„Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ (Teil 1/2)
Tauchen Sie mit Monika Schreiner in die Ausstellung „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ der Monacensia ein. In ihrem zweiteiligen persönlichen Rundgang entdeckt sie zentrale Stationen der literarischen Epoche zwischen Schwabinger Bohème, künstlerischem Aufbruch und Exil – erzählt anhand ausgewählter Ausstellungsobjekte und Fotos. Die Ausstellung ist noch bis zum 6. Januar 2026 vor Ort zu sehen und wird digital im MON-Mag-Dossier
„Thomas Mann und das literarische München“ fortgeführt. Ein Rundgang, der neugierig macht – analog wie digital.
*
Literarisches München zwischen Boheme, Umbrüchen und Hochbetrieb – zur Zeit von Thomas Mann
Der Besuch der Ausstellung zum literarischen München Thomas Manns lohnt sich – und zwar häufiger als nur ein Mal. Es gibt viel zu entdecken, und die erzählte(n) Geschichte(n) sind vielfältig. Die von Elisabeth Tworek kuratierte Dauerausstellung wurde 2016 in den damals neu gestalteten und sanierten Räumen der Monacensia eröffnet. Sie bildet knapp fünfzig Jahre Literaturgeschichte ab, von der Bohème bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Konzipiert ist die Ausstellung als Fenster ins Literaturarchiv der Monacensia. Dort werden zahlreiche der präsentierten Archivalien und Dokumente aufbewahrt – vor allem die Nachlässe der gezeigten Schriftsteller*innen.
Durch den Ausstellungsraum führt Thomas Mann mit goldfarbenen Zitaten an den Wänden, denen Aussagen seiner Zeitgenoss*innen gegenübergestellt werden. So entsteht ein lebendiges Bild der Epoche – geprägt von geteilten Überzeugungen, Spannungen und gegensätzlichen Positionen.
Da die Themenvielfalt enorm ist und jedes Objekt stellvertretend für ein ganzes Feld steht, greife ich in meinem Rundgang bewusst ausgewählte Exponate auf. Dabei integriere ich O-Töne der Schriftsteller*innen nach dem Prinzip der Ausstellungskonzeption – als ein Zusammenspiel von Objekt, Text und Atmosphäre, das den historischen Moment erspürbar macht.
Vorweg einige Worte zu Thomas Mann.
Das „Literarische München zur Zeit von Thomas Mann“ beginnt mit einer kulturellen Blütezeit in der Stadt: der Schwabinger Bohème. Das ist die Zeit, in der der junge Thomas Mann seiner Mutter und seinen jüngeren Geschwistern von Lübeck nach München folgt. In den vierzig Jahren, in denen er in der bayerischen Metropole lebt, hat er eine besondere Beziehung ihr aufgebaut:
„Wann immer ich Münchener Laute höre, Münchener Tonfall, wird mir warm ums Herz.“ Das bekundet Thomas Mann dem damaligen Münchner Oberbürgermeister Thomas Wimmer gegen Ende seines Lebens am 8. Juni 1955
In München nimmt er das Leben eines Schriftstellers auf, nachdem er gemerkt hat, dass die klassische Laufbahn als Angestellter nichts für ihn ist. Während eines Italienaufenthalts (1896) beginnt er seinen Roman Buddenbrooks, den er in München fertigstellt und 1901 veröffentlicht.
1896 wird auch die Satirezeitschrift Simplicissimus gegründet, in der er publiziert und für die er ab 1898 einige Zeit als Lektor arbeitet. Dadurch lernte er zentrale Figuren der Schwabinger Bohème kennen, ohne sich ihrem ausschweifenden Leben anzuschließen. 1905 heiratet Thomas Mann Katharina („Katia“) Pringsheim. Bis 1919 bekommt er mit ihr sechs Kinder und führt ein großbürgerliches Leben.
Der Schreibtisch von Frank Wedekind
Die Ausstellung beginnt mit dem Dramatiker und Simplicissimus-Mitbegründer Frank Wedekind. Genauer: mit dessen Schreibtisch. Dieser stand in der Wohnung in der Prinzregentenstraße 50, wo Wedekind ab 1906 (
1908?) wohnt. Arrangiert war das Arbeitszimmer wie eine kreisrunde „Manege“, wobei sich der Schreibtisch im Hintergrund befand. Sicherlich eine Referenz an Frank Wedekinds Faszination für Zirkus.
