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Zur Entstehung des kollektiven Theaterprojekts „This Plot is not for Sale“

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© Maja Gugleta Nebe

Das Projekt Land of Tropes entstand als ein kollektives, fünfsprachiges Theaterprojekt über Erinnerung, Zugehörigkeit, Postkolonialismus und Schuld. Es wird derzeit unter der Leitung des NMT (Netzwerk Münchner Theatertexter*innen) in Nairobi und München sowie im digitalen Raum realisiert und am 31. Oktober 2025 bei SPIELART uraufgeführt. Das Literaturportal Bayern begleitet diese spannende herausfordernde Projektarbeit sowohl in Hinblick auf die Aufführung im Herbst berichtend als auch im Vorfeld fördernd, indem es die drei maßgeblich beteiligten Autorinnen und Autoren gebeten hat, über ihre Arbeit in essayistischer Form zu reflektieren. 

Der erste Beitrag stammt von dem serbischen, in München lebenden Schriftsteller und Drehbuchautoren Denijen Pauljevic.       

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„Wessen Geschichte erzähle ich? Aus welcher Perspektive? Wer ist meine Figur überhaupt?“

Diese Fragen begleiten unseren künstlerischen Prozess, unsere Figuren, unsere Arbeit von Anfang an. Zuerst standen sie unausgesprochen im Raum, wenn unsere Zoom-Sessions begannen, wenn wir ein Foto betrachteten, wenn wir den Text laut lasen. Fragen nach Perspektive – politisch, biografisch, theatral. Aber auch eine Frage nach Position: Wer schaut? Wohin? Von wo? Und warum?

This Plot is Not for Sale ist ein kollektives Theaterprojekt über Erinnerung, Zugehörigkeit, white gulit, neoliberalen Aufstieg, postkolonialen Karrierismus und Bildpolitik. Ein Stück, das seit über einem Jahr in Nairobi, München und digital entsteht. Wir verknüpfen Reenactment, dokumentarische Recherche, biografisches Material und spekulative Performance zu einem mehrsprachigen Theatertext. Die Arbeitsweise ist nicht linear, sondern beweglich, tastend, oft im Dazwischen – zwischen Sprachen, Stimmen und Kontinenten. Drei Autor*innen und Performer*innen – Gisemba Ursula, Theresa Seraphin und Denijen Pauljević – die zugleich Dramaturgie, Regie und Produktionsleitung mittragen, arbeiten mit internationalen Gästen, Archiven, Klangbildern, digitalem Material. Was uns verbindet, ist das Interesse an der Frage:

Wie lassen sich ehemals blockfreie Allianzen, koloniale Kontinuitäten, postsozialistische Biografien und utopische Leerstellen erzählen?

Ein zentrales Bild begleitet mich von Anfang an: Josip Broz Tito, mit Kamera in der Hand, bei einem Besuch einer Kakaoplantage in Ghana, 1961. Neben ihm die Ehefrau Jovanka Broz, umgeben von Delegationen in tropischer Kleidung. Dieses Bild wurde für mich zum Auslöser einer Reenactment-Szene. Wer blickt hier durch wen? Wer inszeniert wen? Und warum hält gerade Tito eine Kamera in der Hand, nicht ein Fotograf? Wir versuchen das Bild auf der Bühne nachzustellen – als diplomatische Geste, aber auch als absurden Moment, in dem sich das koloniale Auftreten und persönliches Spiel überlagern.
Die Arbeit am Projekt war von Anfang an eine kollektive Bewegung. Unsere Gespräche begannen manchmal mit Bildern. Jede*r brachte eigene Assoziationen, Erinnerungen, Zweifel ein. Daraus entstanden erste Sätze, Bewegungen, Improvisationen. Manchmal führte ein einzelner Begriff zu einer Szene. Manchmal blieb nur ein Ton, ein Geräusch, ein Widerstand.
Was diese Arbeit besonders macht: Wir schreiben nicht nur gemeinsam, wir stehen auch gemeinsam auf der Bühne. Das hat Folgen – nicht nur für den Text. Ich selbst habe in diesem Prozess etwas Unerwartetes erlebt: Ich hatte einen Monolog auf Deutsch geschrieben, ihn dann ins Serbische übersetzt – meine Muttersprache – und sollte ihn sprechen. Doch plötzlich klang der Text fremd. Nicht falsch, aber unverbunden. Der Rhythmus war steif, die Worte wirkten zu literarisch, zu fern vom Körper. Erst durch das laute Sprechen habe ich begonnen, umzuschreiben. Ich habe gehört, wo etwas nicht stimmt. Ich habe gestrichen, hinzugefügt, die Reihenfolge verändert. Das Schreiben wurde ein Sprechen – und das Sprechen ein erneutes Schreiben.

© Maja Gugleta Nebe

Manche Dinge lassen sich nur in ihrer eigenen Sprache sagen. 

