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01.11.2018, 10:55 Uhr
Katharina Adler
Gespräche
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Freuds berühmteste Patientin: Katharina Adler im Gespräch über ihren Roman „Ida“

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© Christoph Adler

Auf der Buchmesse, am Rande des Rowohlt-Standes, steht Katharina Adler und begrüßt links und rechts Freund*innen und Kolleg*innen. Die 35-Jährige ist mit ihrem zurecht vielgepriesenen Debütroman das erste Mal auf der Buchmesse in Frankfurt. „Ida" erzählt von ihrer Urgroßmutter Ida Adler, die als Patientin von Sigmund Freud bekannt wurde. Der Roman wurde mit dem Literaturstipendium des Freistaats Bayern gefördert und bereits für etliche Preise nominiert. In Frankfurt wirkt Katharina Adler, die aus München stammt, aufgeregt und gut gelaunt. Der kantige schwarze Blazer mit den goldenen Admiralsknöpfen und der Kurzhaarschnitt verleihen ihr auf den ersten Blick einen strengen Ausdruck. Aber der verfliegt, sobald sie lacht und sich im Gespräch gespannt vorbeugt. Ihr Fuß wippt die ganze Zeit mit.

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Laura Worsch: Sie porträtieren in Ida Ihre eigene Urgroßmutter Ida Adler, deren Geschichte durch Freuds Hysterie-Analyse als „Fall Dora“ bekannt wurde. Im Roman wirkt Ida öfters unsensibel, vor allem im Umgang mit ihrem persönlichen Umfeld. Finden Sie Ihre Urgroßmutter nach all den Recherchen jetzt sympathischer oder eher unsympathischer?

Katharina Adler: Anfangs war sie für mich eigentlich einfach nur sehr abstrakt. Ich habe sie mir erschrieben, und dabei ist sie mir immer sympathischer geworden. Wenn sie unsympathisch wirkt, finde ich das auch erst einmal nicht schlimm, denn das ist bei ihr eine Form von Stärke. Das macht sie zu einem interessanten Charakter.

 

Was hat Ihnen dabei geholfen, Ida als Charakter zu fassen?

Zum einen habe ich in einem Text von Felix Deutsch (Psychoanalytiker und zeitweise Hausarzt von Freud; Anm. d. Red.) gelesen, ihm habe ein anonymer Informant erzählt, Ida sei eine der schlimmsten Hysterikerinnen gewesen, die er je kennengelernt habe. Alle wären froh gewesen, als sie gestorben sei. Zum anderen lautete eine Aussage Martin Magners (deutsch-amerikanischer Theater-, Radio- und Fernsehregisseur; Anm. d. Red.), der ja auch am Anfang des Romans vorkommt, dass Ida einen scharfen Verstand gehabt habe und einen unglaublich guten Humor. Er könne aber nicht sagen, wie viel Herz sie hatte. Diese Gegensätzlichkeiten, auch die negativen Beschreibungen haben mich interessiert. Denen wollte ich aber auch auf jeden Fall etwas entgegensetzen.

 

Sie haben auch vor Ida regelmäßig geschrieben. Nach dem Studium der Literaturwissenschaft in München haben Sie am Leipziger Literaturinstitut studiert und Drehbücher und Theaterstücke geschrieben. Hat der persönliche Hintergrund von Ida Ihnen das Schreiben leichter oder schwerer gemacht?

Es ist mir wahrscheinlich einfacher gefallen, Dinge zu erkennen, die erzählenswert sind. Bestimmte Aspekte meiner Familie, wie die Liebe zum Theater und der Musik oder auf der Gefühlsebene die Strenge und der Humor, waren wie Leitfäden. Aber sonst habe ich die Geschichte wie jeden anderen Stoff behandelt. Ich habe auch nur Materialien genutzt, die öffentlich zugänglich sind.

 

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diese Geschichte Ihrer eigenen Familie zu erzählen?

Ich war 16 Jahre alt, als ich vom Fall Dora und der Vergangenheit meiner Urgroßmutter erfahren habe. Das fand ich interessant, es hat aber dann noch bis zu meinem Studium gedauert, bis ich angefangen habe, die Fachliteratur darüber zu lesen, erst einmal aus eigenem Interesse. Vor etwa zehn Jahren ist daraus die Idee gereift, dass meine Urgroßmutter eine Romanfigur sein könnte. In den meisten Schriften über sie ging es nur um ihre Zeit bei Freud. Ich wollte mit dem Roman weit über diese Behandlungsgeschichte hinaus erzählen.

 

Wie hat Ihre Familie das Buch aufgenommen?

Meine Familie hat insgesamt positiv reagiert. Ida ist auch bereits 1945 verstorben, und die Fakten über „Dora“ und ihre Behandlung waren bekannt. Viel mehr allerdings nicht. Deshalb haben sich auch alle gefreut, weil das Buch in gewissem Sinne eine Wissenslücke geschlossen hat. Allerdings kann ich nicht sagen, wie Kurt es gefunden hätte, Idas Sohn, mein Großvater.