Sein Arbeitszimmer sah merkwürdig aufgeräumt aus damals. ... hier und da Bücher, aber Bilder überall, Erinnerungen ohne Ende, an Jugendtage, an Frauen und an Bühnenräusche. Gegen den Schreibtisch gelehnt die Laute, zu deren Tönen er den Töchtern seine alten Lieder sang.
Heinrich Mann, Erinnerungen an Frank Wedekind, 1927
Damit sind wir schon mitten in der Schwabinger Bohème, zu deren Vertretern Frank Wedekind gehört. Mit seinen Dramen wie Frühlings Erwachen und Lulu wendet er sich gegen die bürgerliche Prüderie seiner Zeit. „Wedekind, wohl der frechste Sexualist der modernen deutschen Literatur“, schreibt Thomas Mann an seinen Bruder Heinrich am 5. Dezember 1903.
Schwabinger Bohème (1894-1914) – Leben ohne Alltag
In München vollzieht sich ab 1900 in der Kunst der Aufbruch zur Moderne. Künstler*innen aus ganz Europa kommen hierher und genießen die künstlerische und moralische Freizügigkeit. In der sogenannten Schwabinger Bohème vereinen sich Kunst und Leben.
Das sind die Gestalten, die den Stadtteil Schwabing zum Kulturbegriff Schwabing machten – Maler, Bildhauer, Dichter, Modelle, Nichtstuer, Philosophen, Religionsstifter, Umstürzler, Erneuerer, Sexualethiker, Psychoanalytiker, Musiker, Architekten, Kunstgewerblerinnen, entlaufene höhere Töchter, ewige Studenten, Fleißige und Faule, Lebensgierige und Lebensmüde, Wildgelockte und adrett Gescheitelte –, die bei der denkbar größten Verschiedenheit voneinander ... vereint waren in einer unsichtbaren Loge des Widerstandes gegen die Autorität der herkömmlichen Sitten und des Willens, ihr individuelles Gehaben nicht unter die Norm zu beugen.
Erich Mühsam, Unpolitische Erinnerungen, 1927-1929
Unweit der Akademie der Bildenden Künste bilden sich Treffpunkte der Künstler*innen, Schriftsteller*innen und Intellektuellen: im Café Luitpold, im Café Stefanie oder in Kneipen wie dem Alten Simpl – benannt nach der Zeitschrift Simplicissimus und betrieben von Kathi Kobus in der Türkenstraße 57. Gegen geringes Entgelt oder eine Mahlzeit treten hier auch Künstler*innen auf, darunter der Hausdichter Hans Bötticher, der spätere Joachim Ringelnatz.
Illustration aus dem Cafe Größenwahn (Spitzname für das Münchner Café Stefanie)
Die Illustration zeigt das bunte Leben im Café Stefanie, welches den Spitznamen Café Größenwahn trägt. Legendär auch die Künstlerfeste und Faschingsfeiern in der Pension Fürmann, zu sehen auf dem Foto oben rechts im Anschnitt.
Über das Lebensgefühl der Schwabinger Bohème schreibt die Gräfin Franziska zu Reventlow. Als alleinerziehende Mutter steckt sie in Geldnöten und beginnt daher, für den Albert Langen Verlag zu übersetzen.
Die gelebte Freizügigkeit bleibt nicht immer ohne Folgen. Gerade die Autor*innen des „Simplicissimus” sehen sich als Kämpfer*innen für die Freiheit des Wortes, die im Logo der Zeitschrift, der roten Bulldogge, symbolisiert wird. Sie werden jedoch häufiger wegen Beleidigung verurteilt und müssen Gefängnisstrafen absitzen. So erging es auch dem Herausgeber Albert Langen. Er entzog sich einer Strafe wegen Majestätsbeleidigung, indem er für viereinhalb Jahre ins Schweizer und Pariser Exil (1899-1903) ging.
