Info

Interview mit Benedict Wells über seinen neuen Roman

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/instblog/2021/klein/Benedict_Wells500.jpg
© Roger Eberhard

Benedict Wells wurde 1984 in München geboren, zog nach dem Abitur nach Berlin und entschied sich gegen ein Studium, um zu schreiben. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit diversen Nebenjobs. Sein vierter Roman, ›Vom Ende der Einsamkeit‹, stand mehr als anderthalb Jahre auf der Bestsellerliste, er wurde u.a. mit dem European Union Prize for Literature (EUPL) 2016 ausgezeichnet und bislang in 37 Sprachen veröffentlicht. Nach Jahren in Barcelona lebt Benedict Wells in Zürich. Soeben ist sein neuer Roman erschienen:

Missouri, 1985: Um vor den Problemen zu Hause zu fliehen, nimmt der fünfzehnjährige Sam einen Ferienjob in einem alten Kino an. Und einen magischen Sommer lang ist alles auf den Kopf gestellt. Er findet Freunde, verliebt sich und entdeckt die Geheimnisse seiner Heimatstadt. Zum ersten Mal ist er kein unscheinbarer Außenseiter mehr. Bis etwas passiert, das ihn zwingt, erwachsen zu werden. Eine Hommage an 80’s Coming-of-Age-Filme wie The Breakfast Club und Stand By Me – die Geschichte eines Sommers, den man nie mehr vergisst. (Verlagstext)

*

Ihr letzter Roman Vom Ende der Einsamkeit erzählt das Leben von Jules, Marty und Liz über 35 Jahre. In Hard Land konzentrieren Sie sich hingen auf ein einziges Jahr im Leben des fünfzehnjährigen Sam und seiner neuen Freunde. Was hat Sie dazu bewogen?

Benedict Wells: Das Schreiben von Vom Ende der Einsamkeit fühlte sich an wie das Ende eines Wegs. Bis dahin musste ich die Romane schreiben, sie passierten mir, ohne dass ich groß darüber nachgedacht hätte. Nun wollte ich ganz bewusst etwas schreiben, das ich selbst immer geliebt habe: eine Geschichte aus dem Bereich »coming of age«. Filme wie The Perks of Being a Wallflower oder die 80’s-Klassiker von John Hughes bedeuten mir wahnsinnig viel, sie sind auf ihre Art fast wie ein Zuhause, nur gibt es leider so wenige davon.

Warum reizte Sie dieses Genre so besonders?

Der Autor John Green gab darauf mal die schöne Antwort: weil man in diesem Alter noch keinen Schutzschild aus Erfahrung, Routine oder sogar Zynismus hat, sondern verwundbar ist. Alles ist pur, es ist die Zeit der ersten Male. Im Fall von Hard Land das erste Mal Freundschaft, das erste Mal Liebe, aber auch das erste Mal Tod. Der Sommer, von dem man später merkt, dass man damals erwachsen wurde – und den man daher auch nie mehr vergessen kann.

Sie spielen im Roman mit berühmten ersten Sätzen bekannter Literatur. Sie sind aber ebenfalls ein Meister des ersten Satzes, ich denke etwa an Vom Ende der Einsamkeit (»Ich kenne den Tod schon lange, doch jetzt kennt der Tod auch mich«). Hier beginnen Sie die Geschichte mit: »In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.« Was bedeutet der erste Satz eines Romans für Sie?

Erst mal vielen Dank. Und erste Sätze haben mich immer fasziniert, ob Knausgårds »Für das Herz ist das Leben einfach, es schlägt, solange es kann«, der legendäre Anfang von Salingers Fänger im Roggen – oder natürlich die berühmten ersten Sätze, die eine der Figuren im Buch sammelt. Deshalb ist der Anfang aus Hard Land diesmal auch nicht von mir, sondern eine bewusste Variation von Charles Simmonsʼ erstem Satz aus Salzwasser. Mir macht es einfach Spaß, nach einem guten Einstieg zu suchen.

Und wie kamen Sie auf den Titel Hard Land?