 

Was hätte da denn zu Kontroversen führen können?

Er hat kaum über seine Mutter gesprochen. Wenn es Anfragen zu ihrer Kur bei Freud gab, wollte er strikt nicht darüber sprechen. Eine weitere Überraschung während der Recherchen war das Thema der Flucht von Ida und Kurt in die Vereinigten Staaten. Das war dramatisch, aber darüber wurde in der Familie auch nicht geredet. Diesen Teil habe ich in den Archiven rekonstruiert. Das Schweigen ist aber auch irgendwo verständlich – damals wollte man sich eine neue Existenz in Amerika aufbauen. Für die Vergangenheit war keine Zeit.

 

Sie haben mit dem Roman auch einen feministischen Nerv der Zeit getroffen. Mithilfe von #MeToo verschaffen sich Frauen, die wie Ida sexuelle Belästigung erfahren haben, Gehör. Würde man ihr heute glauben?

Dazu muss ich sagen, dass das Manuskript schon mehr oder weniger fertig war, als das Thema hochkam. Aber für mich war es schon längst da, denn ich habe den Roman klar aus einer feministischen Perspektive durchdacht, auch in dem Sinne, wie Freud mit seiner Patientin umgeht. Insofern hat #MeToo einem Phänomen einen Namen gegeben, das so schon Jahrhunderte alt ist. Es ist wichtig, dass die Thematik damit noch sichtbarer und greifbarer wird. Und ich hoffe doch sehr, dass man Ida gerade heute Glauben schenken würde.

 

Letztlich hat Freud die Behandlungsprotokolle ja auch ohne Idas Einverständnis veröffentlicht.

Ja, er hat sich ihre Geschichte ohne zu fragen angeeignet. Wenn man gewollt hätte, hätte man auch alle Figuren aus dem Wiener Umfeld identifizieren können. Aber zu der Zeit gab es noch gar nicht das Bewusstsein, geschweige denn die Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Als Ida die Kur abgebrochen hat, war Freud gekränkt. Er hat beinahe sofort den Entschluss gefasst, das konstruktiv zu verarbeiten. Aus einem Rückschlag sofort zu lernen, ihn für sich zu nutzen, das wiederum ist an Freud beeindruckend.

 

Würden Sie sagen, er war ein Genie?

Ich bringe dem Genie-Begriff eine grundsätzliche Skepsis entgegen. Deshalb würde ich sagen, Freud war sicherlich ein Pionier und wegweisend für die Psychoanalyse. Allerdings mehr in der Theorie als in der Praxis. Er war oft geradezu berauscht von seinen Theorien, und bei Ida war das auf jeden Fall ein Fehler gegenüber diesem jungen Mädchen. Man muss aber auch beachten, dass Idas Kur zu einem Zeitpunkt stattfand, als seine Konzepte und Methoden noch längst nicht ausgereift waren. Als Ida in die Psychoanalyse geht, befinden sich Freuds Theorien und Analysetechniken noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium.

 

Waren Sie manchmal versucht, Freud in dem Roman mehr Raum zu geben?

Nein, gar nicht. Ich wollte ganz klar Idas Geschichte erzählen, nicht seine. Aber ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, wie viel Raum er auch Jahre später noch im Denken meiner Figur einnahm.

 

Ida wuchs – in Österreich – in einer Zeit auf, deren politische Stimmung immer öfter mit unserer Gegenwart verglichen wird.

Auch hier holt die Zeit vielleicht den Roman wieder ein, wobei ich mit diesem Vergleich schon auch vorsichtig umgehen würde. Ich wollte von 1918 als einer Zeit der verschiedenen Ideologien, der verschiedenen Visionen erzählen. Die Monarchie, der Kommunismus und die Demokratie lagen nach dem Untergang des Kaiserreichs im Widerstreit miteinander. Idas Bruder verkörperte letzteres Lager: Er war Sozialdemokrat. Das war damals eine Utopie, die nun Realität werden sollte. Leider nicht für lange Zeit.

 

Als 1918 in Österreich eine freie Republik ausgerufen wird, will Ida mit Sohn Kurt zu der Veranstaltung gehen. Ihr Ehemann Ernst sagt an dieser Stelle, die Demokratie habe doch sowieso keine Zukunft.

Ja, Ernst Adler zeige ich als Monarchisten. Man muss hier beachten, dass die Demokratie zu diesem Zeitpunkt erst eingeführt wurde. Es war kein erprobtes System wie heute. Doch es gibt auch dieser Tage Menschen, die das infrage stellen. Das ist äußerst bedenklich. Der Grundkonsens muss immer die Demokratie sein und ein Rechtsstaat, in dem Meinungsfreiheit gilt.

 

Interview: Laura Worsch