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Münchner Stadtteile: Moosach – ein (Literatur-)Tipp

Würden im Nordwesten nicht die Gleisanlagen des Rangierbahnhofs Nord wie ein Spitz noch nach Allach-Untermenzing hineinragen, wäre Moosach ein nahezu quadratischer Stadtteil. Nachdem der Ort 1913 bei der Eingemeindung nach München zunächst mit Neuhausen zusammengepackt wurde, löste man diese Verbindung gut 80 Jahre später wieder, so dass der heutige Stadtteil in seinen Umrissen dem früheren Dorf gleicht – das übrigens eine der ältesten Besiedlungen rund um die Landeshauptstadt darstellt: Die erste urkundliche Erwähnung erfolgte im Jahr 807; die zentrale St.-Martins-Kirche wurde um 810 errichtet, der heutige Bau datiert auf das 12./13. Jahrhundert. Im zugehörigen Pfarrhaus wohnte Anfang der 1950er Jahre ein gewisser Joseph Ratzinger während seiner Tätigkeit als Aushilfspfarrer – mithin der Beginn einer großen Karriere. Viele Jahrhunderte vor ihm nahm hier schon die Biografie eines anderen großen katholischen Rhetorikers seinen Anfang mit der Geburt des späteren Barockdichters Johannes Kuen, der 1606 in Moosach das Licht der Welt erblickte.

Der St.-Martins-Platz bildet nicht nur das religiöse wie geografische Zentrum Moosachs, sondern auch das kulturelle. Das Pelkovenschlössl aus dem 17. Jahrhundert dient als Bürger- und Kulturhaus – wobei es wahrlich nicht das einzige Haus ist, in dem Kunst und Literatur zuhause sind. Eine U-Bahn-Station weiter, und die nennt sich dann schon »Olympia Einkaufszentrum«, trotzt die Stadtteilbibliothek Moosach mit Programm und Bestand der profanen Verkehrsbrandung an der Kreuzung Pelkovenstraße und Hanauer Straße. Und ganz im südöstlichen Eck des Stadtteils liegt dieses Münchner Unikum, das nach seinem Erfinder und Erbauer Bernhard Borst benannt wurde: Der errichtete hier Ende der 1920er Jahre eine Mustersiedlung, wie sie die Stadt noch nicht gesehen hatte und wie man sie sich heute auch kaum mehr vorstellen kann.

Die Borstei bekam 1928 das erste zentrale Heizkraftwerk des Landes; es ist noch heute in Betrieb. Die Zwei-, Drei- und Vier-Zimmerwohnungen boten einen für die damalige Zeit unüblichen Komfort: Zentralheizung, fließend heißes Wasser, Gasherde, Parkett, Bad, Waschbecken und Bidet, beheizte Garagen und Kinderspielplätze in den Höfen. Die Wäsche konnten die Mieter in der Großwäscherei der Borstei abgeben, die sie innerhalb von 24 Stunden schrankfertig zurücklieferte. Die Bezeichnung »Borstei« stammt nicht von Bernhard Borst selbst oder vom Volksmund, sondern wurde in einem ordentlichen Preisausschreiben ermittelt, in dem die Moosacher ein weiteres Mal ihr literarisches Talent bewiesen: Angeblich waren unter den Einsendungen so schwungvolle Namen wie »Paradies«, »Schlaraffenhof«, »Borsts Wohnautomat« und »Borstelysium«.

Kaum einen Kilometer Luftlinie entfernt ragt das Wahrzeichen der neuen Zeiten in den Himmel: Uptown München, errichtet vor rund zehn Jahren, ist mit seinen knapp 150 Metern Höhe das zweithöchste Gebäude der Stadt – nach dem ebenfalls in Laufweite gelegenen Olympiaturm. Nicht nur architektonisch, sondern auch topografisch lässt sich ermessen, welche Widersprüche Moosach in sich vereint. Im Norden grenzt das Viertel an den Bezirk Feldmoching-Hasenbergl, im Süden an Neuhausen-Nymphenburg, als wollte es eine Brücke schlagen zwischen dem einen und dem anderen Ende der Lebensverhältnisse und -bedingungen in München. Wie jedes andere Quartier, so wächst auch Moosach, was man gut verstehen kann. Noch immer handelt es sich um einen der weniger dicht besiedelten Stadtteile, und das liegt eben vor allem daran, dass er auf eine lange menschliche Geschichte zurückblicken kann.

Literaturtipp

Am 29. September liest die rumänisch-französische Autorin Irina Teodorescu in der Stadtbibliothek Moosach. Gemeinsam mit ihrer (eben dafür mit dem Übersetzerstipendium des Freistaats Bayern ausgezeichneten) Übersetzerin Birgit Leib stellt sie ihren Debütroman Der Fluch des schnauzbärtigen Banditen vor, den man nur empfehlen kann: ein Parforce-Ritt durchs 20. Jahrhundert, erzählt entlang einer recht wilden Familie namens Marinescu, die all ihre Erstgeborenen wegen eines Fluchs verliert und folglich eine Reihe ziemlich unvergleichlicher Frauen zu bieten hat.