Thomas Manns Münchner Novelle „Gladius Dei“ (1902)
Thomas Manns Novelle Gladius Dei, mit der sich zahlreiche Literaturwissenschaftler seit vielen Jahren beschäftigt haben, wird nach allgemeinem Konsens, der allerdings auf ganz wenigen Stellen im Text basiert, als eine Kritik des Autors an der im Niedergang befindlichen Kunststadt München verstanden, die nicht nur städtebaulich ein Abklatsch von der Renaissance-Stadt Florenz sei, sondern lediglich ein Kunstverständnis pflege, das sich bloß mit dem Handwerk des Kopierens, des Nachgusses und der Vervielfältigung nach Werken Alter Meister abgebe.
Die Novelle liest sich auf einer Ebene als verlässlicher, wenn auch stellenweise bewusst vernebelnder Führer zu München aus der Zeit um 1900 mit Beispielen seiner Architektur, Fassadenkunst, Geschäften, Brunnen, Kunstwerken aller Art im Original und als Kopie. Kunstgewerbliche Meisterwerke der Moderne, illustrierte Bücher, die schönsten Frauen, die skurrilsten Einwohner und Geschäftsinhaber und einiges mehr werden vor und neben der Haupthandlung permanent hervorgehoben und kommentiert. Positive bzw. objektive Hinweise auf die in Kunst und Architektur vergleichbare Stadt Florenz durchziehen den gesamten Text. Während der Lektüre wächst allmählich der Verdacht, dass der Autor als Chronist eigentlich nur für sich selbst und eine andere bestimmte Person schreibt, die, wie der Autor eine gute Kennerin von Florenz, einiges dort von der architektonisch verwandten Stadt München und dessen Einwohnern gehört, aber sie selbst nie besucht hat.
Ob ein eher kunsthistorischer Blick auf die Novelle zu einer nachvollziehbaren Interpretation von Gladius Dei führen kann, wie es Ernst M. Wolf 1970 in seinem Aufsatz „Savonarola in München“ (in: Euphorion) in glänzender Weise unternommen hat [1], wird sich am Ende erst zeigen. Der Versuch wird jedenfalls unternommen, auch anhand von zahlreichen Münchener und Florentinischen Ansichtskarten und Fotos aus der Zeit der Handlung der Novelle, einen erwägenswerten Grund für ihre Entstehung vorzuschlagen, der nichts mit dem angeblichen Niedergang der Kunststadt zu tun hat, noch die von vielen Kommentatoren festgestellte satirische Tendenz des Werks bestätigen wird. Die Novelle, über die Thomas Mann in späteren Jahren nie viel gesprochen hat, lag ihm dennoch offensichtlich sehr am Herzen, zumindest zur Zeit ihrer Entstehung: Immerhin hat er dafür seine Arbeit an dem Theaterstück Fiorenza unterbrochen.
Der Inhalt der Novelle ist schnell erzählt: Ein Jüngling namens Hieronymus, den wir uns als deutschen Jüngling vorzustellen haben, obwohl er die Gesichtszüge des Florentinischen Mönches Savonarola trägt, nimmt den Weg von der Maxvorstadt über die Ludwigstraße zum Odeonsplatz, regt sich über das Bild einer Madonna mit Kind auf, das im Schaufenster einer dortigen Kunstgalerie ausgestellt ist, dessen Darstellung er für blasphemisch und entblößte Wollust hält, beschwert sich darüber beim wenig begeisterten Galeriebesitzer, verlangt vergeblich die Entfernung des Bildes aus dem Schaufenster und wird am Ende durch einen furchterregenden Packer unsanft auf die Straße befördert. Der Ausgestoßene hat darauf eine Vision des Untergangs der Galerie und ihres angeblich sündhaften Inventars, sieht ein breites Feuerschwert über der Theatinerstraße stehen, worauf er die Worte flüsternd murmelt „Gladius Dei super terram …. Cito et velociter“ („rasch und schnell“). Mit diesen drei lateinischen Worten endet die Novelle. Der Untergang wird nicht nur die Galerie, sondern die ganze Erde betreffen.
[1] Ernst M. Wolf. Savonarola in München – Eine Analyse von Thomas Manns Gladius Dei, in: Euphorion, Bd. 64, 1970. Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg, S. 85-96.