Nicht jedes Wort ist übersetzbar – die Erfahrung kann aber geteilt werden. Unser Theaterstück wird dadurch polyphon. Keine „Übersetzung“, sondern eine Verflechtung von Stimmen und Akzenten. Ein Nachhall von Geschichte(n).
Das Stück arbeitet mit fünf Sprachen: Deutsch, Englisch, Serbisch, Kiswahili, Ekegusii – und mit betonter Vielstimmigkeit innerhalb dieser Sprachen. Nicht jede Aussage muss übersetzt werden. Manches bleibt im Originalton, untertitelt, paraphrasiert oder bewusst offen. Keine glatte Verständlichkeit. Lieber ein Geflecht, in dem sich Sprachen begegnen, irritieren, ergänzen.
Ein besonderer Moment unserer Proben ist die Szene „I’d rather“. Drei Figuren sitzen zusammen, trinken Slivovitz, übersetzen sich gegenseitig, spielen ein radikales Wahrheitsspiel. In unterschiedlichen Sprachen sprechen sie aus, was sie lieber tun, erleiden oder verlieren würden, als das zu akzeptieren, was sie gerade leben. Die Aussagen werden absurder, sarkastischer, politischer. Eine Figur sagt: „Ich würde lieber deine Last tragen als meine Schuld.“ Eine andere: „Ich würde lieber eine Giraffe sein.“

STEVAN 
I would rather be a giraffe. 

Kathi and Pete look at him. They wait for the second half of the sentence.

STEVAN 
I would rather be a giraffe. Period. I would rather be an animal in the savanna or an elephant in Tito’s zoo. Or the louse in his garment than this pathetic little photographer who never opened his mouth and is now managing the ruins of his own utopia. As a giraffe, I would have had completely different possibilities.

Daraus entsteht eine Verwandlung: Die Figur Stevan zieht das Giraffen-Kostüm an, hält eine Rede. Die Szene endet mit einem absurden Monolog über Diplomatie, Hotel-Lobbys und das Scheitern der Blockfreien. Sie ist Theater, Groteske, Klage, politisches Kabarett. Und zugleich ein Moment der Wahrheit und Wahrhaftigkeit.
Während wir an der zweiten Textfassung arbeiten, sammeln wir Rückmeldungen. Unser Kollege vom Netzwerk Münchner Theatertexter*innen, Rinus Silzle, analysierte den Text sehr genau: Welche Szenen sind aus Sicht des Publikums verständlich? Wo brauchen wir mehr Kontext, mehr Rhythmus, mehr Konkretion? Seine Sicht von außen hat uns geholfen, blinde Flecken zu erkennen.

Historische Erbschaften

Eine besonders augenöffnende Arbeit war das Schauspielcoaching mit Jelena Kuljić von den Münchner Kammerspielen. Jelena, selbst aus dem ehemaligen Jugoslawien, stellte uns Fragen aus der Sicht der Figuren. Was ist ihre Motivation? Woher kommen sie? Warum sprechen sie so? Durch Jelena Kuljićs Begleitung konnten wir die Szenen lebendiger machen, die auf dem Papier noch spröde wirkten. Es entstand Nähe, Dringlichkeit, eine physische Verbindung.
Da wir nicht nur schreiben, sondern auch Regie führen und selbst spielen werden, war diese Form der Begleitung essenziell. Jelena Kuljić half uns, uns selbst zu visualisieren – nicht als Autor*innen, sondern als Figuren, mit Haltung, Gestus, Intention. Und wieder zeigte sich: Schreiben ist kein abgeschlossener Akt, sondern ein sich ständig veränderndes Verhältnis zwischen Wort und Körper, Gedanke und Raum.

This Plot is Not for Sale ist auch eine Auseinandersetzung mit historischen Erbschaften. Mit Repräsentation und Aneignung, mit Migrationsgeschichte, mit den Utopien unserer Eltern und dem Zynismus unserer Gegenwart. Wer darf die Zukunft gestalten? Was bedeutet internationale Solidarität heute? Was tun mit den „überlieferten Bildern“? Das Projekt stellt diese Fragen nicht akademisch, sondern theatral, poetisch, performativ. Und manchmal auch: wütend.

Vielleicht ist das der eigentliche Plot, der nicht zu verkaufen ist: Der Moment, in dem etwas entsteht, das nicht kalkuliert, nicht kontrolliert, nicht besessen werden kann. Ein Moment der echten Begegnung. Zwischen Erinnerung und Utopie. Zwischen Menschen, die einander zuhören. Oder nur so tun, als ob.
Und während ich diesen Arbeitsprozess lebe – die verschiedenen Blickwinkel, die Sprachen, die Proben – denke ich: Es wird zum Teil auch eine Reinszenierung, ja. Aber keine nostalgische. Sondern eine, die nach vorn fragt. Was lässt sich aus der Geschichte machen? Wie lässt sie sich verwandeln? Und was bleibt, wenn wir sie loslassen?
Vielleicht nur ein Satz. Ein Laut. Ein Blick durch ein Schlüsselloch, wie der vom Fotograf Stevan.  Und eine Giraffe, die zurückblickt.
„Der wahre Trick der Fotografie – sie zwingt uns, durch ein Schlüsselloch zu gucken. Das Auge offenhalten, bis es wehtut, ist das vielleicht das Einzige, was wir tun können.“

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Denijen Pauljević, geboren in Belgrad, Jugoslawien, lebt in München. Er ist Autor, Theatermacher, Kurator und Performer. In seinen Arbeiten verbindet er mehrsprachige Erzählformen mit dokumentarischen und autofiktionalen Ansätzen.
Im SoSe 2015 unterichtete Denijen Pauljević Drehbuchschreiben an der HFF, seit SoSe 2021 szenisches Schreiben an der LMU München.
Sein Hörspiel-Debüt Das Schneckengrabhaus wurde im Januar 2022 zum Hörspiel des Monats gekürt. 
Seit 2019 ist er Teil des Netzwerks Münchner Theatertexter*innen und leitet den Kulturbereich von Bellevue di Monaco.