Durch ein Missverständnis. Als ich 2007 zu Diogenes kam, fragte ich als Erstes, ob es ein neues Buch von Joey Goebel gäbe, ein Autor, den ich damals wie heute sehr schätze. »Ja«, war die Antwort, »es wird Heartland heißen.« Ich verstand damals jedoch Hard Land und sah sofort alles vor mir: Weizenfelder, einen Sechzehnjährigen, eine Geschichte über das Erwachsenwerden ... Ich hatte damals ein ganz seltenes Gefühl von Eifersucht, weil ich spürte, dass ich diesen Roman unbedingt selbst schreiben wollte – und nun war mir Joey offenbar zuvorgekommen, und bestimmt hatte er auch bereits die Top-Antwort gegeben. Später fand ich heraus, dass sein Roman in Wahrheit eben Heartland hieß und von Wahlkampfintrigen und einer zerrütteten Familie handelte. Der Titel war also noch frei, die Geschichte ebenfalls.

Als ich dann 2008 wegen Fast genial zum ersten Mal in die USA reiste, kam ich auf meinem Roadtrip auch in ein Kaff direkt am Missouri River – und verliebte mich sofort. Ich wusste: Hier muss Hard Land spielen. Natürlich ist der Ort im Roman anders und fiktiv, aber er basiert sehr auf dem damaligen Gefühl und dem besagten Kaff.  

Haben Sie für Ihr Buch noch mal speziell recherchiert?

Ja, und zwar auf die für mich vielleicht schönste Weise, denn ich habe wirklich jeden einzelnen Coming-of-Age-Film der 80ʼs geschaut. Nicht nur die gut dreißig Klassiker, sondern auch Filme, von denen Tom Cruise oder John Cusack vermutlich selbst vergessen haben, dass sie mal in ihnen mitspielten. Aber genauso wichtig war es, noch mal für einige Monate in die USA zu reisen und Kleinstädte auf dem Land zu besuchen. Natürlich auch wieder das Kaff in Missouri von einst, das tatsächlich noch immer denselben Charme hatte.

Sie haben Vom Ende der Einsamkeit mit den Themen Kindheit, Verlust und Einsamkeit als Ihr persönlichstes Buch bezeichnet. Auch in Hard Land sehen sich die Protagonisten damit konfrontiert und dennoch ist es ein ganz anderer Roman. Wie würden Sie das Schreibgefühl diesmal beschreiben?

Ich habe gut fünf Jahre an Hard Land geschrieben, und die ersten dreieinhalb war es kein sonderlich persönliches Buch, im Gegenteil. Ich hatte als Autor den Spaß meines Lebens. Es war mir immer wichtig, dass die Handlung nicht zu nah an mir dran ist. Wäre ich selbst als Waise aufgewachsen, hätte ich Vom Ende der Einsamkeit vermutlich so nicht geschrieben. Genauso konnte ich Hard Land nur schreiben, weil manche Geschehnisse aus dem Buch weit weg schienen. Und es gehört zu den größten Rätseln in meinem Leben, dass ich in jenem Sommer ausgerechnet in dem oben erwähnten Kaff in Missouri war, in dem Hard Land quasi geboren wurde und spielt, als ich die Nachricht erhielt, dass wie im Buch einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben unerwartet sterben würde. Auf einmal wurde alles, was fiktiv war, real.

Als ich nach diesen Ereignissen wieder ans Manuskript zurückkehrte, in dem es nun mal auch über den Tod ging, war meine erste Sorge, dass alle bisher geschriebenen Worte über Trauer falsch sein könnten. Aber ich stellte fest, dass ich nichts davon austauschen wollte. Ich empfand diese Worte noch immer als richtig, ich war nur eben auf die andere Seite von ihnen gefallen. Das Jahr bis zur Abgabe habe ich dann noch mal intensiv am Text gearbeitet und misstrauisch geschaut, ob sich das ändert. Tat es nicht, und das hat mich sehr erleichtert. Trotzdem war es eigenartig, weil ich nie wusste, ob mein eigenes Trauern nun bedeutete, nicht an diesem Buch zu arbeiten – oder gerade daran zu schreiben.

Es ist ungewohnt, dass sie über etwas so Privates sprechen ...

Ich hadere noch immer damit, dass mein Leben und das Buch stellenweise eins wurden und möchte deshalb nicht weiter ins Detail gehen. Es geht hier schließlich vor allem um Sam und seine Geschichte. Mir hat nur mal jemand gesagt, dass es im Englischen ein Wort dafür gibt, wenn man als Einziger im Raum etwas Lustiges bemerkt oder weiß. Und ich habe daraufhin oft überlegt, ob es in einer anderen Sprache ein Wort dafür gibt, als einziger im Saal etwas Trauriges zu wissen. Ich will eigentlich nichts Privates preisgeben, aber ich will auch nicht noch mehr den Menschen vom Autor trennen, da wird man verrückt. Diesen Konflikt konnte ich nicht ganz auflösen.