Broschüre, herausgegeben 1909 vom Hausdichter Hans Bötticher alias Joachim Ringelnatz – Monacensia
All das schreckt Frank Wedekind nicht ab, im April 1901 das politische Kabarett Elf Scharfrichter in der Türkenstraße 28 zu gründen. Mit dabei sind die Schriftsteller
Josef Ruederer, Hanns von Gumppenberg, Marc Henry, der Grafiker Ernst Stern und die Sängerin Marya Delvard. Die Vision eines solchen Kabaretts bringt er aus Paris mit, wo er einige Zeit verbracht hat. Wie bei seinen Dramen tritt Wedekind auch persönlich auf und feiert Triumphe mit seinen freizügigen Liedern, die er zur Gitarre vorträgt. Die Gitarre lehnt in der Ausstellung übrigens neben seinem Schreibtisch.
Weltkrieg – Brüche und Umbrüche (1914-1918)
... es kam der Krieg, der die Revolution in sich enthielt.
Thomas Mann, 1929
Nach dem Attentat von Sarajevo auf den Thronfolger Österreich-Ungarns Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin ordnet Kaiser Wilhelm II. am 1. August 1914 die allgemeine Mobilmachung an. Auf dem Münchner Odeonsplatz begrüßt eine begeisterte Menschenmenge den Beginn des Ersten Weltkriegs. Für München heißt das zugleich das Ende der Avantgarde. Entweder werden die Künstler*innen zum Kriegsdienst einberufen oder sie müssen in ihre Heimatländer zurückkehren. Unter den Künstler*innen und Intellektuellen gibt es ferner eine Spaltung in Kriegsgegner*innen und Befürworter*innen. Auch die Brüder Mann sind uneins: Thomas sieht den Krieg als reinigende Kraft, während Heinrich von Anfang an die kriegstreibende Haltung des Wilhelminischen Reiches bekämpft.
Für die Pazifistin Annette Kolb ist klar, auf welcher Seite sie steht. Sie ist für Frieden und Völkerverständigung und flieht deshalb ins Schweizer Exil. Die Heimatdichter Ludwig Ganghofer und Ludwig Thoma teilen indes neben ihrer Jagdleidenschaft auch die Kriegsbegeisterung: Obwohl eigentlich schon zu alt dafür, melden sich beide freiwillig. Sie werden als Kriegsberichterstatter und Sanitäter eingesetzt und mit Verdienstorden honoriert.
Endlich habe ich es erreicht, daß ich als Sanitätsmann zu einer Auto-Transport-Kolonne darf. Richtung: Athies-Ennemain. Ich soll, wenn es dabei bleibt, am Donnerstag, 1. April abreisen.
Ludwig Thoma an Conrad Haussmann, Rottach, 29. März 1915
Bayerische Schriftsteller*innen aus dem Volk wie Lena Christ und Oskar Maria Graf erleben den Krieg aus anderen Perspektiven. Lena Christ ist in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen und hat sich stets gegen die Widrigkeiten des Lebens zu stemmen versucht. Ein Rubinglas soll sie daran erinnern: „Sei glücklich“. Auch sie wird ausgezeichnet, allerdings für ihren Erzählband über den Ersten Weltkrieg Unsere Bayern anno 14. Oskar Maria Graf wird zum Militär eingezogen, aufgrund „psychischer Probleme“ aber in eine Anstalt gebracht.
Thomas Mann verfasst indes in den Kriegsjahren 1915 bis 1918 die Betrachtungen eines Unpolitischen, welche kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs veröffentlicht werden. Sein Haus in Bad Tölz hat er für Kriegsanleihen verkauft.
Nach dem Kriegsende folgt in Bayern vom 7. April bis zum 3. Mai 1919 die Räterepublik, zu deren Befürwortern Schriftsteller wie Ernst Toller, Erich Mühsam und Heinrich Mann zählen. Nach deren Scheitern wird Bayern Teil der Weimarer Republik, einer Demokratie, die sich bis 1933 halten kann.
Kultureller Hochbetrieb und bürgerlicher Wohlstand (1919-1933)
Die Münchener kommunistische Episode ist vorüber;
es wird wenig Lust vorhanden sein, sie zu erneuern.
Eines Gefühls der Befreiung und Erheiterung
entschlage auch ich mich nicht. Der Druck war abscheulich.
