verzweifelte Witze auch. Aber so ein sprunghaftes Der-Situation-Entweichen, das kann genau die glückhafte Bewegung sein, die einen etwas neu sehen lässt, die einen etwas finden lässt. Ich würde jetzt mal vermuten, dass Die Woche nicht das allerfröhlichste Buch ist, das die Menschheit je gesehen hat, aber ich habe Spaß daran gehabt, es zu schreiben. So ähnlich ist es mit der Genauigkeit. Wenn ich treffe, was ich meine, macht das ja auch Spaß. Es ist vielleicht eine etwas professionalisierte Form des Spaßes, wenn man sich einfach freut zu finden, was man schreiben möchte, was gemeint ist. Zudem gibt es da Elemente, die für mich originär noch teilweise aus dem Zirkus kommen. Der Text hat vielleicht nicht die klarsten Bezüge zum Zirkus, aber für mich kommt er auch daher.

Kannst Du über die politische Dimension des Romans sprechen? Die Montage sind schließlich auch Tage der so genannten Montagsdemonstrationen. Die Stadt Leipzig, von der Dein Roman handelt, scheint geradezu aufgeheizt mit dem Verlangen nach deutlichen Stellungnahmen. Kommt das einfach aus der Welt, die Dich umgibt, oder ist das Politische auch eine Stoßrichtung oder ein Programm bei Dir?

Ursprünglich hieß der Text ja „Präzise Torheit“, und es war lange mein Wunsch, dass das Buch so heißen sollte. Irgendwann war mir klar, das ist nicht, worum es geht. Präzise Torheiten wären sie für mich eine Art Programm, also in einem nächsten Buch da hätte ich Lust, präzise Torheiten zu zeigen, zu schreiben. Bei Die Woche ging es mir letztendlich auch darum, Du hattest es vorhin bei diesem Ringen um Sprache angesprochen, es geht in dem Text auch um Sprachverlust, gegen den immer wieder angeschrieben wird, und zwischendrin alles, was in diesen Jahren passiert ist, also Trump, Brexit, Pipapo. Da ist ja nicht nur stadtgeschichtlich einiges passiert, sondern global. Das hat mich dermaßen schockiert, dass mir wirklich die Worte fehlten. Der Text ist also ein Versuch, Sprache wieder zu erringen, und bedient sich deshalb nicht von ungefähr auch des Märchens, eines Teils der Ursuppe unserer Narrationen. Und das Politische, also mich frappiert es fast, wenn man es „politisch“ nennt, das ist alles, was ringsum ist. Es ist, was Teil der geschriebenen Gegenwart war oder meiner Welt eben, die mich beim Schreiben umgab. Und das betrachte ich erstmal auch als Störfaktor. Es ist eine Art Notwendigkeit, das mit aufzunehmen, weil ich es nicht ausblenden kann, quasi der Stapel Arbeit, der mit auf dem Tisch liegt. Ich habe nicht wirklich eine Agenda beim politischen Schreiben, es ist eher der Versuch, die Störungen einzuhegen, auch zu begreifen, denn ich kann sie nicht ausblenden. Ausblenden gelingt mir nicht gut oder in dem Fall nicht gut, und ich sage: ok, ich kann Dich nicht ausblenden, also komm in meinen Text. Das ist eine Arbeitsweise, auf die Art sehe ich es vielleicht ein bisschen klarer oder kann es eben auch degradieren. Partiell geht das ja, manche Sachen kann man auf dem Papier wenigstens verkleinern oder sich darüber kurz einmal lustig machen.

Ich danke Dir für das Gespräch.