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Thomas Manns Novelle Gladius Dei, mit der sich zahlreiche Literaturwissenschaftler seit vielen Jahren beschäftigt haben, wird nach allgemeinem Konsens, der allerdings auf ganz wenigen Stellen im Text basiert, als eine Kritik des Autors an der im Niedergang befindlichen Kunststadt München verstanden, die nicht nur städtebaulich ein Abklatsch von der Renaissance-Stadt Florenz sei, sondern lediglich ein Kunstverständnis pflege, das sich bloß mit dem Handwerk des Kopierens, des Nachgusses und der Vervielfältigung nach Werken Alter Meister abgebe.
Die Novelle liest sich auf einer Ebene als verlässlicher, wenn auch stellenweise bewusst vernebelnder Führer zu München aus der Zeit um 1900 mit Beispielen seiner Architektur, Fassadenkunst, Geschäften, Brunnen, Kunstwerken aller Art im Original und als Kopie. Kunstgewerbliche Meisterwerke der Moderne, illustrierte Bücher, die schönsten Frauen, die skurrilsten Einwohner und Geschäftsinhaber und einiges mehr werden vor und neben der Haupthandlung permanent hervorgehoben und kommentiert. Positive bzw. objektive Hinweise auf die in Kunst und Architektur vergleichbare Stadt Florenz durchziehen den gesamten Text. Während der Lektüre wächst allmählich der Verdacht, dass der Autor als Chronist eigentlich nur für sich selbst und eine andere bestimmte Person schreibt, die, wie der Autor eine gute Kennerin von Florenz, einiges dort von der architektonisch verwandten Stadt München und dessen Einwohnern gehört, aber sie selbst nie besucht hat.
Ob ein eher kunsthistorischer Blick auf die Novelle zu einer nachvollziehbaren Interpretation von Gladius Dei führen kann, wie es Ernst M. Wolf 1970 in seinem Aufsatz „Savonarola in München“ (in: Euphorion) in glänzender Weise unternommen hat [1], wird sich am Ende erst zeigen. Der Versuch wird jedenfalls unternommen, auch anhand von zahlreichen Münchener und Florentinischen Ansichtskarten und Fotos aus der Zeit der Handlung der Novelle, einen erwägenswerten Grund für ihre Entstehung vorzuschlagen, der nichts mit dem angeblichen Niedergang der Kunststadt zu tun hat, noch die von vielen Kommentatoren festgestellte satirische Tendenz des Werks bestätigen wird. Die Novelle, über die Thomas Mann in späteren Jahren nie viel gesprochen hat, lag ihm dennoch offensichtlich sehr am Herzen, zumindest zur Zeit ihrer Entstehung: Immerhin hat er dafür seine Arbeit an dem Theaterstück Fiorenza unterbrochen.
Der Inhalt der Novelle ist schnell erzählt: Ein Jüngling namens Hieronymus, den wir uns als deutschen Jüngling vorzustellen haben, obwohl er die Gesichtszüge des Florentinischen Mönches Savonarola trägt, nimmt den Weg von der Maxvorstadt über die Ludwigstraße zum Odeonsplatz, regt sich über das Bild einer Madonna mit Kind auf, das im Schaufenster einer dortigen Kunstgalerie ausgestellt ist, dessen Darstellung er für blasphemisch und entblößte Wollust hält, beschwert sich darüber beim wenig begeisterten Galeriebesitzer, verlangt vergeblich die Entfernung des Bildes aus dem Schaufenster und wird am Ende durch einen furchterregenden Packer unsanft auf die Straße befördert. Der Ausgestoßene hat darauf eine Vision des Untergangs der Galerie und ihres angeblich sündhaften Inventars, sieht ein breites Feuerschwert über der Theatinerstraße stehen, worauf er die Worte flüsternd murmelt „Gladius Dei super terram …. Cito et velociter“ („rasch und schnell“). Mit diesen drei lateinischen Worten endet die Novelle. Der Untergang wird nicht nur die Galerie, sondern die ganze Erde betreffen.
[1] Ernst M. Wolf. Savonarola in München – Eine Analyse von Thomas Manns Gladius Dei, in: Euphorion, Bd. 64, 1970. Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg, S. 85-96.