Thomas Mann, Tagebuch, Mai 1919
Mit der Weimarer Republik beginnt eine neue Zeit, von der die zwei ältesten Kinder Thomas Manns besonders profitieren: Beide probieren sich in den 1920er-Jahre aus. Klaus schreibt fürs Theater, Erika nimmt Schauspielunterricht in Berlin, begeistert sich für das Autofahren und nimmt sogar an Rallyes teil. Zusammen gehen sie als „Mann Twins“ auf Reisen und schreiben darüber. Damit entfliehen sie der geistigen Provinz, in die München zurückgefallen ist.
Ich lebe in München, weil die Stadt eine heitere und hübsche Ruhe hat, die der geistigen Arbeit günstig ist.
Heinrich Mann, 1927
Das Zentrum der Avantgarde liegt zu der Zeit in der Hauptstadt Berlin. Auch wenn die Geschwister Mann ihre Abenteuer durch journalistische Artikel und Bücher (ausgestellt: Das Buch von der Riviera) zu finanzieren versuchen, reichen die finanziellen Mittel nicht ganz. Da ist es gut, dass Thomas Mann 1929 den langersehnten Nobelpreis für Literatur für Buddenbrooks erhält. Damit einher geht eine stattliche Geldsumme, mit der der Gewinner die Schulden seiner Kinder begleicht und sich ein Auto gönnt. Eine Fotografie zeigt Thomas Mann bei der Feier ihm zu Ehren im Münchner Rathaus.
Sonderbarerweise hat die Zeit von 1928 bis 1930 in meiner Erinnerung wenig mit Massenelend und politischer Spannung zu tun. Eher mit Wohlstand und kulturellem Hochbetrieb. Natürlich wußte ich, daß die Zahl der Arbeitslosen erschreckend stieg – waren es drei Millionen? Waren es schon fünf? Man konnte nur hoffen, daß die Regierung bald Abhilfe schaffen werde … Übrigens schienen die Geschäfte nicht ganz schlecht zu gehen, trotz der „Krise“, von der man so viel in der Zeitung las. Auf kulturellem Gebiet jedenfalls wurde gut verdient; erfolgreiche deutsche Autoren, Schauspieler, Maler, Regisseure, Musiker schwammen geradezu im Gelde.
Klaus Mann, Der Wendepunkt, 1952
Im zweiten Teil des Rundgangs erzähle ich Ihnen von den Volksänger*innen und dem erneuten Einschnitt, den der Zweite Weltkrieg mit sich bringt.
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Schon während ihrer Ausbildung zur Diplom-Bibliothekarin entdeckte Monika Schreiner ihre Leidenschaft für Fotografie und Film. Ihr Studium der Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Psychologie an der LMU München nutzte sie, um ihre Interessen zu vertiefen. Heute arbeitet sie freiberuflich als Content Creatorin, Fotografin und Bildredakteurin für verschiedene Medien im Digital- und Printbereich sowie als Bibliothekarin. Einer ihrer Schwerpunkte ist München. Sie schreibt für den
Isarblog und postet auf Instagram unter @supermunich.
Weiterlesen im MON Mag:
Wer tiefer in die literarischen Netzwerke, Schauplätze und Lebenswege der Münchner Autorinnen und Autoren zur Zeit von Thoma Mann eintauchen möchte, findet im
MON Mag der Monacensia zahlreiche Beiträge – unter anderem im Dossier
„Thomas Mann das das literarische München“, das die Ausstellung digital fortführt. Vor Ort „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ nur noch bis zum 6. Januar 2026 zu sehen.
«Lange Haare, kurzer Verstand?» – Lena Christs Haarnadel und was sie über Frauenbilder erzählt – (17.11.2025)
Leben und schreiben im Café: Münchner Kaffeehauskultur von der Bohème bis heute – (7.5.2025)
Erika Manns «Frau und Buch»: Eine Reflexion über weibliches Schreiben – damals und heute – (26.3.2025)
Schreibheimaten und Geheimfächer – «Von der Bohème zum Exil» und ins digitale Zeitalter – (26.2.2025)
Franziska zu Reventlow und ihr Sohn Rolf: Das Liebste auf der Welt in Gefahr – (18.5.2021)
„Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ (Teil 1/2)>
Tauchen Sie mit Monika Schreiner in die Ausstellung „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ der Monacensia ein. In ihrem zweiteiligen persönlichen Rundgang entdeckt sie zentrale Stationen der literarischen Epoche zwischen Schwabinger Bohème, künstlerischem Aufbruch und Exil – erzählt anhand ausgewählter Ausstellungsobjekte und Fotos. Die Ausstellung ist noch bis zum 6. Januar 2026 vor Ort zu sehen und wird digital im MON-Mag-Dossier
„Thomas Mann und das literarische München“ fortgeführt. Ein Rundgang, der neugierig macht – analog wie digital.
