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Ein paar Gedanken zu Wolfgang Berends neuem Gedichtband

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(c) Daniella Janscó

P. J. Blumenthal (*1946 in New York City) ist Altphilologe, Lyriker und Schriftsteller und lebt seit vielen Jahren in München. Für das Literaturportal Bayern hat er den neuen Gedichtband des Münchener Lyrikers Wolfgang Berends gelesen und rezensiert.

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Manchmal um uns Glas ist der dritte Lyrikband des Münchener Lyrikers Wolfgang Berends, alle bei Stadtlichter Presse erschienen. Sein Erstlingswerk hieß Erdabstoßung, gefolgt von Nach Durchsicht der Wolken. Seine Titel bedienen sich stets einer exotischen Sprache, die neugierig macht. Wer weiterliest, wird vom Dichter in ein Reich der Wortgeheimnisse geführt. Denn Berends schreibt im wahrsten Sinn Wortbücher. Er scheint zu wissen, dass gewisse Wortkombinationen mit einer transformativen Macht ausgestattet sind und dass diese in der Lage sind, den Leser in einen Zustand zu versetzen, den man – um mit Rimbaud zu reden – als alchemisch bezeichnen kann.

Benannt und damit ab-
gespalten vom Ganzen, beginnt,
was du hinterläßt, als Spiegel:
die Stadt. Und es entwickeln sich
Ideen, sich selbst zu spielen.

Wolfgang Berends versteht es gut, das Dasein in lebendigen, originalen Bildern darzustellen, ohne den Oberlehrer zu spielen. Er weiß, dass er die Mysterien nicht erklären kann, und noch wichtiger: Er will seiner Leserschaft partout nicht mit einer plumpen Ideologie sattmachen.

Mit diesem Eingeständnis an sich selbst durchkämmt er sein Gedächtnis nach Erinnerungen und nach Orten (konkrete und abstrakte); er sucht diese innere Landschaft ab, und findet Worte. Dieser bedient er sich, als wären sie Paradiesäpfel, mit denen er – vorsichtig tastend – dem Dasein in Zeit und Raum eine Form verleiht. Denn er weiß, dass die Worte, die er gefunden hat, verzaubert sind und dass er lediglich seine Worte als Kompass im Reich des Mysteriums hat.

Insofern ist er einer von uns, und deshalb können wir ihm vertrauen. „Aber jetzt hängen Worte dort in der Landschaft, an Bäumen, Bergen, Bächen“, hat er dieses Verfahren in einem früheren Werk geschildert. Mit diesem Werkzeugkasten praktiziert er das einsame Unterfangen des Lyrikers.

Gelebt von Vergesslichkeit,
möchte ich so leicht werden,
daß ich keine Sprache mehr
brauche, dann bringe ich
das Licht zu den

Wellen im Bach. Dort
wird die Sprache
enden…

Früher hätte man diese Art der Poesie als „metaphysisch“ bezeichnet. Im heutigen Zeitalter des verbissenen Materialismus, des besserwisserischen Relativismus und der trötenden Ichbezogenheit ist dieses Konzept ziemlich aus der Mode gefallen, weil man das Sein gern in simplen Sätzen deuten will.

Berends wagt die Welt dennoch so zu er-leben. Dazu er-findet er Wortbilder, um das Unfassbare wenigstens zu ertasten. Er stellt keine Fragen, bietet keine Antworten. Er zaubert nur, und zwar mit seinen Worten.

Ich kenne keine deutschen Lyriker, die momentan ähnlich mutig sind wie Wolfgang Berends. Seine Vorbilder liegen sicherlich in Impulsen aus der Vergangenheit. Manchmal höre ich Paul Fleming oder auch Hölderlin (in seinen explosivsten Gedichten) und Novalis heraus. Auch Ludwig Greve und Georg Trakl könnten als Verwandte gehandelt werden. Und selbstverständlich Celan. Berends und Celan teilen beide die Wortmagie als Ausdrucksmittel, und beide sind anspruchsvoll und pingelig, was die Dichte der Wortwahl betrifft. Berends halte ich aber für persönlicher als Celan, und wärmer. Wie dem auch sei. Man taucht, wenn man Berends liest, in eine Welt der lebendigen Bilder ein, in eine gemeinplatzfreie Zone, und darf an einer alchemischen Verwandlung teilnehmen.

Du wirst hexen müssen,
um in die Uhr hineinzugehen,
entlang ihrer Schattenwände und
der Schönheit einfacher Formen,
in dieses verwaschene Blau.

Was in diesem neuen Buch von Berends auffällt: Der Poet achtet mehr denn je auf die Musik. Man spürt den singenden rhythmischen Puls. Häufig stößt man auf unreine Reime, die die Tonlage der Wortbilder beflügeln. Gelegentlich taucht sogar ein wahrhaftiger Reim auf, was das Gesamtkonzept nur bereichert.

Ein Teil deines Gestern trifft nur dich.
Deinen Kindern willst Du alles geben.
Dann schläfst du auf dem Flickenteppich

und nennst ihn „Leben“.
Dein Nein trägt den Hungertexten
Bäume zu, dann ist der Hunger endlich.

Dies ist eindeutig ein Wink in Richtung terza rima, und das weiß der Poet auch.

Die Lyrik der Antike diente in erster Linie als Kulthandlung, die etwas Hehres und Heiliges zelebrierte, und das war lange ihre Aufgabe. Erst in der modernen Zeit wurde sie zunehmend zu einer Ware degradiert. Wolfgang Berends praktiziert noch immer die heilige Kunst, wie es sich gehört. Geben Sie den Verstand bei der Garderobe ab, bevor Sie mit der Lektüre beginnen. Dann werden Sie alles begreifen, was Manchmal um uns Glas zu bieten hat.

 

Wolfgang Berends: Manchmal um uns Glas. Mit 8 Holzschnitt-Illustrationen von Heike Küster. Stadtlichter Presse, Wenzendorf 2021, 62 S., ISBN 978-3-947883-30-1, 14 €