Ein anderes Thema: Wie haben Sie es geschafft, sich so zurückzuversetzen in die Empfindungs- und Gedankenwelt eines Fünfzehn-/Sechzehnjährigen? Gibt es Parallelen zwischen Ben(edict Wells) und Sam?

Ich glaube schon. Ich war als Teenager nach außen sicher in vielem anders als Sam, hatte eine rauhere Internatsschale und pseudogroße Klappe, die man dann auch noch ganz gut in Spinner wiederfindet. Aber innerlich sind wir uns tatsächlich sehr ähnlich, und ich mag Sam sehr dafür, dass er das auch schon als Teenager nach außen zeigen kann und sich nicht verstecken muss. Davon abgesehen hatte ich immer das Gefühl, nun endlich im perfekten Alter zu sein, um über Jugendliche zu schreiben. Bei Spinner oder Fast genial – mit neunzehn oder Mitte zwanzig – hatte ich mich noch oft vor Peinlichkeiten weggeduckt, wollte erwachsen wirken. Ich war vom Alter her zu nah dran, sah quasi nur die Bäume. Mit Anfang bis Mitte dreißig dagegen war ich weit genug entfernt, um zwar hoffentlich noch immer die Details zu erkennen – aber auch schon den Wald.

Sie haben ein neues Wort geprägt: »Euphancholie« als Grundgefühl der Jugend. Möchten Sie das erläutern?

Es entstand aus einer Unterhaltung im Roman, als eine Figur sagt, dass es kein Wort für dieses Gefühl gebe, in dem man in den schönsten Momenten auch Traurigkeit empfindet. Einerseits ist man fast zerrissen vor Glück, aber auch wehmütig, weil dieser Moment bald vorbeigehen wird; man vermisst ihn schon jetzt. Das Wort ist eine Mischung aus »Euphorie« und »Melancholie«. Generell hatte ich es als Jugendlicher oft selbst erlebt, dass man selbst nach schlimmsten Erfahrungen plötzlich in ausgelassenes Gelächter ausbrechen konnte – und umgekehrt. Dieses schnelle, manchmal völlig unlogische Umschlagen der Emotionen hat mich immer fasziniert, alles geschah gleichzeitig. Oder um es mit einem 80ʼs-Song zu sagen: Dancing With Tears In My Eyes.

Warum schreiben Sie als deutschsprachiger Autor eigentlich noch einmal über die USA? Und warum diesmal die Achtzigerjahre?

Ich hätte natürlich auch über die Neunzigerjahre in Bayern schreiben können, die ich nur zu gut kenne – nur wäre dieser Roman dann nie entstanden, weil es mich tödlich gelangweilt hätte. Mein Benzin für Hard Land war nicht die eigene Erfahrung, sondern Sehnsucht. Als ich ein Kind war, liefen im Fernsehen die ganze Zeit amerikanische 80ʼs -Filme wie Stand By Me, Zurück in die Zukunft und The Breakfast Club. Die habe ich aufgesogen, da wollte ich immer hin. Ich kann über einen gelben Schulbus in den USA viel mehr erzählen als über den Bus im Allgäu, den ich als Heimschüler selbst benutzt habe.

Gleichzeitig gab es nie eine Desillusionierung. Die 90er in Deutschland, die ich erlebt habe, gehören mir als Erzähler nicht, denn ich weiß ja, wie trist und banal es oft wirklich war – und bin durch meine Erlebnisse in meiner Phantasie limitiert. Die 80er in Amerika dagegen habe ich nur gestreift, sie bedeuteten für mich als Autor Freiheit. Spannend fand ich in dem Zusammenhang die Serie Stranger Things.

Wieso?

