Info
Geb.: 30. 8.1834 in Sigishofen
Gest.: 1. 3.1887 in Maria-Rain
Aegidius Kolb, Ewald Kohler (Hg.): Das Landvolk des Allgäus in seinem Thun und Treiben von Joseph Schelbert 1834-1887. Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten 1983 (Cover)
Wirkungsorte:
Fischen
Ofterschwang
Immenstadt
Nesselwang
Lengenwang
Schöllang
Altusried

Joseph Schelbert

Während der Lebenszeit des Pfarrers und Politikers Joseph Schelbert (1834-1887) kommt es in seiner Allgäuer Heimat zu tiefgreifenden wirtschaftlichen und politischen Veränderungen. Anfang des 19. Jahrhunderts wird der Flachsanbau und die Leinenweberei, womit sich die bäuerliche Bevölkerung im Allgäu bis dahin ein Zubrot verdient hatte, durch die Einfuhr von Baumwolle unrentabel. Große wirtschaftliche Not ist die Folge, die erst durch den Über­gang zur Milchwirtschaft und die Herstellung von haltbaren Käsesorten gelindert werden kann. Aus dem blauen Allgäu wird allmählich das grüne Allgäu. Neben Carl Hirnbein und Peter Althaus gehören auch Joseph Schelberts Großvater und Vater, aus Muotathal in der Schweiz stammend, zu den Pionieren der Käseherstellung. 1817 gründet der Vater Franz Joseph Schelbert die erste Schweizer­käserei in Immenstadt. Er zieht nach Sigishofen (heute Gemeinde Ofterschwang) und gründet eine Familie. Joseph Schelbert, das zweite von fünf Kindern, ist erst sieben Jahre alt, als sein Vater 1841 stirbt. Drei Jahre nach dem Tod des Vaters kommt er mit zehn Jahren als Hirtenbub ins oberschwäbische Aulendorf, später wird er Käser auf den fürstlich Wolfeggschen Domänen.

1854 ermöglichen ihm namentlich nicht mehr be­kannte Gönner, die Lateinschule in Kempten zu besuchen. Anschließend studiert Joseph Schelbert von 1858 bis 1862 Philosophie und Theologie an der Ludwig-Maximilian-Universität in München und wird am 26. Juli 1862 zum Priester geweiht. Er ist Kaplan in Stein bei Immen­stadt, in Pöcking und Aschering am Starnberger See sowie ab 1867 in Altusried. Hier beginnen seine politischen Aktivitäten. Er hält Vorträge über Bodendüngung, Vieh­haltung und Milchwirtschaft, betätigt sich 1868 im Wahlkampf zum Zollparlament als Wahlkämpfer und wird Mitbegründer der Katholischen Volkspartei im Allgäu. Das Büchlein Erinnerungen aus dem Leben des hochwürdigen Herrn Joh. Bapt. Mayer, Pfarrer in Altusried (1869) widmet er seinem hochgeschätzten Kollegen. Besonders produktiv ist Joseph Schelbert während der Zeit als Kaplan in Fischen, wo er eine landwirtschaftliche Fortbildungs­schule mit Bibliothek gründet. Hier verfasst er auch seine wichtigsten Schriften. 1870 erscheint die theoretische Abhandlung Das Allgäuer Vieh oder kurze Anleitung für die Viehbesitzer des Allgäus, das berühmte Allgäuer Vieh immer zu erkennen, schätzen und züchten zu lernen. In der Einleitung schreibt er: „Denn in der That, nicht nur die Betrachtung der Rührigkeit meines heimathlichen Bergvolkes durch's ganze Jahr ist mir ein stetes Vergnügen, nicht nur der Anblick unserer blumigen Matten und duftigen Alpen eine liebe Erholung, sondern auch schöne Heerden, die auf demselben weiden, ein immer neuer Gegenstand größter Freude.“ Kenntnisreich beschreibt er die verschiedenen Rinderrassen, gibt genaue Hinweise für die Rinderzucht und bricht eine Lanze für den Erhalt des Allgäuer Braunviehs, einer alten Haustierrasse. Die Frage, wie die Lebens- ­und Einkommenssituation der bäuerlichen Bevölkerung verbessert werden kann, beschäftigt ihn zeitlebens.

Neben landwirtschaftlichen Fragen gilt sein Hauptaugenmerk in dieser politisch turbulenten Zeit der Bewahrung der Werte der katholischen Kirche. Längst ist der Kulturkampf auch im Allgäu ange­kommen. 1870 führt die Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas in Glaubensfragen durch Papst Pius IX. zur Abspaltung der Altkatholiken, die vor allem im Allgäu viel Zulauf erfahren. Die wirtschaft­lich prosperierenden, von Schelbert als „Käsgrafen“ und „Milchbarone“ titulierten Milchauf­käufer und Besitzer von Großkäsereien finden im Liberalismus eine neue geistige Heimat. 1871 hält Schelbert am 3. Sonntag nach Ostern in seinem neuen Wirkungsort in Fischen eine kämpferische Predigt Über das Lesen schlechter Zeitungen und ruft die Gläubigen darin auf:

Leset doch, wenn Ihr überhaupt Zeitungen lesen wollet, gute, katholisch gesinnte [...] Lasset euch nie, namentlich aber jetzt nicht von kirchenfeindlichen Blättern und ihren Liebhabern aufreizen zum Abfalle von unserer hl. Kirche, sondern stehet vielmehr mit uns, euren Seelsorgern, fester als je zu den Trägern dieser hl. Religion, zu den Bischöfen und dem Papste! [...] Ihr wisset ebenso, daß man uns jetzt als dumme, ultramontane Pfaffen schilt, dagegen uns plötzlich für gebildet und aufgeklärt halten würde, wenn wir auf Seiten der Kirchenfeinde uns stellen würden.