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Literarisches München zwischen Boheme, Umbrüchen und Hochbetrieb – zur Zeit von Thomas Mann
Der Besuch der Ausstellung zum literarischen München Thomas Manns lohnt sich – und zwar häufiger als nur ein Mal. Es gibt viel zu entdecken, und die erzählte(n) Geschichte(n) sind vielfältig. Die von Elisabeth Tworek kuratierte Dauerausstellung wurde 2016 in den damals neu gestalteten und sanierten Räumen der Monacensia eröffnet. Sie bildet knapp fünfzig Jahre Literaturgeschichte ab, von der Bohème bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Konzipiert ist die Ausstellung als Fenster ins Literaturarchiv der Monacensia. Dort werden zahlreiche der präsentierten Archivalien und Dokumente aufbewahrt – vor allem die Nachlässe der gezeigten Schriftsteller*innen.
Durch den Ausstellungsraum führt Thomas Mann mit goldfarbenen Zitaten an den Wänden, denen Aussagen seiner Zeitgenoss*innen gegenübergestellt werden. So entsteht ein lebendiges Bild der Epoche – geprägt von geteilten Überzeugungen, Spannungen und gegensätzlichen Positionen.
Da die Themenvielfalt enorm ist und jedes Objekt stellvertretend für ein ganzes Feld steht, greife ich in meinem Rundgang bewusst ausgewählte Exponate auf. Dabei integriere ich O-Töne der Schriftsteller*innen nach dem Prinzip der Ausstellungskonzeption – als ein Zusammenspiel von Objekt, Text und Atmosphäre, das den historischen Moment erspürbar macht.
Vorweg einige Worte zu Thomas Mann.
Das „Literarische München zur Zeit von Thomas Mann“ beginnt mit einer kulturellen Blütezeit in der Stadt: der Schwabinger Bohème. Das ist die Zeit, in der der junge Thomas Mann seiner Mutter und seinen jüngeren Geschwistern von Lübeck nach München folgt. In den vierzig Jahren, in denen er in der bayerischen Metropole lebt, hat er eine besondere Beziehung ihr aufgebaut:
„Wann immer ich Münchener Laute höre, Münchener Tonfall, wird mir warm ums Herz.“ Das bekundet Thomas Mann dem damaligen Münchner Oberbürgermeister Thomas Wimmer gegen Ende seines Lebens am 8. Juni 1955
In München nimmt er das Leben eines Schriftstellers auf, nachdem er gemerkt hat, dass die klassische Laufbahn als Angestellter nichts für ihn ist. Während eines Italienaufenthalts (1896) beginnt er seinen Roman Buddenbrooks, den er in München fertigstellt und 1901 veröffentlicht.
1896 wird auch die Satirezeitschrift Simplicissimus gegründet, in der er publiziert und für die er ab 1898 einige Zeit als Lektor arbeitet. Dadurch lernte er zentrale Figuren der Schwabinger Bohème kennen, ohne sich ihrem ausschweifenden Leben anzuschließen. 1905 heiratet Thomas Mann Katharina („Katia“) Pringsheim. Bis 1919 bekommt er mit ihr sechs Kinder und führt ein großbürgerliches Leben.
Der Schreibtisch von Frank Wedekind
Die Ausstellung beginnt mit dem Dramatiker und Simplicissimus-Mitbegründer Frank Wedekind. Genauer: mit dessen Schreibtisch. Dieser stand in der Wohnung in der Prinzregentenstraße 50, wo Wedekind ab 1906 (
1908?) wohnt. Arrangiert war das Arbeitszimmer wie eine kreisrunde „Manege“, wobei sich der Schreibtisch im Hintergrund befand. Sicherlich eine Referenz an Frank Wedekinds Faszination für Zirkus.