Als sie damals herauskam, schrieb ich ein Jahr an Hard Land und war zunächst nervös: Denn auf einmal gab es einen riesigen 80ʼs-Hype, und ich fühlte mich »late to the party«. Ich beschloss, den Roman erst grob fertig zu schreiben, um mich nicht beeinflussen zu lassen. Als ich die Serie dann sah, war ich jedoch begeistert. Von den Figuren, aber auch von der Herangehensweise an diese Zeit. Stranger Things wurde erfunden, geschrieben und produziert von den Duffer Brothers, die auch Regie führen. Irgendwann interessierte mich, wie alt die beiden sind. Ich dachte: Vermutlich sind es Fünfzigjährige, die auf ihre Jugend zurückblicken. Dann stellte ich fest, dass wir im selben Jahr und im selben Monat geboren sind: Februar 1984. Auch ihr Antrieb ist Sehnsucht, nicht eigene Erfahrung.

Aber hätte der Roman nicht trotzdem ebenso gut in Bayern spielen können? Oder in Berlin? Was wäre dann anders gewesen?

Der spannendste Punkt beim Schreiben von Hard Land war der Umgang mit Klischees der amerikanischen 80ʼs-Popkultur. Was davon ignoriert man? Und was bereitet man in der ersten Hälfte des Buchs erst mal nostalgisch auf, um es dann in der zweiten Hälfte zu brechen? Das war ein großer Spaß, aber auch nicht ganz simpel, denn die Kritik an einem Deutsch-Schweizer, der über amerikanische Popkultur schreibt, ist natürlich erwartbar: Bezieht man sich darauf, ist einem nichts Eigenes eingefallen. Lässt man sie weg, hat man nichts davon verstanden.

Hätte ich das Ganze 1985 in Bayern spielen lassen, mit einer Siffkneipe namens «Larry’s» und Hightower als kleinem Wicht aus dem Ostallgäu, dann wäre ich vermutlich geschützter gewesen. Aber ich schreibe ja nicht, um mit etwas davonzukommen, sondern weil ich an das glaube, was ich mache. Und Hard Land im Jahre 1985 in Missouri ist die schönste Version dieses Buchs, die es gibt. Ich habe Jahre in dieser Welt verbracht, und noch nie hatte ich ein solches Glücksgefühl beim Schreiben gehabt, wie wenn ich zu diesen Figuren, dieser Geschichte und diesem Ort zurückkehren konnte.
 
Das fiktive Versepos von William J. Morris, das in Zitaten im Roman eingebettet ist – haben Sie dieses separat als komplettes Werk geschrieben? Existieren somit eigentlich zwei Manuskripte?

Ich habe tatsächlich mehrere Gedichte komplett geschrieben, aus denen dann kurze Auszüge im Buch landeten. Aber ein richtiges Manuskript würde ich es nicht nennen. Ich komme von drei Punkten im Deutsch-Leistungskurs beim Thema Lyrik, ich bin froh, wenn ich als Dichter nicht allzu sehr in Erscheinung treten muss ...  

Das Schild der Romanstadt verheißt, bezugnehmend auf seinen berühmtesten Bewohner William J. Morris: »Entdecke die 49 Geheimnisse von Grady«. Gibt es auch die 49 Geheimnisse des Benedict Wells? Und können Sie vielleicht eines verraten?

Ich habe mich mal mit zwanzig bei Wetten, dass ..? beworben, mit einer Fußballwissenswette. Die Redaktion schrieb mir: »Ganz nett, aber wir haben einen Achtjährigen als möglichen Kandidaten, der weiß viel mehr.« Gott sei Dank bin ich damals nicht genommen worden.

Musik, Filme und Zitate aus anderen Büchern spielen eine große Rolle in Hard Land. Floss hier Ihre eigene Leidenschaft mit ein, wer oder was ist Ihre Inspiration?

Das ist tatsächlich meine persönliche Leidenschaft, gleichzeitig wollte ich aber auch den Bedürfnissen des Romans gerecht werden. Wie immer war Musik mein Schlüssel. Bevor ich eine Zeile getippt hatte, erstellte ich eine 80ʼs-Playlist mit mehreren hundert Titeln, dann ging ich oft stundenlang spazieren, hörte die Songs und arbeitete an den Figuren oder stellte mir Szenen vor. Deshalb war es diesmal ein besonderer Spaß, wieder die Soundtracks zum Buch zu erstellen. Ich wollte die Achtziger natürlich schon auch mit ein paar liebevollen Details ausschmücken, aber vielleicht nicht zum hundertsten Mal mit dem Rubik-Würfel, sondern mehr mit dem Gefühl dieser Zeit. So weit war ich dann schließlich nicht weg, auch ich bin ja ohne Internet und auf dem Land aufgewachsen.