In Fischen entsteht auch sein Hauptwerk Das Landvolk des Allgäus in seinem Thun und Treiben (1873), eine umfangreiche landes- und volkskund­liche Beschreibung des oberen Allgäus. Schelbert geht darin auf die Sitten und Gebräuche, sprachliche Besonderheiten, den Alltag in Berg und Tal und die Landwirtschaft im Besonderen ein. Seine tiefe Zuneigung zu Land und Leuten ist offen­sichtlich:

Im Allgemeinen ist das Allgäuer Volk sehr gesund und schön. Es gibt in ihm unter beiden Geschlechtern zahlreiche Prachtgestalten mit interessanten Gesichtern, in welchen sich die Klarheit des Verstandes und die Entschiedenheit des Willens, sowie das frohe Gefühl der Wohlhabenheit und Unabhängigkeit hell abspiegelt. Eigenthümlich ist seine Sprache, auch die Wohnung und Nahrung, zweckmäßig seine Kleidung und entsprechend die Beschäftigung. [...] Im Umgange sind die Allgäuer sehr gesprächig, gesellig und unterhaltend, und haben hierin noch manches Eigenthümliche aus alter Zeit bewahrt. Die Meisten haben eine ziemlich gute Schulbildung und sind für Lernen und Wissen sehr eingenommen.

Schöllang und Lengenwang sind Schelberts nächste Wirkungsstätten, bevor er 1879 seine letzte Pfarrstelle in Maria Rain bei Nesselwang antritt. Dort betreibt er nebenbei eine kleine Landwirtschaft und gründet eine Genossen­schaftskäserei nach Schweizer Vorbild.

1884 zieht Joseph Schelbert als Zentrumsabgeordneter in den Berliner Reichstag ein. Er tritt energisch für die Beibehaltung der Schutzzölle auf Getreide ein und spricht sich gegen die Einfuhr von Misch- und Kunstbutter aus dem Ausland ein. Die noch erhaltenen Parlamentsprotokolle belegen, dass seine bodenständigen Reden, in denen er sich auf die Erfahrungen der Allgäuer Bauern und seine eigenen als Landwirt und Pfarrer beruft, nicht selten von Spott und Gelächter des politischen Gegners begleitet werden. Er lässt sich davon offensichtlich nicht beirren. Den Wahl­kampf zu den Reichstagswahlen 1887 kann er aus gesundheitlichen Gründen nur noch einschränkt führen, sein Mandat muss er dem liberalen Bewerber überlassen und neun Tage nach der Wahl stirbt er im Alter von 53 Jahren an einem Gehirnschlag. Bei der Begräbnisfeier sind Zeitungsberichten zufolge ungefähr 1.200 Menschen anwesend. Auch die politischen Gegner würdigen in ihren Nachrufen das Engage­ment des streitbaren Pfarrers, so schreibt das national­liberale Kemptener Tag- und Anzeigeblatt (von Joseph Schelbert 1871 noch namentlich als kirchenfeindliches Giftblatt bezeichnet): „Der Verstorbene war als Politiker zwar ein Eiferer von derber Form, aber ein ehrlicher, überzeugungs­treuer und in seiner Art hochbegabter Mann.“ Dennoch geraten Joseph Schelbert und sein Werk nach seinem Tod schnell in Vergessenheit.

Erst die 1983 von den beiden Heimatforschern Aegidius Kolb, Benediktinerpater in Ottobeuren, und Ewald Kohler besorgte Neuauflage von Schelberts Buchs Das Landvolk des Allgäus in seinem Thun und Treiben führt zu einer Wiederentdeckung von Autor und Werk. Die Neuauflage wird ergänzt um Schelberts Lebenslauf, erläuternde Informationen zum geschichtlichen Kontext sowie einige Quellen, darunter ein Flugblatt des liberalen Gegenkandidaten Dr. Schauß aus dem Wahlkampf 1884, Schelberts Reichstagsreden vom 16. Februar 1885 und 17. April 1885 sowie Zeitungsberichte zu seinem Tod.

Verfasst von: Digitaler Literaturatlas von Bayerisch Schwaben DigiLABS / Rosmarie Mair, M.A.

Sekundärliteratur:

https://www.reichstag-abgeordnetendatenbank.de/select.html?pnd=122061608

König, Jochen (1988): Ein Leben für das Allgäu. Joseph Schelbert. In: Das schöne Allgäu 51, S. 49.

Molsner, Michael; Wiartalla, Elke (1998): Käser, Priester, Patriot. Joseph Schelbert: Der Schweizer Bauernsohn ging seinen Weg in Schwaben. In: Wer wenn nicht Goethe? Prominente im Allgäu. Zebulon-Verlag, Köln, S. 177-181.

Nowotny, Peter (2000): Die Schelberts im Allgäu. In: Das schöne Allgäu 3, S. 57-62.

Schelbert, Otto (1997): Pfarrer Joseph Schelbert 1834-1887, Pionier des Allgäus. In: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben, Bd. 15, S. 267-293.

Ders. (2005): Der 1. Emmentaler Käse im Allgäu. In: Das schöne Allgäu 10.

Schubert, Heinz (1983): Zwischen Kanzel und Reichstag: Über einen vergessenen Allgäuer. Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten.

Quelle:

Joseph Schelbert: Pfarrer in Maria-Rain und Reichstags-Abgeordneter 1884-1887; etliche Gedenkblätter, gesammelt und herausgegeben ihm zum Gedächtniß und seinen Freunden zur Erinnerung (1887). Kösel Verlag, Kempten.


Externe Links:

Literatur von Joseph Schelbert im BVB

Literatur über Joseph Schelbert im BVB

Joseph Schelbert in der Wikipedia

Eintrag auf der Website Otto Schelbert