Sein Arbeitszimmer sah merkwürdig aufgeräumt aus damals. ... hier und da Bücher, aber Bilder überall, Erinnerungen ohne Ende, an Jugendtage, an Frauen und an Bühnenräusche. Gegen den Schreibtisch gelehnt die Laute, zu deren Tönen er den Töchtern seine alten Lieder sang.
Heinrich Mann, Erinnerungen an Frank Wedekind, 1927
Damit sind wir schon mitten in der Schwabinger Bohème, zu deren Vertretern Frank Wedekind gehört. Mit seinen Dramen wie Frühlings Erwachen und Lulu wendet er sich gegen die bürgerliche Prüderie seiner Zeit. „Wedekind, wohl der frechste Sexualist der modernen deutschen Literatur“, schreibt Thomas Mann an seinen Bruder Heinrich am 5. Dezember 1903.
Schwabinger Bohème (1894-1914) – Leben ohne Alltag
In München vollzieht sich ab 1900 in der Kunst der Aufbruch zur Moderne. Künstler*innen aus ganz Europa kommen hierher und genießen die künstlerische und moralische Freizügigkeit. In der sogenannten Schwabinger Bohème vereinen sich Kunst und Leben.
Das sind die Gestalten, die den Stadtteil Schwabing zum Kulturbegriff Schwabing machten – Maler, Bildhauer, Dichter, Modelle, Nichtstuer, Philosophen, Religionsstifter, Umstürzler, Erneuerer, Sexualethiker, Psychoanalytiker, Musiker, Architekten, Kunstgewerblerinnen, entlaufene höhere Töchter, ewige Studenten, Fleißige und Faule, Lebensgierige und Lebensmüde, Wildgelockte und adrett Gescheitelte –, die bei der denkbar größten Verschiedenheit voneinander ... vereint waren in einer unsichtbaren Loge des Widerstandes gegen die Autorität der herkömmlichen Sitten und des Willens, ihr individuelles Gehaben nicht unter die Norm zu beugen.
Erich Mühsam, Unpolitische Erinnerungen, 1927-1929
Unweit der Akademie der Bildenden Künste bilden sich Treffpunkte der Künstler*innen, Schriftsteller*innen und Intellektuellen: im Café Luitpold, im Café Stefanie oder in Kneipen wie dem Alten Simpl – benannt nach der Zeitschrift Simplicissimus und betrieben von Kathi Kobus in der Türkenstraße 57. Gegen geringes Entgelt oder eine Mahlzeit treten hier auch Künstler*innen auf, darunter der Hausdichter Hans Bötticher, der spätere Joachim Ringelnatz.
Illustration aus dem Cafe Größenwahn (Spitzname für das Münchner Café Stefanie)
Die Illustration zeigt das bunte Leben im Café Stefanie, welches den Spitznamen Café Größenwahn trägt. Legendär auch die Künstlerfeste und Faschingsfeiern in der Pension Fürmann, zu sehen auf dem Foto oben rechts im Anschnitt.
Über das Lebensgefühl der Schwabinger Bohème schreibt die Gräfin Franziska zu Reventlow. Als alleinerziehende Mutter steckt sie in Geldnöten und beginnt daher, für den Albert Langen Verlag zu übersetzen.
Die gelebte Freizügigkeit bleibt nicht immer ohne Folgen. Gerade die Autor*innen des „Simplicissimus” sehen sich als Kämpfer*innen für die Freiheit des Wortes, die im Logo der Zeitschrift, der roten Bulldogge, symbolisiert wird. Sie werden jedoch häufiger wegen Beleidigung verurteilt und müssen Gefängnisstrafen absitzen. So erging es auch dem Herausgeber Albert Langen. Er entzog sich einer Strafe wegen Majestätsbeleidigung, indem er für viereinhalb Jahre ins Schweizer und Pariser Exil (1899-1903) ging.