Vom Ende der Einsamkeit war mit 500.000 verkauften Exemplaren allein im deutschsprachigen Raum ein Riesenerfolg, es gab Artikel im Guardian, in der New York Times und wurde in 38 Sprachen übersetzt. Bedeutete dies einen hohen Erwartungsdruck für die folgenden Bücher, oder konnten Sie sich davon frei machen?

Beim Schreiben sind mir die äußeren Erwartungen egal, denn da bin ich einfach nur in der Welt des Romans. Als Mensch dagegen muss ich zugeben, dass der Erfolg von Vom Ende der Einsamkeit sehr unerwartet kam und ich bis heute einen Weg suche, damit umzugehen. Es klingt bescheuert, aber ich habe mich immer als Underdog begriffen, jemand, der klein lebt und groß träumt. Was aber machst du, wenn deine Träume plötzlich wahr und sogar übertroffen werden? Wenn du dich innerlich mit all deinen Fehlern abgefuckt fühlst, aber nach außen alles zunehmend glänzt?

Ich habe immer versucht, mich bis auf ein paar Ausnahmen medial sehr zurückzuhalten, und es ärgert mich ein bisschen, dass ich trotzdem in diese schizophrene Situation geraten bin. Denn an der Schwelle standen schon viele. Ich glaube, man wächst dann entweder in das alles hinein oder sucht irgendwann das Weite.

Was heißt das genau?

Es bedeutet mir sehr viel, dass Vom Ende der Einsamkeit seine Leserinnen und Leser fand, ebenso die vielen schönen Begegnungen auf Messen oder den Lesetouren. Das sind Schätze an Erinnerungen, und ich bin nicht erst seit Corona einfach nur sehr dankbar für dieses Glück. Aber als Mensch wollte und will ich keine wirklich öffentliche oder bekanntere Figur werden. Wäre ich in der Musik tätig, würde ich lieber hinter den Kulissen Songs für andere schreiben, statt selber der Interpret zu sein. Es war mir also bei den ersten fünf Romanen wichtig, sie zumindest ein bisschen in die Öffentlichkeit zu begleiten, um sie anzuschieben. Aber ich weiß nicht, ob sie diesen Weg in Zukunft nicht auch weitgehend ohne mich antreten können.

In den vergangenen Jahren haben Sie auf Ihrer Homepage einige politischere Posts veröffentlicht und sind seit 2019 auch der Pate Ihres alten Gymnasiums bei der Aktion »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«. Wie kam es dazu?

Ich finde, nach Anschlägen wie in Halle darf es kein Schweigen der Masse geben. Ebenso wenig, wenn eine in weiten Teilen rechtsradikale bis rechtsextreme Partei dritte Kraft im Parlament wird. In solchen Momenten ist jeder von uns aufgefordert, sich sichtbar zu machen, damit ein möglichst vielstimmiger, lauter Chor entsteht. Es geht hier auch gar nicht um irgendwelche originellen Statements, sondern um das geduldige Wiederholen von etwas, das schon mal selbstverständlicher war: dass Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus keinen Platz haben dürfen. Umso schöner also, dass meine alte Schule bei dieser Aktion mitmacht.

Wie arbeiten Sie eigentlich konkret als Autor: Ihrem »Abspann« am Ende des Romans entnimmt man eine Menge »Leser und Helfer«. Suchen Sie sich diese Leserresonanz bewusst? Verunsichert Sie das nicht manchmal, wenn Meinungen divergieren?

Nein, im Gegenteil, es darf beim Schreibprozess ruhig hart zur Sache gehen. Ich las mal bei John Irving, dass er auch immer fünfzehn bis zwanzig Testleser pro Roman hat. Schreibt man jahrelang an einer Geschichte, bedeutet das ja auch oft nur, dass man eben alle drei, vier Monate das Buch jemandem zu Lesen gibt, der es mit frischen Augen ansieht – während man selbst dem Text gegenüber zunehmend blind ist. Man hat ja einen inneren Kompass, der sofort ausschlägt, wenn jemand etwas bemängelt, das man insgeheim selbst schlecht findet und gar nicht verteidigen will. Und der still bleibt, wenn etwas kritisiert wird, das man trotzdem mag. Ich wünschte, ich könnte den Roman nur ein einziges Mal so lesen, als wäre er nicht von mir. Da das nicht geht, suche ich die ehrlichste und schonungsloseste Kritik, die ich kriegen kann, um am Ende genau zu wissen, was für ein Buch ich eigentlich schreiben will – und weshalb.

Zu Hard Land wird es, wenn es die Umstände erlauben, eine kleine Buchhandlungs-Lesetour ab September 2021 und eine Clubtour gemeinsam mit dem Musiker Jacob Brass zwischen dem 20.10. und 15.11.2021 geben. Worauf freuen Sie sich bei diesen Live-Events am meisten?

Für mich ergänzen sich Lesung und Musik hervorragend, man kreiert einen ganz eigenen Raum, eine eigene Stimmung. Normalerweise ist man als Autor ja auf Tour alleine, kann diese oft surreal-schönen Erfahrungen also nie teilen. Jacob dagegen ist ein guter Freund, die Bühne gehört uns beiden. Und nicht zuletzt ist er ein hervorragender Musiker und Sänger, der sowohl eigene Stücke wie das superbe Lost in Bejing spielen wird – als auch 80ʼs-Cover. Darauf, nach einer eher melancholischen Lesestelle etwa Drive von den Cars von ihm gecovert zu hören, freue ich mich jetzt schon. Ebenso auf die Gespräche mit den Menschen danach, die es dann hoffentlich wieder geben wird.

Vor allem aber hoffe ich, dass die Kultur- und Kunstszene generell nicht stirbt. Tolle Debüts wie etwa Hawaii von Cihan Acar dürfen einfach nicht untergehen, auch wenn eine Tour wegen Corona ausfällt. Und genauso wichtig ist das Drumherum. Ich kenne so viele Menschen, deren Jobs durch die Pandemie verloren gingen oder existenziell bedroht sind. Umso mehr möchte ich allen Spendenseiten wie Elinor ans Herz legen, die direkt Künstler*innen in Not unterstützen.

Zum Abschluss: Wissen Sie bereits, wie es nach Hard Land weitergeht? Haben Sie Ideen?

Ich hatte öfter überlegt, ob es lustig sein könnte, eine etwas nerdig angehauchte monatliche Radiosendung zu machen, in der es um Musik, Filme und Literatur geht. Genauso freue ich mich auf die Serie, die ich eventuell mit einem befreundeten Regisseur schreiben werde, und darauf, im Sommer zum ersten Mal kreatives Schreiben an einer Universität zu unterrichten. Ziemlich sicher werde ich auch an einer Anthologie über den Tod arbeiten, denn ich finde, dafür, dass der Tod zum Leben dazugehört, und zwar zu jedem einzelnen, wird er immer noch erstaunlich tabuisiert und kommt kaum vor.

Und ein neuer Roman?

Ich habe neben ein paar Kurzgeschichten lose Ideen, etwa eine Fortsetzung zu Becks letzter Sommer, die sich vor allem um Rauli drehen würde. Genauso ein Noir-Krimi und eine Idee für eine Buchreihe, die in die Richtung Krabat und Dune gehen würde. Diese Geschichte wollte ich schon mit zwanzig schreiben, dafür bräuchte ich allerdings viel Anlauf. Und ehrlich gesagt weiß ich noch gar nicht, ob und wie es weitergeht. Ich schreibe seit achtzehn Jahren, seit dem ersten Tag meines Erwachsenenlebens, es war mein Ticket in die Freiheit und Unabhängigkeit.

Inzwischen sehne ich mich zumindest nach der Wahl, mich zu verändern. Ich las mal ein Interview mit Murakami, in dem er sagte, dass es leicht sei, ein, zwei Bücher zu schreiben, aber schwierig, ein Leben lang Schriftsteller zu bleiben. Das ist wahr, und es ist zugleich tröstlich. Denn wenn man ein Leben lang schreibt, was ist dann schon eine längere Phase, in der man es vielleicht mal nicht tut? Daher bin ich so oder so froh, dass es Hard Land gibt. Die letzten drei, vier Jahre waren in vielerlei Hinsicht die schwierigsten meines Lebens. Manchmal habe ich auf den Roman geblickt und konnte nicht fassen, dass ich währenddessen so etwas Hoffnungsvolles geschrieben habe. Ich glaube, fast noch mehr als bei Vom Ende der Einsamkeit habe ich für dieses Buch schreiben gelernt.

Interview © by Diogenes Verlag AG Zürich