Broschüre, herausgegeben 1909 vom Hausdichter Hans Bötticher alias Joachim Ringelnatz – Monacensia
All das schreckt Frank Wedekind nicht ab, im April 1901 das politische Kabarett Elf Scharfrichter in der Türkenstraße 28 zu gründen. Mit dabei sind die Schriftsteller
Josef Ruederer, Hanns von Gumppenberg, Marc Henry, der Grafiker Ernst Stern und die Sängerin Marya Delvard. Die Vision eines solchen Kabaretts bringt er aus Paris mit, wo er einige Zeit verbracht hat. Wie bei seinen Dramen tritt Wedekind auch persönlich auf und feiert Triumphe mit seinen freizügigen Liedern, die er zur Gitarre vorträgt. Die Gitarre lehnt in der Ausstellung übrigens neben seinem Schreibtisch.
Weltkrieg – Brüche und Umbrüche (1914-1918)
... es kam der Krieg, der die Revolution in sich enthielt.
Thomas Mann, 1929
Nach dem Attentat von Sarajevo auf den Thronfolger Österreich-Ungarns Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin ordnet Kaiser Wilhelm II. am 1. August 1914 die allgemeine Mobilmachung an. Auf dem Münchner Odeonsplatz begrüßt eine begeisterte Menschenmenge den Beginn des Ersten Weltkriegs. Für München heißt das zugleich das Ende der Avantgarde. Entweder werden die Künstler*innen zum Kriegsdienst einberufen oder sie müssen in ihre Heimatländer zurückkehren. Unter den Künstler*innen und Intellektuellen gibt es ferner eine Spaltung in Kriegsgegner*innen und Befürworter*innen. Auch die Brüder Mann sind uneins: Thomas sieht den Krieg als reinigende Kraft, während Heinrich von Anfang an die kriegstreibende Haltung des Wilhelminischen Reiches bekämpft.
Für die Pazifistin Annette Kolb ist klar, auf welcher Seite sie steht. Sie ist für Frieden und Völkerverständigung und flieht deshalb ins Schweizer Exil. Die Heimatdichter Ludwig Ganghofer und Ludwig Thoma teilen indes neben ihrer Jagdleidenschaft auch die Kriegsbegeisterung: Obwohl eigentlich schon zu alt dafür, melden sich beide freiwillig. Sie werden als Kriegsberichterstatter und Sanitäter eingesetzt und mit Verdienstorden honoriert.
Endlich habe ich es erreicht, daß ich als Sanitätsmann zu einer Auto-Transport-Kolonne darf. Richtung: Athies-Ennemain. Ich soll, wenn es dabei bleibt, am Donnerstag, 1. April abreisen.
Ludwig Thoma an Conrad Haussmann, Rottach, 29. März 1915
Bayerische Schriftsteller*innen aus dem Volk wie Lena Christ und Oskar Maria Graf erleben den Krieg aus anderen Perspektiven. Lena Christ ist in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen und hat sich stets gegen die Widrigkeiten des Lebens zu stemmen versucht. Ein Rubinglas soll sie daran erinnern: „Sei glücklich“. Auch sie wird ausgezeichnet, allerdings für ihren Erzählband über den Ersten Weltkrieg Unsere Bayern anno 14. Oskar Maria Graf wird zum Militär eingezogen, aufgrund „psychischer Probleme“ aber in eine Anstalt gebracht.
Thomas Mann verfasst indes in den Kriegsjahren 1915 bis 1918 die Betrachtungen eines Unpolitischen, welche kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs veröffentlicht werden. Sein Haus in Bad Tölz hat er für Kriegsanleihen verkauft.
Nach dem Kriegsende folgt in Bayern vom 7. April bis zum 3. Mai 1919 die Räterepublik, zu deren Befürwortern Schriftsteller wie Ernst Toller, Erich Mühsam und Heinrich Mann zählen. Nach deren Scheitern wird Bayern Teil der Weimarer Republik, einer Demokratie, die sich bis 1933 halten kann.
Kultureller Hochbetrieb und bürgerlicher Wohlstand (1919-1933)
Die Münchener kommunistische Episode ist vorüber;
es wird wenig Lust vorhanden sein, sie zu erneuern.
Eines Gefühls der Befreiung und Erheiterung
entschlage auch ich mich nicht. Der Druck war abscheulich.
Thomas Mann, Tagebuch, Mai 1919
Mit der Weimarer Republik beginnt eine neue Zeit, von der die zwei ältesten Kinder Thomas Manns besonders profitieren: Beide probieren sich in den 1920er-Jahre aus. Klaus schreibt fürs Theater, Erika nimmt Schauspielunterricht in Berlin, begeistert sich für das Autofahren und nimmt sogar an Rallyes teil. Zusammen gehen sie als „Mann Twins“ auf Reisen und schreiben darüber. Damit entfliehen sie der geistigen Provinz, in die München zurückgefallen ist.
Ich lebe in München, weil die Stadt eine heitere und hübsche Ruhe hat, die der geistigen Arbeit günstig ist.
Heinrich Mann, 1927
Das Zentrum der Avantgarde liegt zu der Zeit in der Hauptstadt Berlin. Auch wenn die Geschwister Mann ihre Abenteuer durch journalistische Artikel und Bücher (ausgestellt: Das Buch von der Riviera) zu finanzieren versuchen, reichen die finanziellen Mittel nicht ganz. Da ist es gut, dass Thomas Mann 1929 den langersehnten Nobelpreis für Literatur für Buddenbrooks erhält. Damit einher geht eine stattliche Geldsumme, mit der der Gewinner die Schulden seiner Kinder begleicht und sich ein Auto gönnt. Eine Fotografie zeigt Thomas Mann bei der Feier ihm zu Ehren im Münchner Rathaus.
Sonderbarerweise hat die Zeit von 1928 bis 1930 in meiner Erinnerung wenig mit Massenelend und politischer Spannung zu tun. Eher mit Wohlstand und kulturellem Hochbetrieb. Natürlich wußte ich, daß die Zahl der Arbeitslosen erschreckend stieg – waren es drei Millionen? Waren es schon fünf? Man konnte nur hoffen, daß die Regierung bald Abhilfe schaffen werde … Übrigens schienen die Geschäfte nicht ganz schlecht zu gehen, trotz der „Krise“, von der man so viel in der Zeitung las. Auf kulturellem Gebiet jedenfalls wurde gut verdient; erfolgreiche deutsche Autoren, Schauspieler, Maler, Regisseure, Musiker schwammen geradezu im Gelde.
Klaus Mann, Der Wendepunkt, 1952
Im zweiten Teil des Rundgangs erzähle ich Ihnen von den Volksänger*innen und dem erneuten Einschnitt, den der Zweite Weltkrieg mit sich bringt.
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Schon während ihrer Ausbildung zur Diplom-Bibliothekarin entdeckte Monika Schreiner ihre Leidenschaft für Fotografie und Film. Ihr Studium der Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Psychologie an der LMU München nutzte sie, um ihre Interessen zu vertiefen. Heute arbeitet sie freiberuflich als Content Creatorin, Fotografin und Bildredakteurin für verschiedene Medien im Digital- und Printbereich sowie als Bibliothekarin. Einer ihrer Schwerpunkte ist München. Sie schreibt für den
Isarblog und postet auf Instagram unter @supermunich.
Weiterlesen im MON Mag:
Wer tiefer in die literarischen Netzwerke, Schauplätze und Lebenswege der Münchner Autorinnen und Autoren zur Zeit von Thoma Mann eintauchen möchte, findet im
MON Mag der Monacensia zahlreiche Beiträge – unter anderem im Dossier
„Thomas Mann das das literarische München“, das die Ausstellung digital fortführt. Vor Ort „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ nur noch bis zum 6. Januar 2026 zu sehen.
«Lange Haare, kurzer Verstand?» – Lena Christs Haarnadel und was sie über Frauenbilder erzählt – (17.11.2025)
Leben und schreiben im Café: Münchner Kaffeehauskultur von der Bohème bis heute – (7.5.2025)
Erika Manns «Frau und Buch»: Eine Reflexion über weibliches Schreiben – damals und heute – (26.3.2025)
Schreibheimaten und Geheimfächer – «Von der Bohème zum Exil» und ins digitale Zeitalter – (26.2.2025)
Franziska zu Reventlow und ihr Sohn Rolf: Das Liebste auf der Welt in Gefahr – (18.5.2021)











